Das Ende von Heizungen mit fossilen Brennstoffen! Die Novelle des Gebäudeenergiegesetz ist in Kraft getreten!

Zusammen mit dem Wärmeplanungsgesetz („WPG“), über dessen Inhalte wir bereits in unserem Unternehmergespräch „Kommunale Wärmeplanung“ am 28.11.2023 (dazu hier!) und noch einmal gesondert von Herr Rechtsanwalt Thesling informiert haben (zum Blogeintrag!), stellt das am 01.01.2024 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Gebäudeenergiegesetz („GEG“) einen wesentlichen Mechanismus der energiepolitischen Transformation dar. Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, die Nutzung fossiler Energieträger zurückzudrängen und den Rückgriff auf erneuerbare Energien zu stärken. 

Obschon das GEG einen bunten Blumenstrauß an öffentlich-rechtlichen Pflichten bereithält, dürfte das Kernelement der neue § 71 Abs. 1 S. 1 GEG sein. Danach darf eine neue Heizungsanlage in Gebäude nur eingebaut werden, wenn sie mindestens 65 Prozent der mit der Anlage bereitgestellten Wärme mit erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme (etwa durch Müllverbrennung) erzeugt. Die Einzelheiten der Heizungsanforderungen ergeben sich dabei aus §§ 71 ff. GEG n.F. 

Diese Heizungsvorgaben greifen jedoch nicht sofort. Innerhalb von Gemeindegebieten mit mehr als 100.000 Einwohnern kann bis zum Ablauf des 30.06.2026 in Bestandsbauten auch ohne Einhaltung der vorstehenden 65-Prozent-Vorgabe eine neue Heizung eingebaut werden, die die 65-Prozent-Anforderungen nicht erfüllt; für Gemeinden unter 100.000 Einwohnern reicht die Übergangsfrist sogar bis zum 30.06.2028. Erst dann, wenn vor Ablauf der Übergangsfristen Gemeinden einen rechtsverbindlichen Wärmeplan vorgelegt haben, ist dieser einen Monat nach dessen Bekanntgabe einzuhalten. 

Eigentümer von Bestandsgebäuden sind jedoch damit nicht beim Kauf ihrer Heizung rechtlich ungebunden. Nach dem 31.12.2023 in Bestandsgebäuden eingebaute und noch fossil betriebene Heizungen müssen ab dem 1.1.2029 sukzessive mit Biomasse bzw. grünem oder blauem Wasserstoff einschließlich daraus hergestellter Derivate betrieben werden (vgl. § 71 Abs. 9 GEG n.F). Noch unklar ist, wie diese Pflicht erfüllt werden kann, da der Gesetzgeber sich hierzu ausschweigt. 

Wie den meisten Lesern aus den Medien inzwischen bekannt ist, enthält das Gesetz keine Pflicht von Hauseigentümern, Bestandsheizungen auszutauschen. Doch auch diese dürfen sich nicht einfach so zurücklehnen. Obschon das Gesetz einen gewissen Bestandsschutz anerkennt, hat es ein Enddatum für konventionelle fossile Heizungsanlagen festgesetzt. Heizkessel, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sind mit Ablauf des 31.12.2044 nach § 72 Abs. 4 GEG n.F. verboten. 

Das Gesetz enthält noch viele weitere Vorgaben, insbesondere konkrete Vorgaben bezüglich der Heizungsanlagen, Nachweispflichten in Form von Erfüllungserklärungen durch Bauherren und Eigentümer (§ 92 GEG n.F.) sowie Unternehmererklärungen über die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Arbeiten (§ 96 GEG n.F.). Obschon ersichtlich der Hauptadressat des GEG der Gebäude- und Wohnungseigentümer sein dürfte, sind auch Mieter als Betreiber von Heizungen dafür verantwortlich, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Daneben kommt auch eine öffentlich-rechtliche Verantwortung von Beauftragten in Betracht, die vom Eigentümer und Bauherren zur Errichtung oder Änderung von Gebäude oder auch Anlagetechnik beauftragt wurde (§ 8 Abs. 2 GEG). 

Bei Verstößen sieht das Gesetz nicht nur die Möglichkeit vor, dass Behörden gegen die Eigentümer und Bauherren, sondern auch gegen Dritte vorgehen können, die unter Verstoß gegen das GEG sich an der Planung, Errichtung oder Änderung von Gebäuden oder technischen Anlagen eines Gebäudes beteiligen (§ 95 GEG). Verstöße gegen die vorstehenden Anforderungen sind ferner bußgeldbewährt. Aus diesem Grund sollten alle am Bau beteiligten Personen, aber auch Eigentümer von Bestandsanlagen und Mieter sich über ihre Pflichten nach dem GEG informieren.

Die gültige Fassung des GEG können Sie hier finden.

Sollten Sie immer noch Fragen zur Einhaltung des Gebäudeenergiegesetzes haben, beraten wir Sie gerne!

Marvin Klein
Rechtsanwalt

18. Januar 2024
 

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Das Wärmeplanungsgesetz tritt zum 01.01.2024 in Kraft

Nachdem der Bundesrat das Gesetz zur Wärmeplanung und Dekarbonisierung der Wärmenetze (WPG) am 15.12.2023 gebilligt hat, tritt dieses zum 01.01.2024 in Kraft. Der Bundestag hatte das Gesetz bereits ab 17.11.2023 beschlossen. Zwar war die Aufregung und Diskussion rund um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wesentlich größer, die Bedeutung des WPG auf dem Weg zur Klimaneutralität sollte dennoch nicht unterschätzt werden. So gehen mit dem Gesetz wesentliche Verpflichtungen für die Kommunen einher. Außerdem ergeben sich durch das WPG Änderungen im BauGB. Nachfolgend sollen einige Aspekte des Gesetzes dargestellt werden:

Als Hauptflicht geht aus dem Gesetz für die Kommunen die Pflicht zur Erstellung einer Wärmeplanung hervor. Je nach Größe der Kommune müssen die Wärmepläne bis zum Juni 2026 oder bis zum Juni 2028 vorgelegt werden. Hierzu müssen die Kommunen den Bestand analysieren, Potenziale festlegen und anschließende eine Strategie zur Umsetzung entwickeln. So sollen etwa Fernwärmenetze effizienter gestaltet und gleichzeitig bereits vorhandene Ressourcen effektiver genutzt werden. Ziel des Gesetzes ist es, bis zum Jahr 2030 die Hälfte der leitungsgebundenen Wärme klimaneutral zu erzeugen. 

Die Änderungen im BauGB betreffen zum einen die Reparaturvorschrift des § 13b BauGB. Dieser wurde gestrichen, stattdessen wurde in § 215a BauGB eine neue Regelung eingeführt. Durch die Regelung sollen fehlerhafte Bauleitpläne repariert und in Kraft gesetzt werden können. Zudem werden Biomasseanlagen im Außenbereich als privilegierte Vorhaben zulässig. Schließlich werden weitere Darstellungs- und Festsetzungsmöglichkeiten in Bauleitplänen ergänzt, so dass eine bestmögliche Umsetzung der Wärmepläne in Bauleitplänen gewährleistet wird. 

Es gilt zu beobachten, wie die Kommunen einerseits mit der Pflicht zur Aufstellung eines Wärmeplanes umgehen. Anderseits sollte ebenfalls verfolgt werden, wie die Umsetzung der Wärmepläne funktioniert. Hier wird es sicherlich in Zukunft noch einigen Änderungsbedarf geben. Zunächst einmal hat das Gesetz jedoch den Weg durch den Bundestag und den Bundesrat geschafft. 

Das Gesetz können Sie unter folgendem Link abrufen:
https://dserver.bundestag.de/brd/2023/0614-23.pdf

Alexander Thesling
Rechtsanawalt

29. Dezember 2023
 

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Die Novelle der BauO NRW: Solaranlagenpflicht, Schottergartenverbot sowie viele Bauerleichterungen

Die Landesbauordnung NRW „BauO NRW“) erhält zum 1. Januar 2024 ein Update. Mit dem am 25.10.2023 vom Landtag beschlossenem Gesetz Zweite Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung 2018  (die Gesetzesbegründung können Sie hier einsehen) können sich Bauherren auf viele größere und kleinere Änderungen sowohl im Bereich des Verfahrens- als auch des materiellen Baurechts freuen. Eine kleine Übersicht über die vielen verschiedenen Neuheiten der Novelle finden Sie in diesem Beitrag.

I. Erleichterungen und Pflichten im Bereich Windenergie, Solarenergie und Wärmepumpen 

Die Novelle steht ganz im Zeichen der energetischen Transformation des Landes und schafft hierbei in und mit verschiedenen Vorschriften die notwendige rechtliche Grundlage. 

1. Neuerungen im Bereich der Windenergie

Der Landesgesetzgeber hat sich zum Ziel gesetzt, den Ausbau der Windenergie weiter zu beschleunigen, indem Verfahren erleichtert und materiell-rechtliche Erschwernisse reduziert werden. Eine bemerkenswerte Neuerung ist eine besondere Privilegierung der Windenergieanlagen im Bereich das Abstandsflächenrechts. Während in der aktuellen Fassung die Tiefe der Abstandsflächen von Windenergieanlagen 50 Prozent ihrer größten Höhe ausmacht, wird die Tiefe zukünftig lediglich 30 Prozent im Allgemeinen und sogar 20 Prozent in Gewerbe- und Industriegebieten betragen. In manchen Fällen lösen Windenergieanlagen sogar gar keine Abstandsflächen aus (vgl. § 6 Abs. 1 S. 3 BauO NRW n.F.). Diese Privilegierungen reihen sich ein in vergangene Maßnahmen des Landesgesetzgebers, das Bauen von Windenergieanlagen zu erleichtern, nicht zuletzt durch die Streichung des § 2 und 3 BauGB-AG NRW a.F. Danach mussten sogenannte privilegierte Windenergieanlagen noch einen pauschalen Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohngebäuden einhalten.

Auch bedürfen Genehmigungen von Windenergieanlagen zukünftig nicht mehr des vollständigen Genehmigungsverfahrens. Mit § 64 Abs. 2 BauO NRW n.F. werden die Errichtung und das Repowering von Anlagen iSd. Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. Dezember 2018, die der Nutzung von Energien aus erneuerbaren Quellen dienen, dem Regime des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens unterworfen. 

Um Projektentwicklern und Bürgern den privaten Ausbau Anlagen erneuerbarer Energien zu erleichtern, soll auch ein Verfahrenshandbuch analog und online zur Verfügung gestellt werden, um ein besseres Verständnis für die Bauverfahren zu schaffen.

2. Neuerungen im Bereich Solarenergieanlagen, insbesondere Solaranlagenpflicht

Der Ausbau erneuerbarer Energie gehört zu den Hauptanliegen des Landesgesetzgebers. Mit der Novelle soll nicht nur der private Ausbau von Solaranlagen erleichtert, sondern auch mit einer Solaranlagenpflicht erzwungen werden. 

Um den Ausbau von Solaranlagen zu fördern, wurde mit der Novelle der bisher bauordnungsrechtlich vorgegebene Mindestabstand von Solaranlagen zu Brandwänden aufgegeben. Dieser Mindestabstand hat in der Praxis dazu geführt, dass in vielen Fällen eine wirtschaftliche Installation von Solaranlagen auf Dächern von schmalen Gebäuden nicht möglich war. 

Auch verfahrensrechtlich erfahren Solarenergieanlagen eine Privilegierung. Nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauO NRW n.F. sind Solaranlagen mit einer Höhe bis zu 3 Metern und einer Grundfläche bis zu 100 m² verfahrensfrei und benötigen daher keine Baugenehmigung. Das gleiche gilt nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BauO NRW n.F. für die Bestückung von Stützmauern und Einfriedungen. 

Gänzlich neu ins Gesetz kommt mit § 42a BauO NRW n.F. eine Pflicht zur Verwirklichung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus solarer Strahlungsenergie auf den dafür geeigneten Dachflächen. Mit diesem im Einzelnen sehr differenzierten Pflichtenprogramm folgt das Land NRW nunmehr dem Beispiel anderer Bundesländer. Die Anlagenpflicht erfolgt gestaffelt für neue Bauanträge ab 1. Januar 2024 für Nichtwohngebäude oder nach dem 1. Januar 2025 für Wohngebäude. Auch von der Genehmigung freigestellte Gebäude nach § 61 BauO NRW unterliegen dieser Solaranlagenpflicht. Ähnlich wie bei gänzlich neu gebauten Gebäuden trifft die Anlagenpflicht ab dem 1. Januar 2026 solche Bestandsgebäude, bei denen eine vollständige Erneuerung der Dachhaut erfolgen soll. 

Die neue Solaranlagenpflicht kennt zahlreiche Sonderregelungen für die öffentliche Hand, Ausnahmen (etwa für Dachflächen unter 50 m²) und eine Befreiungsmöglichkeit. Einzelheiten der Solaranlagenpflicht werden zukünftig durch Rechtsverordnung geregelt. 

3. Wärmepumpen

Als weiterer wichtiger Baustein der energetischen Transformation des Landes gilt der zügige Ausbau von Wärmepumpen. Entsprechend senkt auch hier die Novelle die bauordnungsrechtlichen Hürden. Der Landesgesetzgeber weitet die bereits jetzt bestehende abstandsrechtliche Privilegierung von Wärmepumpen aus, indem er Wärmepumpen in Gebäuden nach § 6 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 BauO NRW – zukünftig ohne eine Begrenzung der Nennleistung – ohne Abstandsflächen für rechtmäßig erklärt. Ebenso sind nach der Novelle Wärmepumpen außerhalb von Gebäuden und deren zugehörige Einhausungen innerhalb von Gebäudeabstandsflächen rechtmäßig und lösen selbst keine Abstandsflächen mehr aus. Diese Privilegierung baut den rechtlichen Konfliktpotenzial zu Grundstücksnachbarn ab, kann diese aber auch nicht gänzlich vermeiden. Die typischerweise von Wärmepumpen ausgehenden Lärmemissionen können einem Vorhaben auch zukünftig entgegengehalten werden. Der Nachbarschutz diesbezüglich erfolgt jedoch nicht mehr über eine pauschale Abstandsfläche, sondern über das allgemeine Immissionsschutzrecht.

II. Gestaltungsanforderungen, insbesondere Ausschluss von Schottergärten und Kunstrasenflächen

Auch in Sache Grundstücks- und Vorhabengestaltung ist der Gesetzgeber tätig geworden. Insbesondere mit der Novelle des § 8 Abs. 1 bis 3 BauO NRW schiebt der Gesetzgeber den sogenannten Schottergärten nun endgültig den Riegel vor. Unter der alten Rechtslage gab es immer wieder Streit, ob im Einzelfall Schottergärten zugelassen werden können oder nicht, denn bereits mit der Bauordnung in der Fassung von 2018 und sogar 2000 waren unbebaute Flächen wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen und zu begründen oder zu bepflanzen. Schottergärten wurden diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht. In § 8 Abs. 1 BauO n.F. wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass Schotterungen und Kunstrasen keine zulässige Verwendung im Sinne des Gesetzes darstellen. Das bedeutet, dass stattdessen die bestehenden Grünflächen belassen oder sogar hergestellt werden müssen. Durch diesen Schritt will der Landesgesetzgeber die Ökosysteme von Insekten schützen. Für nicht genehmigte Schottergärten bedeutet dies, dass in vielen Fällen eine Rückbaupflicht besteht. Inhaber von Schottergärten müssen ein bauaufsichtsrechtliches Vorgehen der Behörden befürchten. Auf Bestandsschutz können sich ungenehmigte Schottergärten ab spätestens 2018 nicht berufen. Nach Auffassung der Landesregierung gilt dies auch für ab 2000 angelegte Schottergärten. Gestalterisch ist damit jedoch die Gartengestaltung mit Stein, Schotter und Kies nicht gänzlich ausgeschlossen. Entscheidend kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. 

III. Verfahrensrechtliche Neuerungen

Keine Bauordnungsnovelle kommt ohne Änderungen im Bereich des Verfahrensrechtes aus. Auch die kommende Bauordnung hält an dieser Tradition fest und versucht durch Verfahrenserleichterungen den Genehmigungsprozess zu erleichtern und damit zu beschleunigen.

1. Mehr Digitalisierung

Ebenso wie bei der vergangenen Novelle des Baugesetzbuches („BauGB“) setzt die neue BauO NRW auf mehr Digitalisierung. Mit dem Wegfall der Schriftform zugunsten der Textform (§ 126b BGB) bekommen die Bauakteure zukünftig die Möglichkeit, neben Dokumenten mit eigenhändig gesetzter Unterschrift auch auf anderem Wege (z.B. mittels E-Mail) mit den Bauämtern zu kommunizieren und rechtserhebliche Verfahrensschritte zu bewältigen. Erleichterung resultiert hierbei insbesondere bei der Einreichung eines Bauantrags. Bauantrag und Bauvorlagen müssen zukünftig weder in Papierform noch mit einer Unterschrift versehen werden, sondern können stattdessen im elektronischen Wege eingereicht werden. Auch Angrenzer können sich zukünftig nach § 72 Abs. 1 S. 3 BauO NRW n.F. in elektronischer Form an die Baubehörden wenden.

2. Verschlankung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens

Neuerungen gibt es künftig auch hinsichtlich des Prüfungsprogrammes des Baugenehmigungsverfahrens. Während das bauordnungsrechtliche Vollverfahren nach § 65 BauO NRW bereits jetzt bloß für große Sonderbauten gilt, prüfen die Bauaufsichtsbehörden beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren lediglich nach dem enumerativ aufgeführten Prüfungsprogramm in § 64 BauO NRW. Zum Prüfungsprogramm zählen bisher die Übereinstimmung des Vorhabens mit den bauplanerischen Vorschriften §§ 29 bis 38 BauGB, verschiedene Vorschriften des Bauordnungsrechtes, Regelungen örtlicher Bauvorschriften und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften, deren Einhaltung nicht in einem anderen Genehmigungs-, Erlaubnis- oder sonstigen Zulassungsverfahren geprüft werden sowie – für vereinzelte Vorhaben – die Einhaltung der Brandschutzvorschriften. Mit der Novelle reduziert sich die Prüfung von Vorschriften der BauO NRW auf § 4 (Bebauung der Grundstücke mit Gebäuden), § 6 (Abstandsflächen), § 48 (Stellplätze, Garagen, Fahrradabstellplätze), § 49 (Barrierefreies Bauen). Mit dem Entfallen der bisherigen Prüfungspunkte dürfte das Ge-nehmigungsverfahren – wenn auch nur geringfügig – beschleunigt werden. Für die Bauherren bedeutet dies weniger Aufwand und Zeitgewinn, jedoch keine Erleichterung in materiell-rechtlicher Hinsicht, denn obschon die Genehmigungsbehörden im Verfahren die übrigen bauordnungsrechtli-chen Anforderungen nicht mehr abfragen, liegt es weiterhin in ihrer Verantwortung, dass ihr Vor-haben in Übereinstimmung mit allen rechtlichen Vorgaben realisiert wird. 

3. Einführung der „kleinen Bauvorlageberechtigung“

Nach den bauordnungsrechtlichen Vorgaben sind Bauvorlagen von qualifiziertem Personal zur Sicherung der Gefahrenabwehr, Wirtschaftlichkeit und Wahrung der Baukultur zu erstellen. Hiervon macht bereits jetzt § 67 Abs. 2 BauO NRW Ausnahmen für einige wenige Vorhaben, bei denen mit keinen relevanten Gefahren in Sachen Standsicherheit oder Brandschutz zu rechnen sind. Zu den qualifizierten Bauvorlagenberechtigten gehören insbesondere Architektinnen und Architekten, aber auch andere gesetzlich bestimmte Personengruppen im Sinne des § 67 Abs. 3 BauO NRW. Mit der Anfang des Jahres in Kraft tretenden Novelle führt der Gesetzgeber mit dem § 67 Abs. 4a BauO NRW n.F. die „kleine Bauvorlageberechtigung“ für Gebäudeklassen 1 und 2. ein für Handwerks-meisterinnen und -meister des Maurer-, Betonbauer- oder des Zimmererhandwerks oder ihnen gleichgestellte Personen, die in das Verzeichnis der eingeschränkt Bauvorlageberechtigten bei der Ingenieurkammer- Bau NRW eingetragen sind.

4. Mehr Raum für bauordnungsrechtliche Abweichungen

Nur zu Genüge wissen Profibauherren und Planer, dass nicht immer alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen ohne weiteres einzuhalten sind. Manchmal kann ein begehrtes Vorhaben daher nur unter Ausklammerung einzelner bauordnungsrechtlicher Vorgaben erreicht werden. Das Mittel hierzu ist die bauordnungsrechtliche Abweichung. 

Nach der gegenwärtigen Rechtslage steht der Bauaufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen ein Ermessen in § 69 Abs. 1 S. 1 BauO NRW zur Gestattung von Abweichungen von gesetzlichen Anforderungen. Nachdem bereits Gerichte eine Regelabweichung erkannten, wenn die strengen gesetzlichen Voraussetzungen der Abweichung gegeben sind, vollzieht die Novelle dieses Regelermessen nach. Gelingt es den Bauherren nachzuweisen, dass trotz Abweichung die jeweili-gen gesetzlichen Ziele anderweitig erreicht werden können, sollen die Genehmigungsbehörden die Abweichung gestatten. Diese Soll-Anordnung schafft für die Bauherren und Planer mehr Spiel-raum, im Einzelfall durch alternative Gestaltungen den gesetzlichen Zwecken gerecht zu werden und dennoch auf eine Abweichung hoffen zu können. 

Neu ist weiterhin die Privilegierung von Nutzungsänderungen in Bestandsgebäuden. Nach § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BauO NRW n.F. muss die Genehmigungsbehörde eine Abweichung von verschiedenen bauordnungsrechtlichen Abweichungen zulassen, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern, mit der Nutzungsänderung alternative Bau- und Wohnformen erprobt werden sollen oder die Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde. Zu den Gründen des allgemeinen Wohls zählen nach dem Gesetz insbesondere die Vorhaben zur Deckung dringenden Wohnbedarfs. Dies gibt Bauherren rechtliche Munition an die Hand, um den Wohnungsausbau in Bestandsgebäuden zu erleichtern.

IV. Abschließend

Mit den vorstehenden Änderungen sowie weiteren Neuerungen etwa beim Thema Wasserstofftechnologien. Mobilfunkausbau und der Aufzugspflicht verändern sich die bauordnungsrechtlichen Spielregeln für Bauherren, Planern und die Bauaufsichtsbehörden. Die Novelle schafft neue Instrumente, um Vorhaben erleichtert durchzuführen, senkt vereinzelt die an Vorhaben gestellten Hürden und soll allen mit der Planung befassten Personen mehr Spielräume flexibler Lösungen bringen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Änderungen auch in der Praxis beweisen.

Marvin Klein 
Rechtsanwalt

21. Dezember 2023

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Der Bundestag hat das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung (WPG) beschlossen

Zum 01.01.2024 soll das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze (im Folgenden „WPG“) in Kraft treten. Deshalb hat der Bundestag den Gesetzesentwurf am 17.11.2023 beschlossen, so dass nunmehr lediglich noch der Bundesrat mit dem Gesetz befasst werden muss. Dies soll voraussichtlich am 15.12.2023 stattfinden. Mit einem Einspruch des Bundesrates gegen das Gesetz ist aktuell nicht zu rechnen. In der nunmehr beschlossenen Fassung gab es dabei einige weitere Änderungen, die wir Ihnen nachfolgend gemeinsam mit dem wesentlichen Inhalt des Gesetzes vorstellen wollen. 

Die beschlossene Fassung können Sie auch über diesen Link einsehen:
Deutscher Bundestag - Bundestag billigt Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung

Das WPG verpflichtet die Bundesländer, eine Wärmeplanung durchzuführen. In der Praxis wird die Wärmeplanungspflicht dabei auf die Gemeinden übertragen. So soll das Ziel des Gesetzes erreicht werden, einen wesentlichen Beitrag zur Umstellung der Erzeugung von sowie der Versorgung mit Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme auf erneuerbare Energien, unvermeidbare Abwärme oder eine Kombination hieraus zu leisten. Die Wärmeversorgung soll so bis spätestens 2045 nach den Regelungen des WPG umgestellt sein. Gemeindegebiete mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen bis zum 30.06.2023 einen Wärmeplan erstellen, kleinere Gemeinden bis zum 30.06.2028. Es besteht zudem die Möglichkeit für Gemeinden, sich mit anderen Gemeinden für die Planerstellung zusammenzuschließen. Außerdem ist ein vereinfachtes Verfahren für Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern vorgesehen.

Durchgeführt wird die Wärmeplanung, indem zunächst eine Bestandsanalyse durchgeführt wird. Hier soll der Ist-Zustand ermittelt werden, also der derzeitige Wärmebedarf und -verbrauch nebst den jeweiligen Energieträgern und Anlagen ermittelt werden. In Anschluss soll das Potenzial analysiert und so geprüft werden, welche Energiequellen zukünftig zur Verfügung stehen werden. In der Folge soll aus diesen Analysen der Wärmeplan erstellt werden. Dieser Wärmeplan legt dann Ziele fest und bestimmt Maßnahmen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. 

Das WPG sieht ebenfalls eine Anknüpfung an das erst kürzlich beschlossene GEG vor. Hierdurch wird die Möglichkeit geschaffen, eine verbindliche Ausweisung von Wärmenetz- oder Wasserstoffnetzgebieten vorzunehmen. So können die jeweiligen Netze möglichst effizient genutzt werden. 

Zuletzt wurden wie bereits angedeutet einige Punkte angepasst. So ist beispielsweise eine Begrenzung des Biomasseanteils auf 25 % an der jährlich erzeugten Wärmemenge für bestimmte Wärmenetze entfallen. Weiter stellt die Errichtung und der Betrieb von Wärmeerzeugungsanlagen ein „überragendes öffentliches Interesse“ dar, welches in Ermessenentscheidungen entsprechend zu berücksichtigen ist. Auch wurden einige Änderungen im BauGB vorgenommen.

Sollten Sie Fragen zu dem Thema der kommunalen Wärmeplanung haben, beraten wir Sie gerne hierzu. Zudem verweisen wir auf unser gemeinsam mit PwC Legal stattfindendes Unternehmergespräch zur kommunalen Wärmeplanung am 28.11.2023, zu dem wir Sie gerne einladen.

Köln, den 21.11.2023

Alexander Thesling
Rechtsanwalt 
 

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Neue EU-Schwellenwerte im Vergaberecht ab 2024

Maßgeblich für die Frage, ob eine Leistung europaweit oder rein national ausgeschrieben werden muss, ist der geschätzte Auftragswert. Liegt dieser über den jeweils geltenden Schwellenwerten, so ist die Leistung europaweit zu vergeben. § 106 GWB enthält insoweit eine dynamische Verweisung. Dadurch wird verhindert, dass alle zwei Jahre das GWB neu angepasst werden muss. Die neuen Schwellenwerte werden so regelmäßig durch die EU-Kommission festgelegt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Bundesanzeiger bekanntgemacht, ohne dass eine Gesetzesanpassung erfolgt.

Nun hat die Kommission die neuen Schwellwerte veröffentlicht, welche in den Jahren 2024 und 2025 gelten werden.  So müssen öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB ab dem 01.01.2024 die nachfolgenden Schwellenwerte beachten:

-    Bauleistungen:                                                                        5.538.000 EUR netto
-    Liefer- und Dienstleistungen:                                                221.000 EUR netto
-    Liefer- und Dienstleistungen (Bundesbehörden):           143.000 EUR netto
-    soziale und besondere Dienstleistungen:                          750.000 EUR netto

Für Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 GWB gelten ab dem 01.01.2024 die nachfolgenden Schwellenwerte:

-    Bauleistungen:                                                                       5.538.000 EUR netto
-    Liefer- und Dienstleistungen                                                 443.000 EUR netto
-    soziale und besondere Dienstleistungen:                      1.000.000 EUR netto

Für Konzessionsgeber i.S.d. § 101 GWB gilt ab dem 01.01.2024 ebenfalls ein Schwellenwert von 5.538.000 EUR netto. 

Die Schwellwerte werden damit erneut leicht angehoben und tragen so der allgemeinen Preissteigerung Rechnung. 

Sollten Sie vergaberechtliche Fragen haben, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Schwellenwerten, können Sie uns jederzeit gerne kontaktieren.

Alexander Thesling
Rechtsanwalt
 

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Preisgleitklauseln – Zulässigkeit und Praktikabilität

Bereits in Zeiten vor der Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine spielten Preissteigerungen im Bausektor eine wesentliche Rolle. Dies äußerte sich etwa in einem rasanten Anstieg von Preisen für Stahl, Holz oder Bitumen. Aufgrund der globalen Entwicklungen in den letzten drei Jahren wurden solche Preissteigerungseffekte nochmals gesteigert und weiteten sich auf zusätzliche Bereiche aus. Mittlerweile sorgen Lieferkettenengpässe und horrende Energiekosten für Schwierigkeiten. Auftraggebern und Auftragnehmern wird es so erschwert, solide Kalkulationen vorzunehmen und Projekte für beide Parteien finanziell lohnenswert umzusetzen. Eine Vorhersage der preislichen Entwicklung ist nahezu unmöglich und erschwert daher auch die Realisierung von Bauvorhaben.

In der Vergangenheit – als sich die Steigerungen lediglich auf einzelne Produkte oder Produktgruppen auswirkten – wurde diesem Problem mit einer Stoffpreisgleitklausel begegnet. Doch stellt sich die Frage: Ist eine solche Klausel überhaupt noch praktikabel, wenn nahezu jeglicher (Bau-)Stoff davon betroffen ist? Wäre eine allgemeinere Preisgleitung nicht einfacher zu handhaben oder besteht auch die Möglichkeit, eine gewerkeweise Preisgleitung zu vereinbaren? Auf der anderen Seite können Preisgleitklauseln auch inflationsbeschleunigend wirken und die aktuelle Entwicklung weiter verstärken. Ihre Zulässigkeit ist daher im Preisklauselgesetz (PreisklG) stark eingeschränkt.

Daher befasst sich dieser Beitrag einerseits mit den Grundlagen zu Preisgleitklauseln, andererseits mit der Zulässigkeit anderer denkbarer Preisgleitungen. Allgemein handelt es sich bei Preisgleitklauseln um Wertsicherungsklauseln, welche aus drei Elementen bestehen. Neben den Anpassungsvoraussetzungen, also den Voraussetzungen, die die Anpassung des Preises auslösen, müssen auch der Bewertungsmaßstab und der Anpassungszeitpunkt festgelegt werden. Neben Aspekten des AGB-Rechts sollen auch vergabe- und preisklauselrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

1.    Das Preisklauselgesetz (PreisklG)

Nach dem Grundsatz des § 1 Abs. 1 PreisklG darf der Betrag von Geldschulden nicht unmittelbar und selbsttätig durch den Preis oder Wert von anderen Gütern oder Leistungen bestimmt werden, die mit den vereinbarten Gütern oder Leistungen nicht vergleichbar sind. Preisklauseln, die dagegen verstoßen, werden mit dem Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verstoßes unwirksam (§ 8 PreisklG). Das Verbot des § 1 Abs. 1 PreisklG gilt gemäß § 1 Abs. 2 PreisklG allerdings nicht für Leistungsverbotsklauseln, Spannungsklauseln, Kostenelementeklauseln und solche Klauseln, die lediglich zu einer Ermäßigung der Geldschuld führen. Außerdem bestehen nach den §§ 2 ff. PreisklG Ausnahmen vom generellen Verbot von Preisgleitklauseln insbesondere für langfristige Verträge.

a)    Stoffpreisgleitklauseln

Bei den üblichen Stoffpreisgleitklauseln handelt es sich regelmäßig um Kostenelementeklauseln im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisklG. In Kostenelementeklauseln wird der geschuldete Betrag insoweit von der Entwicklung der Preise oder Werte für Güter oder Leistungen abhängig gemacht, als diese die Selbstkosten des Gläubigers bei der Erbringung der Gegenleistung unmittelbar beeinflussen. Dies trifft für Stoffpreisgleitklauseln zu, die aufgrund eines Kostenelements den Gesamtpreis proportional anpassen lassen und es sich nicht nur um Selbstkosten des Auftragnehmers handelt, die sich mittelbar aus dem Erwerb des geschuldeten Guts ergeben. Eine Stoffpreisgleitklausel, wie sie etwa die Formblätter 225 und 225a des VHB Bund vorsehen, ist danach als Kostenelementeklausel nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisklG zulässig.

b)    Gewerkepreisgleitklauseln

Denkbar ist es auch, eine Gewerkepreisgleitklausel zu vereinbaren, welche die Preisgleitung an ein bestimmtes Gewerk, etwa die Dachdeckerarbeiten knüpft. Eine solche Klausel könnte ebenfalls als Kostenelementeklausel zulässig sein.

Zu den berücksichtigungsfähigen Selbstkosten des Auftragnehmers im Rahmen einer zulässigen Kostenelementeklausel gehören dabei nur solche, die die Kosten seiner Gegenleistung unmittelbar beeinflussen. Mittelbare Selbstkosten dürfen nicht Bestandteil der Preisgleitklausel werden. Mittelbare Kosten sind solche, die transaktionsunabhängig sind, also etwa die Büromiete. Die unmittelbaren Kosten werden jedoch erst durch die vertragliche Leistung ausgelöst. Es ist insoweit fraglich, ob einzelne Gewerke ein solches unmittelbares Kostenelement darstellen. Bei einem Generalunternehmervertrag werden beispielsweise regelmäßig einzelne Gewerke insgesamt fremdvergeben und nicht von dem Generalunternehmer selbst ausgeführt. Diese Gewerke wären dann als unmittelbare Kosten zu qualifizieren, da sie durch den Auftrag selbst ausgelöst werden. In diesem Fall wäre nach unserer Auffassung davon auszugehen, dass eine Gewerkepreisgleitklausel als Kostenelementeklausel nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisklG zulässig wäre.

Voraussetzung für eine Gewerkepreisklausel als zulässige Kostenelementeklausel ist außerdem, dass ein Index als Anpassungsmaßstab zur Verfügung steht und vereinbart wird, der die Preisentwicklung in genau dem jeweiligen Gewerk darstellt. Gewerkeweise Indizes finden werden durch das Statistische Bundesamt erhoben.

Wenn allerdings die Vereinbarung einer Gewerkepreisgleitklausel in einem Vertrag in Betracht gezogen werden soll, ergäbe sich ein praktisches Problem. Der Auftragnehmer müsste in den Vertragsverhandlungen bereits wissen, welche Gewerke er untervergeben wird. Nur diese Gewerke können nämlich rechtssicher einer gewerkeweisen Preisgleitung unterliegen. Noch komplizierter wird es bei förmlichen Vergabeverfahren. Hier müsste der öffentliche Auftraggeber bereits bei Erstellung der Vergabeunterlagen Kenntnis von den untervergebenen Gewerken haben. Eine solche Kenntnis ist jedoch bei dem Auftraggeber nicht vorhanden. Eine solche Klausel kann daher lediglich in privaten Bauverträgen eine Rolle spielen.

c)    allgemeine Preisgleitklausel

Eine „allgemeine“ Preisgleitklausel, nach der der gesamte Pauschalpreis nach einem Index angepasst werden soll, wäre hingegen keine Kostenelementeklausel und daher jedenfalls nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisklG nicht zulässig.

Eine solche allgemeine Preisindexierung könnte auch nicht als Spannungsklausel nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 PreisklG vereinbart werden. Unter diesen Tatbestand fallen Regelungen, bei denen die in ein Verhältnis zueinander gesetzten Güter oder Leistungen im Wesentlichen gleichartig oder zumindest vergleichbar sind. Insoweit besteht ein Begründungserfordernis. Es müsste daher definiert werden können, weshalb sich die zu erbringende Leistung auf den Gesamtpreis auswirkt und inwiefern ein bestimmter Index, etwa ein allgemeiner Baupreisindex, vergleichbar oder gleichartig mit der vereinbarten Leistung ist. Dies wird im Regelfall nicht gelingen.

Des Weiteren ist die Frage zu betrachten, welche Art von Index als Anknüpfungspunkt für eine allgemeine Preisgleitklausel verwendet werden kann. Hier kommt neben dem Baupreisindex auch der Baukostenindex als Maßstab in Betracht. Bei dem Baupreisindex handelt es sich um den Index, der die Preise für die Besteller – also den öffentlichen Auftraggeber – anzeigt. Der Baukostenindex hingegen stellt die Einkaufspreise der Unternehmer für Lohn und Material dar. Die Verwendung des Baukostenindexes erscheint näherliegend und interessensgerechter, da allein dieser die Kalkulationsfaktoren des Auftragnehmers betrifft. All diese Indizes werden vom Statistischen Bundesamt erhoben und veröffentlicht.

Ein allgemeiner Baupreisindex oder Baukostenindex ist jedoch nicht mit konkret vereinbarten Bauleistungen vergleichbar. Die Indizes sind sehr allgemein gehalten und differenzieren lediglich hinsichtlich Wohn-, Büro- und Gewerbegebäuden. Eine tiefergehende Differenzierung der Indizes findet lediglich in Bezug auf einzelne Gewerke statt (s. o.), jedoch nicht hinsichtlich Nutzung oder gar der Lage. So werden bereits bei der Ermittlung der Indizes nicht miteinander vergleichbare Objekte mit einbezogen. Zudem werden gegebenenfalls zu erbringende Planungsleistungen nicht bewertet. Dadurch ist auch eine Vergleichbarkeit mit der konkreten Leistung nicht gegeben.

Schließlich dürfte eine allgemeine Preisindexierung auch als Leistungsvorbehaltsklausel im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 PreisklG nicht in Frage kommen. Bei Leistungsvorbehaltsklauseln steht einer der beteiligten Parteien oder einem außenstehenden Dritter ein (möglicherweise begrenzter) Ermessensspielraum hinsichtlich des Ausmaßes der Änderung des geschuldeten Betrages zu. Das Interesse einer Partei, die Höhe der Vergütung in das einseitige Ermessen der anderen Partei zu legen, wird dabei naturgemäß sehr gering sein. Außer bei langfristig angelegten Geschäftsbeziehungen wird die eine Partei immer die eigenen Interessen im Blick behalten. Diese Lösung erscheint indes nicht praktikabel.

2.    Die AGB-Kontrolle

Preisgleitklauseln, die von Auftraggebern genutzt werden, sind im Regelfall Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), da sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind und einseitig gestellt werden.

Sie unterliegen damit der vollen AGB-Prüfung nach den §§ 307 ff. BGB. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 8 PreisklG, welcher besagt, dass die Unwirksamkeit der Klauseln nur durch Gerichte festgestellt werden kann. Diese Norm stellt lediglich eine speziellere Regelung zu § 306 BGB dar und verschiebt den Zeitpunkt der Unwirksamkeit der Klausel auf den der gerichtlichen Feststellung. Aus der Verschiebung des Zeitpunktes der Unwirksamkeit folgt, dass die Nutzung unwirksamer Preisgleitklauseln regelmäßig zunächst faktisch ohne Folge bleibt, da sie für ihre rechtliche Unwirksamkeit zunächst einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. Allerdings kann die Unwirksamkeit jederzeit in einem gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden.

Die AGB-Prüfung bei Preisgleitklauseln erfolgt somit umfassend. Insbesondere greift die Prüfungsbeschränkung aus § 307 Abs. 3 BGB für reine Preisvereinbarungen nicht, da es sich bei Preisgleitklauseln um kontrollfähige Preisnebenabreden handelt. In der Vergangenheit hat der BGH mehrfach Stoffpreisgleitklauseln als ungewöhnliche und überraschende Klauseln bewertet und deshalb als nach § 305c Abs. 1 BGB unwirksam beurteilt. So wurde 2014 die Stoffpreisgleitklausel „HVA B-StB-Stoffpreisgleitklausel 03/06“ für unwirksam erklärt (BGH, Urt. v. 01.10.2014 – VII ZR 344/13, NJW 2015, 49). Grund für die Bewertung der Klausel als überraschende Klausel war, dass sie den Auftragnehmer zur Vermeidung erheblicher Nachteile bei Stoffpreissenkungen dazu anhielt, bereits in seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abzuweichen. Durch diese spezielle Klausel war es möglich, dass der Auftrag-nehmer im Ergebnis für das beschaffte Material überhaupt keine Vergütung erhielt. Eine solche Klausel ist nach der zitierten Entscheidung des BGH derart unüblich, dass der Auftrag-nehmer mit ihr nicht rechnen musste.

Maßgeblicher Anpassungszeitpunkt für die Klausel war allein der Marktpreis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vergabeunterlagen. Dieser wurde dann mit dem Preis zum Zeitpunkt des Einbaus der Stoffe verglichen, um auf dieser Grundlage die Mehr- oder Minderaufwendungen zu ermitteln. Der BGH nannte ein Beispiel, in dem der Marktpreis zunächst auf EUR 1.000 festgesetzt wird. Bereits bis zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe sei dieser Preis auf EUR 500 gefallen, bliebe aber dann bis zum Einbauzeitpunkt stabil. Dies würde dazu führen, dass der Auftragnehmer keine Vergütung für den Stoff erhalte, da er selbst in seinem Angebot mit dem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Preis von EUR 500 kalkuliert habe.

Der BGH hat diese Rechtsprechung einige Jahre später bestätigt (BGH, Urt. v. 25.01.2018 – VII ZR 2019/14). Auch dort wurde die Stoffpreisgleitklausel für unwirksam erklärt, da auch diesmal der Auftragnehmer bei seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abweichen musste. Insbesondere ändere auch eine Branchenüblichkeit nichts daran, dass die Klausel als überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB und damit als unwirksam zu beurteilen sei.

Als Reaktion auf die beiden Urteile des BGH wurde die Stoffpreisgleitklausel im Vergabe-handbuch des Bundes mehrfach angepasst. Nach der aktuellen Fassung des Formblattes 225 gibt der Auftraggeber zu den betreffenden Stoffen Basispreise zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vergabeunterlagen an, die sowohl auf die Zeitpunkte des Angebotes als auch der Abrechnung indexiert werden. In dem alternativen Formblatt 225a werden die vom Bieter selbst eingetragenen Stoffpreise zum Zeitpunkt der Stellung des Angebotes als Grundlage für die spätere Preisanpassung verwendet. Dies verhindert, dass eine vom BGH bemängelte kalkulatorische Intransparenz entsteht. Eine gerichtliche Überprüfung der „neuen“ Klausel hat jedoch bisher nicht stattgefunden.

AGB-rechtliche Rechtsprechung zu Gewerkepreisgleitklauseln oder allgemeinen Preisgleit-klauseln gibt es, soweit ersichtlich, bisher nicht. Allerdings lässt sich die Rechtsprechung bezüglich der Stoffpreisgleitklauseln auf andere Preisgleitklauseln übertragen. „Überraschende“ Klauseln, die zu Abweichungen von allgemeinen Kalkulationsgrundsätzen zwingen, sind zu vermeiden. Ermöglicht wird dies durch klare Ermittlung der für die Preisanpassung maßgeblichen Bewertungsmaßstäbe sowie ggf. entsprechende Hinweise des Auftraggebers hinsichtlich der Risiken der Preisgleitklauseln, sofern sich diese nicht bereits aus der Klausel selbst ergeben.

Zivilrechtlich können allgemeine Preisgleitklauseln vereinbart werden. Deren Wirksamkeit bemisst sich umfassend nach den §§ 307 ff. BGB und sind einer allgemeinen AGB-Kontrolle zugänglich. Insbesondere Hinweise auf etwaige Risiken in der Vergütung durch den Auftragnehmer sind für die Transparenz erforderlich. Die Klauseln, die der BGH für unwirksam erklärt hat, sind in ihrem Aufbau und Inhalt der Klausel des Formblattes 225 sehr ähnlich. Jedoch handelt es sich bei dem aktuellen Formblatt um ein angepasstes Formular, das die Rechtsprechung des BGH berücksichtigt. So wurde das aktuelle Formblatt 225 bisher nicht als unwirksam und überraschend angesehen, jedoch auch nicht abschließend gerichtlich überprüft. Daher sollte bei der Ausgestaltung der Klausel und der Vergabeunterlagen ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, die Transparenz zu wahren. Jegliche Unklarheiten bei der Auslegung gehen zu Lasten des Verwenders nach § 305c Abs. 2 BGB.

3.    Das Vergaberecht

Die Thematik von Preisgleitklauseln ist im Vergaberecht bei Bauleistungen insbesondere im § 9d EU VOB/A verankert. Diese Vorschrift regelt die Voraussetzungen für eine Änderung der Vergütung bei der Vergabe von Bauleistungen. Denn bei einer Preisgleitklausel handelt es sich um eine Abweichung von dem Grundsatz, dass der Preis als notwendiger Mindestinhalt in Verträgen fest vereinbart ist. Eine Änderung dieser Vergütung ist daher nur möglich, wenn es sich um zu erwartende, wesentliche Änderungen der Preisermittlungsgrundlagen handelt. Der Eintritt und/oder das Ausmaß dieser Änderungen muss zudem ungewiss sein und die Änderung der Vergütung angemessen. Nach § 9d EU S. 2 VOB/A sind schließlich die Einzelheiten der Preisänderung festzulegen.

Dies bedeutet, dass die Preisentwicklung der Baukosten vor ungewissen Änderungen stehen muss. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Lieferkettenprobleme, der Baupreissteigerung der letzten Jahre, der aktuell sehr dynamischen Entwicklung der Energiekosten, der generellen Inflation und der Auswirkungen des Ukrainekrieges sowie weiterhin Folgen der Corona-Pandemie ist es derzeit nahezu unmöglich vorherzusagen, wie sich die Preise entwickeln werden und in welchem Umfang sie dies tun werden. Zudem sind die Umstände, die zu den Änderungen führen können, nicht von den Vertragsparteien beeinflussbar.

Weiter müssten wesentliche Änderungen zu erwarten sein. Wann eine Änderung wesentlich ist, ist anhand einer Einzelfallbetrachtung zu bewerten. Wie bereits zuvor ausgeführt, sind größere Preisschwankungen in nahezu allen Gewerken und Kostenelementen zu erwarten. Daher ist auch mit wesentlichen Änderungen dieser Kostenelemente zu rechnen. Möglich ist außerdem die Bestimmung einer Minimalschwelle, ab der Indexentwicklungen zu einer Preisanpassung führen, wie dies das Formblatt 225 des VHB Bund auch vorsieht.

Bei der Verwendung einer Preisklausel muss aus den Vergabeunterlagen eindeutig hervorgehen, inwiefern diese für den Zuschlag relevant ist. Dabei kann der Auftraggeber entweder die Klausel für alle Bieter gleichermaßen vorgeben. Oder er unterzieht die angebotene Klausel ebenfalls der Wertung. Einfacher in der Anwendung ist sicherlich erstere Alternative, da so eine Vergleichbarkeit der Angebote besser möglich ist. Die wirtschaftliche Bedeutung unterschiedlicher Klauseln wäre hingegen im Rahmen der abschließenden Wertung nur schwer zu beurteilen. Ein Wertungsmaßstab bei den Zuschlagskriterien wäre daher nur schwer zu finden.

Über die Art der zu verwendenden Preisgleitklauseln trifft das Vergaberecht keine Regelungen. Als Anknüpfungsparameter kommen neben den Lohn- und Materialkosten auch Transportkosten oder Umsatzsteuerklauseln in Betracht. Auch eine bereits genannte Anknüpfung an die Gewerke ist aus vergaberechtlicher Sicht möglich. Preisänderungsklauseln, die etwa als Leistungsvorbehaltsklauseln ein Ermessen einer der Beteiligten oder eines Dritten vorsehen, wären hingegen unzulässig, weil sie entgegen § 9d EU S. 2 VOB/A die Einzelheiten der Preisänderung nicht festlegen.   

4.    Zusammenfassung

Abschließend ist festzuhalten, dass Preisgleitklauseln gem. § 1 Abs. 1 PreisklG grundsätzlich unzulässig sind. Allerdings fallen die üblichen Stoffpreisgleitklauseln unter den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisklG. Auch eine Preisgleitklausel, die auf die Gewerke abstellt, wäre nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PreisklG zulässig, wenn einzelne Gewerke vollständig untervergeben werden und somit als Kostenelemente des Auftragnehmers einzustufen sind sowie ein das betreffende Gewerk abbildender Index als Anpassungsmaßstab vereinbart wird. Eine allgemeine Preisklausel, angebunden z. B. an den Baupreisindex oder den Baukostenindex, ist hingegen je nach Ausgestaltung entweder unzulässig oder unpraktikabel.

Hinsichtlich der Ausgestaltung der Klausel im Vertragswerk ist vor allem auf die Vermeidung einer überraschenden Regelung und auf Transparenz zu achten. Der BGH hat mehrfach Klauseln, die den Auftragnehmer benachteiligen können, als unwirksam erklärt, sofern dieser dadurch angehalten wird, bereits bei seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abzuweichen. Außerdem müssen auch die maßgeblichen Bewertungsmaßstäbe für die Preisanpassung, ähnlich wie bereits beim PreisklG, hinreichend bestimmt sein und dürfen den Auftragnehmer nicht einseitig benachteiligen.

Die vergaberechtlichen Voraussetzungen für die Verwendung einer Preisgleitklausel sind insoweit erfüllt, als eine wesentliche Änderung der Preise zu erwarten ist, deren Ausmaß jedoch ungewiss ist. Die Klausel selbst muss die Einzelheiten der Preisänderung festlegen.

Dies zeigt jedoch auch eindringlich, dass Klauseln, die auf den ersten Blick unkomplizierter und pragmatischer wirken als die sehr detailreiche Stoffpreisgleitklausel, ebenfalls mit eigenen Risiken und Fallstricken einhergehen, die schlimmstenfalls zu einer Unwirksamkeit der verwendeten Klausel und komplizierten Rückabwicklungen führen kann. Daher gilt es, eine solche Klausel sorgsam in das Vertragskonstrukt einzubinden. Die Relevanz von Preisgleitklauseln wird jedenfalls mittelfristig nicht abnehmen, sondern eher an Bedeutung gewinnen. Wie die Entwicklung der Ausgestaltung aussehen wird, gilt es hingegen zu beobachten und abzuwarten.
 

Alexander Thesling                      David Poschen                                       Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt                                Rechtsanwalt                                         Rechtsanwalt
                                                          Fachanwalt für Vergaberecht            Fachanwalt für Verwaltungsrecht


10. November 2022

 

 

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Die Europäische Kommission legt einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz vor

Bereits im Jahr 2021 hat der deutsche Gesetzgeber das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ (LkSG) beschlossen. Dieses tritt zum 01.01.2023 in Kraft; Adressaten dieses Gesetzes sind dann Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mindestens 3.000 Arbeitnehmern. Im Jahr darauf wird die Zahl der maßgeblichen Arbeitnehmer auf 1.000 herabgesenkt, wodurch immer mehr Unternehmen unmittelbar von diesem Gesetz betroffen sein werden. Das Gesetz soll – ganz allgemein gesprochen – die Durchsetzung von Menschen- und Umweltrechten in den globalen Lieferketten durchsetzen. Zu dem Gesetz gab es Kritik, dass hierdurch nationale Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren internationalen Konkurrenten hätten. Ebenfalls wurde kritisiert, dass das Gesetz nicht weit genug gehe, da etwa keine eigene Haftung enthalten sei. Außerdem, so hieß es, könne die nationale Regelung zeitnah obsolet werden, da die EU ebenfalls eine Regelung zu Umwelt- und Menschenrechten in globalen Lieferketten plane.

Und der Entwurf einer solchen Richtlinie wurde, mit einiger Verzögerung, nun von der Europäischen Kommission vorgelegt. Das Europäische Parlament hatte die Kommission bereits vor einiger Zeit aufgefordert, einen entsprechenden Entwurf zu erarbeiten. Dieser sollte eigentlich auch bereits im Jahre 2021 vorgelegt werden. Nun ist er „endlich“ da. Der offizielle Name lautet „Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit.“ Und jetzt stellt sich die Frage: „Was lange währt, wird endlich gut?“

Dies ist sicher eine Frage, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht eindeutig zu beantworten ist. Denn es ist noch unklar, wie der genaue Text der Richtlinie am Ende lauten wird. Zunächst müssen das Europäische Parlament und der Europäische Rat die Richtlinie noch billigen, so dass es noch zu Änderungen des Regelungsrahmens kommen kann. Nach der Ratifizierung haben die Mitgliedstaaten dann zwei Jahre Zeit, die Regelungen in nationales Recht umzuwandeln. Dennoch lohnt sich bereits jetzt ein Blick in die europäische Regelung und die darin enthaltenen Abweichungen von dem deutschen LkSG. Wo genau liegen also die Unterschiede in den Regelungen?

Da wäre zum einen der unterschiedliche sachliche Anwendungsbereich. Von der europäischen Regelung sind (europäische) Unternehmen bereits ab einer Arbeitnehmeranzahl von 500 Beschäftigten betroffen. Andererseits muss ein Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit erzielt werden; im LkSG sind keine Umsatzschwellen geregelt. Für gewisse, besonders risikobehaftete Unternehmen gilt die Richtlinie bereits ab 250 Beschäftigten und einem Umsatz von netto 40 Mio. EUR weltweit. Gleiches gilt für in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, sofern die Umsatzzahlen innerhalb der EU erwirtschaftet werden. Zu den risikobehafteten Sektoren zählen dabei etwa die Textilindustrie und der Bergbau, nicht jedoch das Transportwesen oder die Bauindustrie.

Einschränkungen nimmt die europäische Regelung hingegen bei der Definition der Lieferkette vor, da diese nur erfasst ist, wenn es sich um etablierte Geschäftsbeziehungen („established business relationship“) handelt. Wer also bereits an der nationalen Regelung Kritik aufgrund mangelnder Bestimmtheit geäußert hat, wird sicherlich nicht durch die europäische Regelung überzeugt werden. Hier wird es einer weiteren Klärung durch die Gerichte und Leitlinien der Kommission bedürfen.

Weiter als das LkSG geht die Richtlinie jedoch in der Haftungsfrage. Fehlt dem LkSG noch eine eigene Haftungsregelung, ist eine solche in der Richtlinie enthalten. Dies ermöglicht es Betroffenen gegen Unternehmen zu klagen, die gegen die Sorgfaltspflichten verstoßen. Ebenfalls sind Bußgeldtatbestände und weitere Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen. Im Übrigen finden sich bereits aus dem LkSG bekannte Pflichten wie das Monitoring, die Identifizierung von Risiken und die Entwicklung von Abhilfemaßnahmen auch in dem Richtlinienentwurf wieder. Neu hingegen ist, dass die Unternehmen ebenfalls einen Klimaschutzplan erstellen müssen, welcher die Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen darlegt.

Wie beim LkSG, gilt es auch bei dem Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission abzuwarten, wie die Regelungen tatsächlich durch die Behörden überwacht und durchgesetzt werden. Jedoch sollte der Aufwand, der auf die betroffenen Unternehmen und auch mittelbar auf die Vertragspartner dieser Unternehmen zukommt, nicht unterschätzt werden. Bereits jetzt sollten Unternehmen Strategien entwickeln, wie sie die zahlreichen Pflichten der Regelungen erfüllen können, um so mitunter sehr drastische Strafen zu vermeiden.
 

Alexander Thesling
Rechtsanwalt

15. März 2022

 

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Änderung der Kommunalen Vergabegrundsätze NRW

Durch einen Runderlass vom 13.12.2021 hat das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen die Vergabegrundsätze für Gemeinden nach § 26 der Kommunalhaushaltsverordnung Nordrhein-Westfalen (Kommunale Vergabegrundsätze) geändert. Eigentlich traten die Kommunalen Vergabegrundsätze am 31.12.2021 außer Kraft, wurden jedoch nunmehr um ein Jahr verlängert und teilweise abgeändert. So wurden die Auftragswerte teilweise angehoben, bis zu denen eine Direktvergabe, eine freihändige Vergabe oder eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb möglich ist.

Seit dem 14.12.2021 können Bauleistungen sowie Liefer- und Dienstleistungen bis zu einem Auftragswert von EUR (netto) 25.000 ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens direkt vergeben werden. Bisher war dies nur bis zu einem Auftragswert von EUR (netto) 15.000 möglich. Eine freihändige Vergabe nach § 3 Nr. 3 VOB/A kann bei Bauleistungen bis zu einem Gesamtauftragswert von EUR (netto) 200.000 oder für jedes Gewerk bis zu einem Einzelauftragswert von EUR (netto) 100.000 durchgeführt werden. Eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3 Nr. 2 VOB/A ist bei Bauleistungen sogar bis zu einem Gesamtauftragswert von EUR (netto) 2.000.000 möglich. Bei Einzelauftragswerten kann dieses Verfahren bis zu einem Wert von EUR (netto) 1.000.000 gewählt werden.

Diese angepassten und erhöhten Grenzwerte bieten den Gemeinden in NRW somit mehr Spielraum, insbesondere kleinere Bauleistungen ohne Durchführung eines komplexen und zeitaufwendigen Vergabeverfahrens zu vergeben. Die Auftragsgrenzwerte werden dabei teilweise fast verdoppelt. Dies sollte den öffentlichen Auftraggeber entgegenkommen und eine zügigere Abwicklung unterhalb der neuen Grenzwerte ermöglichen. Unter dem nachfolgenden Link finden Sie den genauen Wortlaut des Runderlasses:

MBl. NRW. Ausgabe 2021 Nr. 38 vom 30.12.2021 Seite 1095 bis 1120 | RECHT.NRW.DE

Sollten Sie Fragen zu den neuen Grenzwerten und der Anwendbarkeit der Kommunalen Vergabegrundsätze NRW haben, melden Sie sich gerne bei uns.

Alexander Thesling                                             
Rechtsanwalt

Dr. Norbert Reuber                                           
Rechtsanwalt                                                          
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

5. Januar 2022

 

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Falsche Eignungsprüfung: Vertrauensschutz des Bieters?

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 19.03.2021, Verg 9/21, welche Gegenstand dieser Besprechung ist, hat bereits zu einiger Irritation geführt (Vergabeblog.de vom 06/09/2021, Nr. 47800).  Denn es überrascht durchaus, dass das Gericht den Vertrauensschutz des vermeintlich ungeeigneten Bieters höher gewichtet als das Vertrauen der übrigen Bieter in die Grundsätze der Vergabe. Dabei lässt das Gericht nur einen kleinen Ausweg im Falle eines Missbrauchs offen, welcher in dieser Entscheidung vom 19.03.2021 keine Rolle spielte. Insbesondere die Konsequenz aus dieser Entscheidung, den Rechtsschutz der übrigen Bieter gänzlich auszuschließen, sorgt dabei für Verwunderung.

I.    Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Vergabe der Programmierung von Systemsoftware in einem Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Nach Eingang der Teilnahmeanträge stellte der Auftraggeber die Eignung sowohl der Antragstellerin als auch der Beigeladenen in dem Nachprüfungsverfahren fest. Nach Unterrichtung der Antragstellerin durch ein Vorabinformationsschreiben des Auftraggebers, in dem der Auftraggeber mitteilte, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene. Die Antragstellerin war der Ansicht, dass die Beigeladene die Eignungskriterien nicht erfüllen könne, da entsprechende Referenzen nicht vorliegen könnten. Nachdem der Auftraggeber der Rüge nicht abhalf, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer Rheinland. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück. Daraufhin legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer beim OLG Düsseldorf ein.

II.    Entscheidung und rechtliche Erwägungen

Das OLG lehnte den Antrag der Antragstellerin ebenfalls ab. Die Gründe, welche das Gericht hierfür aufführte, überraschen dabei jedoch.

Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Die Antragstellerin sei nicht in ihrem Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Ein Wertungsausschluss des Angebots der Beigeladenen wegen einer ungenügenden Referenz käme nicht mehr in Betracht, da die Eignung im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs bereits festgestellt wurde. Durch die positive Feststellung der Eignung habe der Auftraggeber einen Vertrauenstatbestand nach Treu und Glauben geschaffen, der einen nachträglichen Ausschluss des Angebots unmöglich mache. Die Mitbieter in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb haben danach einen Vergaberechtsverstoß ab Begründung des Vertrauenstatbestands zu dulden. Vorliegend prüfte das Gericht die Referenz nicht. Etwas anderes könnte lediglich dann gelten, wenn die fehlerhafte Bejahung der Eignung auf sachfremden, manipulativen Erwägungen beruhe. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall.

III.    Kritik

Die Begründung des OLG Düsseldorf in der vorliegenden Entscheidung überzeugt nicht. Insbesondere verkennt sie den Grundsatz der Gleichbehandlung im Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 2 GWB. Ebenso ist das Ergebnis nicht mit § 122 Abs. 1 GWB und dem darin enthaltenen Grundsatz der Eignung vereinbar. Auch der Verweis auf die vom Gericht zitierte vorausgehende Rechtsprechung ist für die getroffene Entscheidung nicht überzeugend.

Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung ergibt sich, dass alle Bewerber und Bieter gleichbehandelt werden müssen. Diejenigen Bieter, die die Eignungskriterien erfüllen, haben auch ein begründetes Vertrauen darin, dass ungeeignete Bieter nicht den Zuschlag erhalten. Damit einher geht die Regelung aus § 122 GWB, nach der Aufträge nur an geeignete Unternehmen vergeben werden. Diese Regelung lässt insofern eigentlich keinen Auslegungsspielraum zu, dass auch ein ungeeignetes Unternehmen einen öffentlichen Auftrag erhalten kann.

Zwar ist nachvollziehbar, dass das Gericht der Beigeladenen grundsätzlich zuspricht, Vertrauen in die ausgesprochene Eignungsentscheidung zu haben. Die Argumentation, weshalb das Angebot dann im Nachgang jedoch nicht ausgeschlossen werden darf, überzeugt hingegen nicht. Vielmehr schützt ein möglicher Vertrauenstatbestand lediglich das Vertrauen des Bieters in seine Eignung, nicht jedoch in die Auftragserteilung. Ein Vertrauensschaden kann sich dabei nur auf die Aufwendungen für die Angebotserstellung beziehen, aber der Vertrauenstatbestand darf nicht zu einer Zuschlagserteilung an einen ungeeigneten Bieter führen. Die Beigeladene durfte dementsprechend nicht darauf vertrauen, den Zuschlag zu erhalten. Ein solcher Vertrauenstatbestand würde zu weit gehen. Es muss dem Auftraggeber gestattet sein, einen zu Unrecht für geeignet erklärten Bieter auch noch zu einem späteren Zeitpunkt des Vergabeverfahrens aufgrund der mangelnden Eignung auszuschließen. Hinsichtlich der Duldung des Vergaberechtsverstoßes verweist das Gericht auf einen Senatsbeschluss vom 3. April 2019, VII-Verg 49/18 (OLG Düsseldorf). Dieser Entscheidung lag jedoch eine andere Konstellation zu Grunde, da die fehlende Referenz dort nachgereicht wurde. Insofern überzeugt auch dieser Verweis nicht.

Sofern man der Argumentation des OLG Düsseldorf folgt, besteht für einen tatsächlich geeigneten Bieter keinerlei Möglichkeit, seine Rechte aus § 97 GWB gegenüber dem ungeeigneten – aber fälschlicherweise durch den Auftraggeber als geeignet bestätigten – Bieter zu verteidigen. Denn zum Zeitpunkt der Eignungsfeststellung hat ein Bieter keine Informationen über den restlichen Bieterkreis und deren Eignung. Daher kann er auch keine Einschätzung zur fehlerhaften Eignung eines Konkurrenten vornehmen. Die Feststellung der Eignung durch den Auftraggeber stellt jedoch - nach dem OLG Düsseldorf - einen Vertrauenstatbestand dar. Zu einem späteren Zeitpunkt würde dieser Vertrauenstatbestand den eigentlich ungeeigneten Bieter dann hingegen schützen. Ob dies mit dieser Konsequenz vom OLG Düsseldorf gewollt ist, darf bezweifelt werden.

IV.    Zusammenfassung

Es bleibt abzuwarten, ob es sich bei der Entscheidung des OLG um eine Einzelfallentscheidung handelt oder ob die Entscheidung auch für zukünftige Verfahren Gültigkeit hat. In Anbetracht der zuvor geäußerten und dargelegten Kritik, wäre es wünschenswert, wenn das OLG Düsseldorf zukünftig nicht an der Entscheidung festhalten würde. Denn die Rechte der übrigen Bieter müssen ebenfalls gewahrt werden. Sie genießen insofern auch einen Vertrauensschutz im Hinblick auf ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren. Daher bleibt zu hoffen, dass es sich lediglich um eine Einzelfallentscheidung handelt.

Alexander Thesling
Rechtsanwalt

David Poschen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht

6. Oktober 2021

 

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Hochwasser und Dringlichkeitsvergabe

Es waren schreckliche Bilder, die wir in den vergangenen Tagen an Bildschirmen und in Zeitungen verfolgen mussten. Die Flutkatastrophen in Rheinland-Pfalz und NRW oder zuletzt in Bayern und Sachsen ließen große Zerstörung zurück. Die Schäden, die durch die Wassermassen entstanden sind, werden noch lange aufgearbeitet und beseitigt werden müssen. Hier ist, neben Versicherern und der Gesellschaft, auch der Staat in besonderem Maße gefragt. Denn neben individuellen Schäden wurde auch die Infrastruktur erheblich geschädigt. So sind etwa Autobahnen, Straßen, Brücken und Leitungen sowie Netzinfrastrukturen nicht nur teilweise, sondern mancherorts auch vollständig zerstört. In den kommenden Wochen, Monaten und Jahren wird beim Wiederaufbau der Infrastruktur das Vergaberecht eine wichtige Rolle einnehmen. Um einen möglichst raschen Wiederaufbau zu gewährleisten, ist insbesondere auch die Wahl des Vergabeverfahrens entscheidend. Bisher sind noch keine Maßnahmen zur Vereinfachung der Vergaben durch den Gesetzgeber oder die zuständigen Ministerien bekannt. 


Im Folgenden geben wir Ihnen daher einen Überblick über die bestehenden Regelungen des Vergaberechts zur Dringlichkeitsvergabe. Auch die jüngste Rechtsprechung des OLG Düsseldorf vom 20. Dezember 2019 wird berücksichtigt. Dabei werden die Regelungen unterteilt in den Oberschwellenbereich, den Unterschwellenbereich und in die Sektorenvergabe. Am Ende wird die Frage beantwortet, welche Fristen bei Vergaben im Zusammenhang mit dem Hochwasser zu beachten sind und ob eine Dringlichkeitsvergabe möglich ist.

 

1)    Öffentliche Aufträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte

Maßgeblich für die Zulässigkeit des Vergabeverfahrens im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist bei Bauaufträgen oberhalb des Schwellenwerts – EUR 5,35 Mio. – § 3a EU Abs. 3 VOB/A. Nach Abs. 3 Nr. 4 der Norm ist ein solches Verfahren zulässig, wenn „äußerste Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen“ infolge von Ereignissen besteht, die der Auftraggeber weder verursacht hat, noch hätte voraussehen können. Folgende Voraussetzungen müssen für die Zulässigkeit dieses Verfahrens erfüllt sein:

a)    Einhaltung der Fristen ist nachweislich nicht möglich.

b)    Dies ist aufgrund von Ereignissen der Fall, die der Auftraggeber nicht verursacht hat bzw. nicht vorhersehen konnte.

c)    Ein Kausalzusammenhang zwischen den Ereignissen und der Dringlichkeit.


Zwar haben die Auftraggeber das Ereignis, also das Hochwasser, nicht verursacht und konnten es auch nicht vorhersehen. Jedoch ist das Merkmal der Dringlichkeit sehr eng auszulegen, so dass die Vorschrift nur bei Gefahren für Leben und Gesundheit zum Tragen kommt. So entschied etwa das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 20.12.2019 (Az. Verg 18/19, Rn. 46)1. Äußerste Dringlichkeit kann nach dieser Rechtsprechung insbesondere nicht mit „bloßen wirtschaftlichen Erwägungen“ begründet werden. Akute Gefahren für Leib oder Leben bestehen infolge der durch die Flutkatastrophe zerstörten Infrastruktur in der Regel jedoch nicht. Eine Vergabe im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist somit derzeit grundsätzlich unzulässig. 


Wir halten es jedoch für möglich, dass eine Katastrophe, wie wir sie in der vergangenen Woche erlebt haben, zu einer anderen Bewertung seitens der Rechtsprechung führen kann. Es gibt gute Argumente, die für die Annahme der äußersten Dringlichkeit im Sinne des § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A sprechen. So stellt die zerstörte Infrastruktur zwar keine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben der betroffenen Bürger dar. Allerdings ist durch die Zerstörung teilweise die Versorgung etwa mit Frischwasser nicht gewährleistet. Ebenfalls sorgen die beschädigten Straßen für eine schlechte Anbindung an Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsdienste oder den öffentlichen Nahverkehr. Dies hat auch mittelbare Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen vor Ort. Und dabei ist auch die Erreichbarkeit der besonders schwer getroffenen Regionen ein Faktor, der nicht nur wirtschaftliche Erwägungen beinhaltet. Vielmehr handelt es sich auch um Gefahren für Leib und Leben der Menschen vor Ort, wenn auch nicht akut. Die Annahme einer äußersten Dringlichkeit bei Vergaben im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der zerstörten Regionen und Ortschaften erscheint durchaus vertretbar. Zudem dürfte es den Bewohnern der schwer betroffenen Orte kaum vermittelbar sein, dass ihr Bedürfnis nach einer funktionierenden Infrastruktur gegenüber den Interessen möglicher Bieter an einer Beteiligung am Wettbewerb zurücktreten soll. Inzwischen vertritt auch des Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) NRW die Auffassung, dass Dringlichkeitsvergaben zur Beseitigung der jetzt entstandenen Notstandsituation zulässig sei 2.


Jedenfalls sehen die §§ 10a EU und 10b EU VOB/A die Möglichkeit einer Verkürzung der Fristen bei Dringlichkeit in den übrigen Verfahren vor, selbst wenn man die Annahme der „äußersten Dringlichkeit“ verneint. Die Anforderungen an die Verkürzung der Fristen sind hier geringer, die Dringlichkeit darf jedoch ebenfalls nicht auf ein Verhalten des Auftraggebers zurückzuführen sein. Eine solche Dringlichkeit kann durchaus mit der Wichtigkeit einer funktionierenden Infrastruktur begründet werden.


Für Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen (z. B. Planungsleistungen) oberhalb des Schwellenwertes (EUR 214.000) gelten die Regelungen der VgV. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bedarf es ebenfalls äußerst dringlicher Grunde. Somit gelten die gleichen Ausführungen wie zur Vergabe von Bauleistungen. 

       

2)   Öffentliche Aufträge unterhalb des EU-Schwellenwertes

Für eine Dringlichkeitsvergabe bei Bauaufträgen unterhalb des oben genannten Schwellenwertes gilt § 3a Abs. 3 Nr. 2 VOB/A. Danach wäre eine freihändige Vergabe der Bauleistungen möglich. Entscheidendes Merkmal ist in dieser Norm die besondere Dringlichkeit. Die Anforderungen sind nicht so streng wie in § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A. Die besondere Dringlichkeit liegt allerdings auch nur in solchen Fällen vor, in denen die verkürzte Frist bei einer beschränkten Ausschreibung nicht eingehalten werden kann. Ein solcher anerkannter Fall ist die Beseitigung von Katastrophenschäden (vgl. Stolz, in Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B, § 3a VOB/A, Rn. 27). Eine freihändige Vergabe von Bauleistungen im Unterschwellenbereich ist demnach zulässig.   
Ebenfalls zulässig ist die Vergabe im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 VOB/A. Die hier geforderte Dringlichkeit ist bei einer Schadensbeseitigung gegeben. 


Für die Vergabe von Dienstleistungen ist im Unterschwellenbereich die UVgO maßgeblich. Nach § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO besteht die Möglichkeit der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb, wenn Gründe für die besondere Dringlichkeit der Vergabe vorliegen. Wie zuvor dargestellt, ist die Beseitigung von Katastrophenschäden als Fall der besonderen Dringlichkeit anerkannt.

 

3)    Sektorenvergabe

Im Rahmen der Sektorenvergabe geht es insbesondere um den Wiederaufbau von Netzen, sowohl im Bereich der Trinkwasser- als auch der Energieversorgung. Nach § 1 SektVO müssen Sektorenauftraggeber gemäß § 100 GWB ebenfalls das Vergaberecht beachten, wenn die Vergabe im Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit steht. Für die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO maßgeblich. Hiernach bedarf es äußerst dringlichen, zwingenden Gründen. Hierfür müssen ebenfalls drei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein:

a)    Ein unvorhergesehenes Ereignis.

b)    Dringliche und zwingende Gründe, die die Einhaltung von Fristen nicht zulassen.

c)    Ein Kausalzusammenhang zwischen den ersten beiden Punkten.


Hier gelten die gleichen Grundsätze wie unter Punkt 1.). Die äußerste Dringlichkeit kann auch hier grundsätzlich nicht angenommen werden. Nach unserer Auffassung ist aber die Annahme der äußersten Dringlichkeit mit den zuvor aufgeführten Argumenten auch hier vertretbar.


Dem Sektorenauftraggeber steht es demnach frei, zwischen den Verfahren nach § 13 Abs. 1 SektVO zu wählen. Hier besteht etwa beim offenen Verfahren die Möglichkeit der Fristverkürzung, § 14 Abs. 3 SektVO. Voraussetzung ist die hinreichend begründete Dringlichkeit. Dies dürfte bei der Folgenbeseitigung einer Naturkatastrophe anzunehmen sein.


4)    Ergebnis

Um die Folgen des Hochwassers zu beseitigen, können öffentliche Auftraggeber im Rahmen des Vergaberechts die Verfahren beschleunigen. Zwar ist es nach der bisherigen Rechtsprechung bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte grundsätzlich nicht möglich, eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen. Ob diese Rechtsprechung im Hinblick auf die jetzige Flutkatastrophe Bestand hat, bleibt abzuwarten. Wir meinen jedenfalls, dass im Einzelfall gute Argumente für die Zulässigkeit der Dringlichkeitsvergabe sprechen können. Jedenfalls können entsprechende Fristen sowohl nach den Regelungen der VOB/A EU und der VgV, als auch nach der SektVO verkürzt werden.


Im Rahmen von Vergaben unterhalb des Schwellenwertes besteht sogar die Möglichkeit einer freihändigen Vergabe. Die Anforderungen an die Dringlichkeit sind im § 3a Abs. 3 Nr. 2 VOB/A nicht so streng. 


Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber und die zuständigen Ministerien auf die Flutkatastrophe ähnlich wie auf die Corona-Pandemie mit Erleichterungen im Vergaberecht reagieren. Einen schnellen Wiederaufbau der Infrastruktur in den besonders stark betroffenen Gebieten würden solche Regelungen jedenfalls beschleunigen.

 

Alexander Thesling
Rechtsanwalt

 

Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

1.  ferner OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.06.2015 – Verg 39/14; OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 – 2 Verg 1/14; OLG Celle, Beschl. v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, OLG München,

2.  Erlass des MHKBG vom 19.07.2021.

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