Ständiger Streitpunkt mit Kommunen ist der Vorwurf der illegalen Zweckentfremdung von Wohnraum. Unter Zweckentfremdung versteht man jede Nutzung von Wohnraum, die nicht zu Wohnzwecken erfolgt. Dazu zählen etwa die Umwandlung in Büro- oder Gewerberäume, aber auch der Abriss oder Leerstand von Wohnraum. Im Falle einer Zweckentfremdung kann die zuständige Behörde eine Anordnung treffen, die Wohnnutzung wiederherzustellen (z.B. § 15 Abs. 1 WohnStG NRW).
Jüngst hatte das OVG Hamburg (Beschluss vom 23.5.2024 – 4 Bs 140/23) zu entscheiden, ob ein solches Wohnnutzungsgebot trotz eines laufenden Zwangsversteigerungsverfahrens rechtlich durchsetzbar ist. Das Gericht stellte klar, dass auch in Fällen, in denen die Eigentumsverhältnisse durch ein gerichtliches Verfahren noch ungeklärt sind, ein Wohnnutzungsgebot greifen kann.
I. Sachverhalt
Ein Eigentümer wandte sich gegen ein von der zuständigen Behörde erlassenes Wohnnutzungsgebot für eine leerstehende Immobilie. Das Haus, das er zusammen mit seiner geschiedenen Ehefrau besitzt, stand seit Ende 2020 leer. Der Eigentümer machte geltend, dass eine Vermietung oder anderweitige Nutzung aufgrund laufender familienrechtlicher Streitigkeiten sowie eines Zwangsversteigerungsverfahrens unmöglich sei.
Die Behörde stützte das Wohnnutzungsgebot auf das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz (HmbWoSchG) und argumentierte, dass es im öffentlichen Interesse liege, Wohnraum der Nutzung zuzuführen. Trotz der Einwände des Eigentümers verfügte sie, dass die Immobilie bis zu einem bestimmten Datum für Wohnzwecke genutzt werden müsse. Gegen diese Anordnung legte der Eigentümer erfolglos Rechtsmittel ein.
II. Entscheidung des OVG Hamburg
1. Wohnnutzungsgebot auch bei Zwangsversteigerungsverfahren möglich
Das Gericht stellte klar, dass ein laufendes Zwangsversteigerungsverfahren nach § 180 ZVG den Erlass eines Wohnnutzungsgebots nicht ausschließt. Weder die Beschlagnahme noch die unklare zukünftige Verfügungsberechtigung stehen einer Vermietung, einem Verkauf oder einer Eigennutzung entgegen. Die Eigentümer bleiben bis zur Versteigerung verpflichtet, den Wohnraum ordnungsgemäß zu nutzen.
2. Emotionales oder familiäres Interesse ist unbeachtlich
Das Gericht betonte, dass persönliche Bindungen oder familiäre Konflikte, wie sie hier durch die frühere Nutzung als Familienheim und die Scheidung der Eigentümer entstanden waren, keine rechtliche Relevanz haben. Weder die emotionale Verbindung zur Immobilie noch die damit verbundenen persönlichen Herausforderungen können die gesetzlichen Verpflichtungen aus dem Wohnraumschutz aufheben.
3. Kein Widerspruch zwischen Wohnnutzungsgebot und Mietrecht
Ein zentraler Einwand des Eigentümers war, dass eine Vermietung im laufenden Zwangsversteigerungsverfahren rechtlich problematisch sei. Er argumentierte, dass ein Sonderkündigungsrecht des Erwerbers (§ 57a ZVG) oder Unsicherheiten über die langfristige Perspektive für potenzielle Mieter eine Vermietung unmöglich machen würden. Das Gericht wies diesen Einwand zurück. Es hob hervor, dass die Rechte und Pflichten potenzieller Mieter durch das Mietrecht umfassend geschützt seien. Auch im Fall eines Eigentümerwechsels würden keine unzumutbaren Risiken für die Mieter entstehen, zumal man die Mieter auch ordnungsgemäß über den Status der Immobilien im Mietvertrag aufklären könne.
III. Konsequenzen für Wohnungseigentümer
In ständiger Rechtsprechung wird das besondere öffentliche Interesse an der Sicherung von Wohnraum betont. Leerstehender Wohnraum gefährdet dieses Ziel, weshalb auch komplexe Eigentums- oder Nutzungskonflikte keine Rechtfertigung für die Zweckentfremdung sein können. Um Klarheit über den Rechtsstatus der eigenen Wohnung zu erhalten, bietet sich in der Regel ein Negativtest an.
Unsere Kanzlei begegnet in der Praxis immer wieder Fällen, in denen der Vorwurf der Zweckentfremdung erhoben wird. Da viele Kommunen deutschlandweit Wohnungsschutzsatzungen haben, ist Eigentümern dringend anzuraten, sich vor einer Umwandlung, einem Abriss oder Leerstand mit den Folgen zu beschäftigen, um Bußgelder zu vermeiden.
Marvin Klein
Rechtsanwalt
28.11.2024