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DIE NOVELLE DER BAUO NRW: SOLARANLAGENPFLICHT, SCHOTTERGARTENVERBOT SOWIE VIELE BAUERLEICHTERUNGEN

I. Erleichterungen und Pflichten im Bereich Windenergie, Solarenergie und Wärmepumpen

Die Novelle steht ganz im Zeichen der energetischen Transformation des Landes und schafft hierbei in und mit verschiedenen Vorschriften die notwendige rechtliche Grundlage.

1. Neuerungen im Bereich der Windenergie

Der Landesgesetzgeber hat sich zum Ziel gesetzt, den Ausbau der Windenergie weiter zu beschleunigen, indem Verfahren erleichtert und materiell-rechtliche Erschwernisse reduziert werden. Eine bemerkenswerte Neuerung ist eine besondere Privilegierung der Windenergieanlagen im Bereich das Abstandsflächenrechts. Während in der aktuellen Fassung die Tiefe der Abstandsflächen von Windenergieanlagen 50 Prozent ihrer größten Höhe ausmacht, wird die Tiefe zukünftig lediglich 30 Prozent im Allgemeinen und sogar 20 Prozent in Gewerbe- und Industriegebieten betragen. In manchen Fällen lösen Windenergieanlagen sogar gar keine Abstandsflächen aus (vgl. § 6 Abs. 1 S. 3 BauO NRW n.F.). Diese Privilegierungen reihen sich ein in vergangene Maßnahmen des Landesgesetzgebers, das Bauen von Windenergieanlagen zu erleichtern, nicht zuletzt durch die Streichung des § 2 und 3 BauGB-AG NRW a.F. Danach mussten sogenannte privilegierte Windenergieanlagen noch einen pauschalen Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohngebäuden einhalten.

Auch bedürfen Genehmigungen von Windenergieanlagen zukünftig nicht mehr des vollständigen Genehmigungsverfahrens. Mit § 64 Abs. 2 BauO NRW n.F. werden die Errichtung und das Repowering von Anlagen iSd. Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. Dezember 2018, die der Nutzung von Energien aus erneuerbaren Quellen dienen, dem Regime des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens unterworfen.

Um Projektentwicklern und Bürgern den privaten Ausbau Anlagen erneuerbarer Energien zu erleichtern, soll auch ein Verfahrenshandbuch analog und online zur Verfügung gestellt werden, um ein besseres Verständnis für die Bauverfahren zu schaffen.

2. Neuerungen im Bereich Solarenergieanlagen, insbesondere Solaranlagenpflicht

Der Ausbau erneuerbarer Energie gehört zu den Hauptanliegen des Landesgesetzgebers. Mit der Novelle soll nicht nur der private Ausbau von Solaranlagen erleichtert, sondern auch mit einer Solaranlagenpflicht erzwungen werden.

Um den Ausbau von Solaranlagen zu fördern, wurde mit der Novelle der bisher bauordnungsrechtlich vorgegebene Mindestabstand von Solaranlagen zu Brandwänden aufgegeben. Dieser Mindestabstand hat in der Praxis dazu geführt, dass in vielen Fällen eine wirtschaftliche Installation von Solaranlagen auf Dächern von schmalen Gebäuden nicht möglich war.

Auch verfahrensrechtlich erfahren Solarenergieanlagen eine Privilegierung. Nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauO NRW n.F. sind Solaranlagen mit einer Höhe bis zu 3 Metern und einer Grundfläche bis zu 100 m² verfahrensfrei und benötigen daher keine Baugenehmigung. Das gleiche gilt nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BauO NRW n.F. für die Bestückung von Stützmauern und Einfriedungen.

Gänzlich neu ins Gesetz kommt mit § 42a BauO NRW n.F. eine Pflicht zur Verwirklichung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus solarer Strahlungsenergie auf den dafür geeigneten Dachflächen. Mit diesem im Einzelnen sehr differenzierten Pflichtenprogramm folgt das Land NRW nunmehr dem Beispiel anderer Bundesländer. Die Anlagenpflicht erfolgt gestaffelt für neue Bauanträge ab 1. Januar 2024 für Nichtwohngebäude oder nach dem 1. Januar 2025 für Wohngebäude. Auch von der Genehmigung freigestellte Gebäude nach § 61 BauO NRW unterliegen dieser Solaranlagenpflicht. Ähnlich wie bei gänzlich neu gebauten Gebäuden trifft die Anlagenpflicht ab dem 1. Januar 2026 solche Bestandsgebäude, bei denen eine vollständige Erneuerung der Dachhaut erfolgen soll.

Die neue Solaranlagenpflicht kennt zahlreiche Sonderregelungen für die öffentliche Hand, Ausnahmen (etwa für Dachflächen unter 50 m²) und eine Befreiungsmöglichkeit. Einzelheiten der Solaranlagenpflicht werden zukünftig durch Rechtsverordnung geregelt.

3. Wärmepumpen

Als weiterer wichtiger Baustein der energetischen Transformation des Landes gilt der zügige Ausbau von Wärmepumpen. Entsprechend senkt auch hier die Novelle die bauordnungsrechtlichen Hürden. Der Landesgesetzgeber weitet die bereits jetzt bestehende abstandsrechtliche Privilegierung von Wärmepumpen aus, indem er Wärmepumpen in Gebäuden nach § 6 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 BauO NRW – zukünftig ohne eine Begrenzung der Nennleistung – ohne Abstandsflächen für rechtmäßig erklärt. Ebenso sind nach der Novelle Wärmepumpen außerhalb von Gebäuden und deren zugehörige Einhausungen innerhalb von Gebäudeabstandsflächen rechtmäßig und lösen selbst keine Abstandsflächen mehr aus. Diese Privilegierung baut den rechtlichen Konfliktpotenzial zu Grundstücksnachbarn ab, kann diese aber auch nicht gänzlich vermeiden. Die typischerweise von Wärmepumpen ausgehenden Lärmemissionen können einem Vorhaben auch zukünftig entgegengehalten werden. Der Nachbarschutz diesbezüglich erfolgt jedoch nicht mehr über eine pauschale Abstandsfläche, sondern über das allgemeine Immissionsschutzrecht.

II. Gestaltungsanforderungen, insbesondere Ausschluss von Schottergärten und Kunstrasenflächen

Auch in Sache Grundstücks- und Vorhabengestaltung ist der Gesetzgeber tätig geworden. Insbesondere mit der Novelle des § 8 Abs. 1 bis 3 BauO NRW schiebt der Gesetzgeber den sogenannten Schottergärten nun endgültig den Riegel vor. Unter der alten Rechtslage gab es immer wieder Streit, ob im Einzelfall Schottergärten zugelassen werden können oder nicht, denn bereits mit der Bauordnung in der Fassung von 2018 und sogar 2000 waren unbebaute Flächen wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen und zu begründen oder zu bepflanzen. Schottergärten wurden diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht. In § 8 Abs. 1 BauO n.F. wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass Schotterungen und Kunstrasen keine zulässige Verwendung im Sinne des Gesetzes darstellen. Das bedeutet, dass stattdessen die bestehenden Grünflächen belassen oder sogar hergestellt werden müssen. Durch diesen Schritt will der Landesgesetzgeber die Ökosysteme von Insekten schützen. Für nicht genehmigte Schottergärten bedeutet dies, dass in vielen Fällen eine Rückbaupflicht besteht. Inhaber von Schottergärten müssen ein bauaufsichtsrechtliches Vorgehen der Behörden befürchten. Auf Bestandsschutz können sich ungenehmigte Schottergärten ab spätestens 2018 nicht berufen. Nach Auffassung der Landesregierung gilt dies auch für ab 2000 angelegte Schottergärten. Gestalterisch ist damit jedoch die Gartengestaltung mit Stein, Schotter und Kies nicht gänzlich ausgeschlossen. Entscheidend kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.

III. Verfahrensrechtliche Neuerungen

Keine Bauordnungsnovelle kommt ohne Änderungen im Bereich des Verfahrensrechtes aus. Auch die kommende Bauordnung hält an dieser Tradition fest und versucht durch Verfahrenserleichterungen den Genehmigungsprozess zu erleichtern und damit zu beschleunigen.

1. Mehr Digitalisierung

Ebenso wie bei der vergangenen Novelle des Baugesetzbuches („BauGB“) setzt die neue BauO NRW auf mehr Digitalisierung. Mit dem Wegfall der Schriftform zugunsten der Textform (§ 126b BGB) bekommen die Bauakteure zukünftig die Möglichkeit, neben Dokumenten mit eigenhändig gesetzter Unterschrift auch auf anderem Wege (z.B. mittels E-Mail) mit den Bauämtern zu kommunizieren und rechtserhebliche Verfahrensschritte zu bewältigen. Erleichterung resultiert hierbei insbesondere bei der Einreichung eines Bauantrags. Bauantrag und Bauvorlagen müssen zukünftig weder in Papierform noch mit einer Unterschrift versehen werden, sondern können stattdessen im elektronischen Wege eingereicht werden. Auch Angrenzer können sich zukünftig nach § 72 Abs. 1 S. 3 BauO NRW n.F. in elektronischer Form an die Baubehörden wenden.

2. Verschlankung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens

Neuerungen gibt es künftig auch hinsichtlich des Prüfungsprogrammes des Baugenehmigungsverfahrens. Während das bauordnungsrechtliche Vollverfahren nach § 65 BauO NRW bereits jetzt bloß für große Sonderbauten gilt, prüfen die Bauaufsichtsbehörden beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren lediglich nach dem enumerativ aufgeführten Prüfungsprogramm in § 64 BauO NRW. Zum Prüfungsprogramm zählen bisher die Übereinstimmung des Vorhabens mit den bauplanerischen Vorschriften §§ 29 bis 38 BauGB, verschiedene Vorschriften des Bauordnungsrechtes, Regelungen örtlicher Bauvorschriften und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften, deren Einhaltung nicht in einem anderen Genehmigungs-, Erlaubnis- oder sonstigen Zulassungsverfahren geprüft werden sowie – für vereinzelte Vorhaben – die Einhaltung der Brandschutzvorschriften. Mit der Novelle reduziert sich die Prüfung von Vorschriften der BauO NRW auf § 4 (Bebauung der Grundstücke mit Gebäuden), § 6 (Abstandsflächen), § 48 (Stellplätze, Garagen, Fahrradabstellplätze), § 49 (Barrierefreies Bauen). Mit dem Entfallen der bisherigen Prüfungspunkte dürfte das Ge-nehmigungsverfahren – wenn auch nur geringfügig – beschleunigt werden. Für die Bauherren bedeutet dies weniger Aufwand und Zeitgewinn, jedoch keine Erleichterung in materiell-rechtlicher Hinsicht, denn obschon die Genehmigungsbehörden im Verfahren die übrigen bauordnungsrechtli-chen Anforderungen nicht mehr abfragen, liegt es weiterhin in ihrer Verantwortung, dass ihr Vor-haben in Übereinstimmung mit allen rechtlichen Vorgaben realisiert wird.

3. Einführung der „kleinen Bauvorlageberechtigung“

Nach den bauordnungsrechtlichen Vorgaben sind Bauvorlagen von qualifiziertem Personal zur Sicherung der Gefahrenabwehr, Wirtschaftlichkeit und Wahrung der Baukultur zu erstellen. Hiervon macht bereits jetzt § 67 Abs. 2 BauO NRW Ausnahmen für einige wenige Vorhaben, bei denen mit keinen relevanten Gefahren in Sachen Standsicherheit oder Brandschutz zu rechnen sind. Zu den qualifizierten Bauvorlagenberechtigten gehören insbesondere Architektinnen und Architekten, aber auch andere gesetzlich bestimmte Personengruppen im Sinne des § 67 Abs. 3 BauO NRW. Mit der Anfang des Jahres in Kraft tretenden Novelle führt der Gesetzgeber mit dem § 67 Abs. 4a BauO NRW n.F. die „kleine Bauvorlageberechtigung“ für Gebäudeklassen 1 und 2. ein für Handwerks-meisterinnen und -meister des Maurer-, Betonbauer- oder des Zimmererhandwerks oder ihnen gleichgestellte Personen, die in das Verzeichnis der eingeschränkt Bauvorlageberechtigten bei der Ingenieurkammer- Bau NRW eingetragen sind.

4. Mehr Raum für bauordnungsrechtliche Abweichungen

Nur zu Genüge wissen Profibauherren und Planer, dass nicht immer alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen ohne weiteres einzuhalten sind. Manchmal kann ein begehrtes Vorhaben daher nur unter Ausklammerung einzelner bauordnungsrechtlicher Vorgaben erreicht werden. Das Mittel hierzu ist die bauordnungsrechtliche Abweichung.

Nach der gegenwärtigen Rechtslage steht der Bauaufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen ein Ermessen in § 69 Abs. 1 S. 1 BauO NRW zur Gestattung von Abweichungen von gesetzlichen Anforderungen. Nachdem bereits Gerichte eine Regelabweichung erkannten, wenn die strengen gesetzlichen Voraussetzungen der Abweichung gegeben sind, vollzieht die Novelle dieses Regelermessen nach. Gelingt es den Bauherren nachzuweisen, dass trotz Abweichung die jeweili-gen gesetzlichen Ziele anderweitig erreicht werden können, sollen die Genehmigungsbehörden die Abweichung gestatten. Diese Soll-Anordnung schafft für die Bauherren und Planer mehr Spiel-raum, im Einzelfall durch alternative Gestaltungen den gesetzlichen Zwecken gerecht zu werden und dennoch auf eine Abweichung hoffen zu können.

Neu ist weiterhin die Privilegierung von Nutzungsänderungen in Bestandsgebäuden. Nach § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BauO NRW n.F. muss die Genehmigungsbehörde eine Abweichung von verschiedenen bauordnungsrechtlichen Abweichungen zulassen, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung erfordern, mit der Nutzungsänderung alternative Bau- und Wohnformen erprobt werden sollen oder die Einhaltung der Vorschrift im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde. Zu den Gründen des allgemeinen Wohls zählen nach dem Gesetz insbesondere die Vorhaben zur Deckung dringenden Wohnbedarfs. Dies gibt Bauherren rechtliche Munition an die Hand, um den Wohnungsausbau in Bestandsgebäuden zu erleichtern.

IV. Abschließend

Mit den vorstehenden Änderungen sowie weiteren Neuerungen etwa beim Thema Wasserstofftechnologien. Mobilfunkausbau und der Aufzugspflicht verändern sich die bauordnungsrechtlichen Spielregeln für Bauherren, Planern und die Bauaufsichtsbehörden. Die Novelle schafft neue Instrumente, um Vorhaben erleichtert durchzuführen, senkt vereinzelt die an Vorhaben gestellten Hürden und soll allen mit der Planung befassten Personen mehr Spielräume flexibler Lösungen bringen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Änderungen auch in der Praxis beweisen.

Marvin Klein
Rechtsanwalt

21. Dezember 2023