Das Thema Coronavirus (SARS-CoV-2) stellt auch die Baubranche weiter vor Herausforderungen. Nachdem zunächst mögliche Personal- bzw. Lieferengpässe im Vordergrund der Diskussion standen, stellen sich zwischenzeitlich deutlich weitergehende Fragen, sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Natur. Und auch der Gesetzgeber ist nicht untätig geblieben:Der Bundestag hat am 25.03.2020 einstimmig ein Gesetz „zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ verabschiedet. Unter Artikel 240 EGBGB wurden coronaspezifische Regelungen für das Vertragsrecht eingeführt, unter anderem ein Moratorium, d.h. Leistungsverweigerungsrechte aus Gründen der Coronapandemie. Die Neuregelungen in Artikel 240 EGBGB treten am 01.04.2020 in Kraft.
Die Regelung des Moratoriums findet sich im neu eingefügten Artikel 240 § 1 EGBGB und gilt für Verbraucher und Kleinstunternehmen unter der Voraussetzung, dass diesen die Erbringung der Vertragsleistung aus Umständen der Coronapandemie nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Das Leistungsverweigerungsrecht gilt allerdings lediglich in Bezug auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, worunter ausweislich der Gesetzesbegründung etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom, Gas, Wasser oder über Telekommunikationsdienste fallen sollen (BT-Drucks. 19/18110, S. 34). Für das Bauvertragsrecht dürften die Regelungen damit vorerst keine Rolle spielen.
Hier sind in erster Linie stets die vertraglichen Vereinbarungen maßgeblich. Findet sich dort keine Regelung oder sind die Regelungen möglicherweise unwirksam, gilt Folgendes:
1. VOB-Vertrag
Haben die Parteien die Geltung der VOB/B (wirksam) vereinbart, findet sich eine detaillierte Regelung für Leistungsstörungen und deren Folgen in § 6 VOB/B. Danach ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine Behinderung vorliegt, was vom Auftragnehmer darzulegen ist. Erst in einem zweiten Schritt kommt es darauf an, worauf diese Behinderung zurückzuführen ist.
Aus einer Behinderungsanzeige müssen – auch in Zeiten der Coronakrise – die hindernden Umstände in hinreichender Klarheit hervorgehen; es sind Angaben zu machen, ob und wann die Arbeiten, die nach dem Bauablauf nunmehr ausgeführt werden müssen, nicht oder nicht wie vorgesehen ausgeführt werden können (OLG Oldenburg, Urteil vom 20.08.2019, 2 U 81/19; BGH, Urteil vom 21.10.1999, VII ZR 185/98). Eine Behinderung liegt nach der Rechtsprechung nicht vor, wenn die vermeintlich behindernden Umstände durch Umstellungen im Bauablauf abgefangen werden können (BGH, Urteil vom 21.03.2002, VII ZR 224/00). Ein pauschaler Hinweis des ausführenden Unternehmens reicht also im Falle der Coronakrise genauso wenig aus wie bei schwierigen Witterungsbedingungen. Im Falle behördlicher Betriebsstilllegungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) dürfte die Darlegung der Behinderung jedoch einfacher fallen.
Liegt eine Behinderung vor und ist diese auf höhere Gewalt oder für den Auftragnehmer unabwendbare Ereignisse zurückzuführen, führt dies zu einer Verlängerung der Ausführungsfristen (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B) und zum Ausscheiden von Schadensersatzansprüchen. Dass es sich bei der Coronapandemie um höhere Gewalt oder unabwendbare Ereignisse handelt, dürfte nach dem Verlauf der letzten Wochen außer Frage stehen.
2. BGB-Bauvertrag
Für den BGB-Bauvertrag fehlt zwar eine konkrete Regelung wie in der VOB/B. Im Ergebnis können vorstehende Ausführungen jedoch auch auf den BGB-Bauvertrag übertragen werden. Hier bestimmt § 286 Abs. 4 BGB, dass der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Fälle höherer Gewalt hat der Auftragnehmer per Definition nicht zu vertreten. Insofern kommen auch keine Schadensersatzansprüche gegen ihn in Betracht.
Kann der Auftragnehmer seine Leistungen aufgrund der Coronapandemie tatsächlich in keiner Weise erbringen, läge zudem eine vorübergehende Unmöglichkeit vor. In diesem Fall wären Auftragnehmer wie Auftraggeber von ihren Leistungs- bzw. Gegenleistungspflichten vorübergehend befreit (§§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB).
3. Architekten- und Ingenieurverträge
Vorstehende Ausführungen gelten gleichermaßen für Architekten- und Ingenieurverträge gemäß den §§ 650p ff. BGB. Die Probleme, die sich für Planer und Fachplaner derzeit stellen, dürften jedoch noch komplexer sein, als die der ausführenden Unternehmen.
Sowohl die an der Planung fachlich Beteiligten als auch die ausführenden Gewerke sind so untereinander zu koordinieren, dass ein kontinuierlicher Bauablauf ermöglicht wird. Bei der Erstellung der Leistungsverzeichnisse wird zu prüfen sein, ob Materialien lieferbar sind. Der Planer ist gut beraten, zusätzliche zeitliche Puffer in der Terminplanung vorzusehen. Hat ein Planer die Funktion des Sicherheits- und Gesundheitskoordinators (SiGeKo) übernommen, wird dieser seinen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan aufgrund der aktuellen Situation überarbeiten müssen.
In honorarrechtlicher Hinsicht kann eine gegebenenfalls erforderliche Wiederholung von Grundleistungen berechtigte Mehrhonorarforderungen des Planers auslösen. Hier gelten die allgemeinen Grundsätze. Aufgrund des nicht unerheblichen Mehraufwands des Planers kann zudem unter Umständen ein Anspruch auf Anpassung des Vertrags wegen Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen (§ 313 BGB).
II. Ausblick
Die seit dem 23.03.2020 bundesweit geltenden Ausgangsbeschränkungen sehen regelmäßig Befreiungen für Handwerksbetriebe vor, sodass Bauleistungen unter Einhaltung von Schutzvorkehrungen weiter erbracht werden können (vgl. etwa § 7 CoronaSchVO NRW vom 22.03.2020). Der rechtliche Rahmen für die weitere Vertragsdurchführung wird auch davon abhängen, wie sich die Lage weiter entwickelt.
Bei längerfristiger Behinderung oder sogar Unterbrechung der Vertragsausführung kann eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) sowie in letzter Konsequenz die Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund in Betracht kommen. Es ist jedoch Vorsicht geboten, die Voraussetzungen hierfür vorschnell zu bejahen. Darüber hinaus gilt:
1. VOB-Vertrag
Für den VOB-Vertrag finden sich konkrete Regelungen für eine Unterbrechung der Leistung zudem in § 6 Abs. 5 und 7 VOB/B. Während § 6 Abs. 5 VOB/B die Abrechnung der bisherigen Leistungen betrifft, beinhaltet § 6 Abs. 7 VOB/B ein Sonderkündigungsrecht, wenn eine Unterbrechung länger als 3 Monate dauert. Eine Unterbrechung der Leistung in diesem Sinne liegt jedoch erst vor, wenn der Auftragnehmer wirklich keinerlei Tätigkeiten mehr entfaltet.
2. BGB-Bauvertrag, Architekten- und Ingenieurverträge
Wie oben ausgeführt, können Leistungsstörungen zu einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Leistungserbringung führen. Diese kann im Einzelfall einer dauernden Unmöglichkeit gleichstehen. Der BGH hat in einem solchen Fall bereits in entsprechender Anwendung von § 645 Abs. 1 BGB einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers angenommen (BGH, Urteil vom 11.03.1982, VII ZR 357/80).
In dem Fall war die weitere Leistungserbringung (Montage einer Anlage im Iran) aufgrund politischer Unruhen bereits für 3 Jahre unmöglich gewesen. Hier ging es dann um die Frage, wem das Risiko von politischen Unruhen zuzuordnen war. Auf Leistungsstörungen aufgrund der Coronapandemie lässt sich diese Rechtsprechung jedoch nach unserer Auffassung nicht übertragen, nicht zuletzt weil der Fall einer Pandemie weder dem Risikobereich des Auftraggebers noch des Auftragnehmers zugeordnet werden könnte.
III. Praxishinweise
Zu prüfen sind immer zuerst die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Insbesondere in internationalen Verträgen ist eine Klausel für Fälle höherer Gewalt („Force Majeure“) regelmäßiger Vertragsbestandteil. Im internationalen Warenverkehr kann zudem Art. 79 CISG zu beachten sein.
Die Kündigung des Vertrags sollte grundsätzlich letztes Mittel sein. Öffentliche Auftraggeber stünden im Falle einer Vertragskündigung vor der Problematik, die Leistungen neu vergeben zu müssen.
In allen Fällen sind die bauvertraglichen Kooperationspflichten zu beachten: auch in Zeiten der Coronakrise bestehen entsprechende Hinweis- und Informationspflichten, insbesondere zur Vermeidung von Schäden am Bauwerk. Auch der Auftraggeber sollte seinen Pflichten und Obliegenheiten pflichtgemäß nachkommen und im eigenen Interesse eine Bauzeitverzögerung vermeiden.
Lars Maria Markmann
Rechtsanwalt
1. April 2020