Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2019, Az. 21 U 47/19 nähere Ausführungen zu der Frage gemacht, wann eine Bürgschaft gegen § 307 BGB verstoßen kann. Es ging in dem konkreten Fall um die Frage, ob eine Bürgschaft, die als „Vertragserfüllungs-bürgschaft“ bezeichnet wurde, als unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers im Sinne des § 307 BGB gewertet werden kann.
Bei der konkreten Bürgschaft hieß es wie folgt:
§ 12 Sicherheitsleistung…
Der AN leistet eine Ausführungssicherheit i.H.v. 10% des vereinbarten Nettopauschalfestpreises innerhalb von fünf Tagen nach Vertragsabschluss in Form einer oder mehrerer Bürgschaften – wobei Teilbürgschaften jeweils die Gesamtleistung abzusichern haben – (Vertragserfüllungsbürgschaft) textlich entsprechend dem in Anl. 7 der Anl. 4 beigefügten Muster mit der dort wiedergegebenen Sicherungsabrede.“
Korrespondierend zu dieser Regelung fand sich im Muster aus Anl. 7 der Anl. 4 folgende Beschreibung:
„….. übernehmen wir hiermit gegenüber dem Auftraggeber die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Erfüllung sämtlicher mit dem oben genannten Vertrag übernommenen Verpflichtungen des Auftragnehmers, insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich der Abrechnung und Schadensersatz sowie für die Erstattung von Überzahlungen einschließlich der Zinsen bis zu einem Betrag in Höhe von…..“
Weiterhin heißt es in dem Vertrag:
„12.2
Gegen Rückgabe der Ausführungssicherheit leistet der AN auf die Dauer der Verjährungsfrist für Mängelrechte nach Fertigstellung, Rechnungslegung, Abnahme und Beseitigung der bei Abnahme festgestellten Mängel bzw. Erbringung der Restarbeiten eine Mängelsicherheit i.H.v. 5% der Nettoabrechnungssumme.
Der AN ist berechtigt, diese Sicherheit durch Vorlage einer oder mehrerer unbefristeter unbedingter, selbstschuldnerischer und schriftlicher Bankbürgschaften (Mängelbürgschaften) – wobei Teilbürgschaften jeweils die Gesamtleistung abzusichern haben –, welche keine Hinterlegungsklausel enthalten und textlich dem in Anl. 8 der Anl. 4 beigefügten Muster mit der dort wiedergegebenen Sicherungsabrede entsprechen muss, ablösen.
……
12.3
Bis zur Vorlage der vereinbarten Bürgschaften durch den AN ist der AG berechtigt entsprechende Einbehalte in Höhe der noch nicht geleisteten Sicherheiten von etwaigen Vergütungsansprüchen des AN zu tätigen. Die Einbehalte werden unverzüglich nach Vorlage der vereinbarten Bürgschaften an den AN ausbezahlt. Auf Verlangen des AN sind Einbehalte auf ein gemeinsames Konto bei einem zu benennenden Geldinstitut einzuzahlen. Kommt der AG dem trotz Aufforderung nicht nach, hat er den Einbehalt sofort an den AN herauszugeben.“
Das erstinstanzliche Gericht kam ebenso wie das Oberlandesgericht Frankfurt zu dem Schluss, dass diese Regelungen gegen § 305 ff. BGB verstoßen und deshalb unwirksam sind. Die Klauseln können dahingehend ausgelegt werden, dass zur Sicherung sämtlicher Ansprüche aus dem Bauvertrag auch solche Ansprüche zählen, die Mängel nach der Abnahme der Werkleistung betreffen. Dies gilt auch dann, wenn die Bürgschaft als Vertragserfüllungsbürgschaft bezeichnet wird. Das Oberlandesgericht Frankfurt macht deutlich, das maßgebend die verwenderfeindlichste Auslegung ist, wenn es um die Frage geht, ob eine unangemessene Benachteiligung des AN vorliegt. Insoweit folgt sie der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Regelungen zur Vertragserfüllungsbürgschaft, die eine Absicherung in dem für sich genommenen Zeitraum bis zur Abnahme unbedenklichen Umfang von 10% der Auftragssumme als Sicherungsumfang vorsehen, stellen dann eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers dar, wenn bei verwenderfeindlichster Auslegung nicht nur die bis zur Abnahme entstandenen Ansprüche, sondern auch solche Gewährleistungsansprüche erfasst werden, die im Zeitraum nach Abnahme entstehen. Ist der Umfang der Vertragserfüllungsbürgschaft auf einen Betrag deutlich oberhalb der für die Angemessenheit von Gewährleistungsbürgschaften grundsätzlich noch nicht unangemessenen Schwelle von 5% der Nettoauftragssumme festgelegt worden, wie dies jedenfalls bei einem Anteil von 10% der Nettoauftragssumme der Fall ist, ergibt sich die Unangemessenheit schon aus dem isolierten Umfang des Sicherungsrechtes (siehe auch BGH, Urteil vom 20. März 2014, VII ZR 248/13).
Eine unangemessene Benachteiligung ergibt sich außerdem auch dann, wenn der Umfang einer Vertragserfüllungsbürgschaft, die nach ihrem Inhalt bei verwenderfeindlichster Auslegung auch noch nach Abnahme entstandene Gewährleistungsansprüche absichert, für sich genommen in dem für den Zeitraum nach Abnahme hinnehmbaren Bereich von 5% der Nettoauftragssumme liegt. Eine unangemessene Benachteiligung ergibt sich daraus, dass der Auftraggeber bzw. Sicherungsnehmer zusätzlich zu dieser Vertragserfüllungsbürgschaft noch weitere zur Absicherung der nach Abnahme entstandenen Gewährleistungsansprüche bestimmte Sicherungsrechte parallel zur Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch nehmen kann. Eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers fällt in diesen Fällen nur dann weg, wenn der Auftragnehmer durch die Regelungen über die Voraussetzungen der Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft einen durchsetzbaren Anspruch darauf hat, dass die Erfüllungsbürgschaft, auch wenn sie nach der Abnahme entstandene Ansprüche mit umfasst, in einem zeitnahen Zusammenhang mit der Abnahme an den Auftragnehmer zurückgegeben werden muss. Sind die Vertragsgrundlagen allerdings so beschaffen, dass der Auftraggeber bzw. Sicherungsnehmer befugt ist, eine Vertragserfüllungsbürgschaft auch längere Zeit nach der Abnahme zu behalten, insbesondere wegen ihres Inhaltes, wonach sämtliche Ansprüche des Auftraggebers durch die Bürgschaft abgesichert werden sollen, liegt in dem Austauschrecht des Sicherungsgebers kein taugliches Mittel, um die unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers auszuschließen, die sich in diesem Fall daraus ergibt, dass die Bürgschaft den Satz von 5% der Nettoauftragssumme übersteigt, der nach der Abnahme entstandene Mängelrechte die Obergrenze einer angemessenen Sicherung übersteigt. Die unangemessene Benachteiligung ergibt sich insoweit daraus, dass der Auftraggeber bzw. der Sicherungsnehmer die Bürgschaft für ein unter Umständen erheblichen Zeitraum behalten darf, während dessen durch die Bürgschaft gesicherte Mängelansprüche entstehen können (so auch BGH Urteil vom 20. März 2014). Er steht sich dadurch ebenso, wie er auch stehen würde, wenn er eine isolierte Mängelgewährleistungssicherheit in einem von der Rechtsprechung als unangemessen angesehenen Umfang von 10% der Nettoauftragssumme erhalten hätte.
Fazit
Es ist immer wieder darauf zu achten, dass die Formulierungen in den Bürgschaftsvereinbarungen und in den Bürgschaftsmustern bei verwenderfeindlichster Auslegung nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers führen. Insbesondere kritisch sind hier die Übergänge zwischen Erfüllungsbürgschaft und Bürgschaft zur Absicherung von Mängeln, die nach Abnahme auftreten.
Dr. Petra Christiansen-Geiss
Rechtsanwältin
28. Januar 2020