
Der Bundesrat hat in der vergangenen Woche, am 17. Oktober 2025, das Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung gebilligt. Damit wird der sogenannte „Bauturbo“ einen Tag nach Verkündung in Kraft treten. In diesem Beitrag möchten wir Ihnen die wesentlichen Neuerungen des Gesetzes vorstellen und einen kleinen Ausblick auf die Auswirkungen in der Praxis wagen:
I. Experimentierklausel § 246e BauGB
Herzstück des Gesetzes ist die „Experimentierklausel, der neue § 246e BauGB. Diese Sonderregel für Wohnungsbau erlaubt es, befristet bis Ende 2030 von wesentlichen Vorgaben des Baugesetzbuches („BauGB“) oder aufgrund des BauGB erlassenen Vorschriften abzuweichen. Tatbestandliche Voraussetzung ist, dass die zuständige Gemeinde zustimmt und die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Die Regelung ermöglicht insbesondere drei Arten von Vorhaben:
- Neubau von Wohngebäuden,
- Erweiterung, Änderung oder Erneuerung bestehender Gebäude, sofern dadurch neuer Wohnraum entsteht oder ungenutzter Wohnraum wieder aktiviert wird,
- Nutzungsänderung bestehender Gebäude zu Wohnzwecken, einschließlich erforderlicher Umbauten.
Ergänzend können auch den Bedürfnissen der Bewohner dienende Anlagen für kulturelle, gesundheitliche und soziale Zwecke sowie Läden, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner dienen, zugelassen werden.
Damit können Bauvorhaben auch ohne vorherige Aufstellung eines Bebauungsplans genehmigt werden, sofern sie dem Wohnungsbau dienen und nur im erforderlichen Umfang („Verhältnismäßigkeit“). Zudem dürfen sie nicht zu erheblichen zusätzlichen Umweltauswirkungen führen. Bei Außenbereichsflächen müssen die Vorhaben im räumlichen Zusammenhang mit beplanten Flächen oder einer Innenbereichsfläche stehen.
Der § 246e BauGB soll vor allem in Gebieten mit Wohnraummangel helfen, schneller neuen Wohnraum zu schaffen. Anders als der bisherige § 31 Abs. 1 BauGB (a.F.) ist diese Abweichungsmöglichkeit nicht auf „Einzelfallvorhaben“ oder förmlich festgesetzte Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt beschränkt.
II. Flexiblere Regelungen zum Lärmschutz (§ 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a BauGB)
Künftig können Gemeinden den Lärmschutz im Rahmen der Bauleitplanung auch auf andere Weise als durch die unmittelbare Anwendung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) sicherstellen. Das bedeutet, dass Kommunen künftig maßgeschneiderte Festsetzungen treffen können, die sich am konkreten städtebaulichen Einzelfall orientieren.
Eine solche Flexibilisierung kann etwa durch die Festlegung von Geräuschemissionskontingenten im Bebauungsplan erfolgen. Dadurch ist es möglich, die zulässigen Immissionsrichtwerte — insbesondere in Gebieten, in denen Wohnen und Gewerbe nebeneinander bestehen — an das höhere Lärmniveau von Mischgebieten anzupassen. Ziel ist es, urbane Quartiere mit vielfältiger Nutzung zu fördern und zugleich die Entstehung von Wohnraum auch in lebendigeren, innerstädtischen Lagen zu erleichtern.
III. Erweiterte Befreiungen im Bebauungsplanbereich (§ 31 Abs. 3 BauGB)
Eine weitere wichtige Neuerung betrifft § 31 Abs. 3 BauGB. Die bisherige Vorschrift erlaubt bereits jetzt Befreiungen von den im Bebauungsplan festgesetzten Regelungen, sofern diese der Schaffung neuen Wohnraums dienen. Voraussetzung war bislang jedoch, dass sich das Vorhaben in einem förmlich festgesetzten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt befindet. Zudem war der Anwendungsbereich der Vorschrift dadurch eingeschränkt, dass Befreiungen nur im Einzelfall möglich waren.
In der jüngeren Rechtsprechung führte dies dazu, dass besondere, grundstücksbezogene Umstände vorliegen mussten und eine Befreiung bei einer größeren Zahl gleichgelagerter Fälle ausgeschlossen war (BVerwG, Urt. v. 24. 4. 2024 – 4 C 2.23, NVwZ 2024, 1419).
Nach der Novelle ist weder ein formell festgesetztes Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt noch das Vorliegen eines Einzelfalls erforderlich. Gleichwohl bleibt eine Abwägung mit nachbarlichen und städtebaulichen Belangen notwendig, um Konflikte zu vermeiden. Ebenfalls dürfen durch die Befreiungen keine erheblichen Umweltauswirkungen eintreten, wobei hierfür lediglich eine überschlägige Prüfung erforderlich ist.
IV. Neue Möglichkeiten im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 3b BauGB)
Auch im sogenannten unbeplanten Innenbereich, also in Gebieten ohne Bebauungsplan, werden die Spielräume erweitert. Nach dem neuen § 34 Abs. 3b BauGB (n.F.) sollen künftig auch Neubauten zulässig sein, die nicht in den bestehenden Bebauungszusammenhang passen, sofern sie der Schaffung von Wohnraum dienen, städtebaulich vertretbar sind und die nachbarlichen Interessen angemessen berücksichtigt werden.
Damit geht der Gesetzgeber über die bisherigen Möglichkeiten des § 34 Abs. 3a hinaus. Auf Anregung der kommunalen Spitzenverbände wurde zudem klargestellt, dass das Absehen vom sogenannten Einfügungserfordernis nicht nur für bestehende Wohngebäude gilt, sondern auch für Nichtwohngebäude, wenn diese durch bauliche Maßnahmen — etwa Aufstockungen oder Umnutzungen — neuen Wohnraum schaffen.
Ein praktisches Beispiel ist die Aufstockung von Supermärkten oder Gewerbebauten um zusätzliche Wohnetagen. Damit soll eine nachhaltige Flächennutzung unterstützt und zusätzlicher Wohnraum in bereits erschlossenen Lagen geschaffen werden, ohne neue Baugebiete ausweisen zu müssen. Erst kürzlich geriet ein Discounter in die Schlagzeilen, weil ein eben solches Projekt in Köln verworfen wurde, so dass eine besondere Praxisrelevanz dieser Vorschrift angenommen werden kann. (Aldi Süd baut in Köln-Ehrenfeld doch keine Wohnungen | Kölner Stadt-Anzeiger)
V. Fazit
Wie immer gilt auch für den neuen „Bau-Turbo“, dass zunächst abzuwarten ist, wie sich die neuen Regelungen auf die Praxis auswirken werden und ob tatsächlich eine Beschleunigung des Wohnungsbaus eintreten wird.
Dabei enthält das Gesetz zweifelsohne einige Flexibilisierungen im Rahmen der planungsrechtlichen Zulässigkeit von Wohnbauvorhaben. Durch das Gesetz sollen die oft langwierigen Genehmigungsverfahren wie so oft beschleunigt werden. Aufgrund der Abweichungsmöglichkeit von Bebauungsplänen oder dem Einfügungserfordernis dürfte das Planungsrecht Wohnbauvorhaben künftig nur noch selten im Wege stehen.
Dennoch gibt es zahlreiche Kritik an dem Gesetz aus verschiedenen Richtungen. So wird das Gesetzt beispielsweise von der Bundesarchitektenkammer kritisiert, weil die Regierung es verpasst habe, in den neuen § 246e ein Baugebot einzufügen (Kabinett beschließt „Bau-Turbo“ – Bundesarchitektenkammer e.V.). Ebenfalls wird kritisiert, dass durch das neue Gesetz eine „Zersiedlung“ und eine Ausweitung von der Flächennutzung eintreten könnte, statt den Fokus auf den Bestand zu legen; ebenfalls sei das Planungsrecht nicht der limitierende Faktor beim Bauen, sondern die Kosten und fehlendes Personal (Bauturbo: „Langfristig kann der Bauturbo teuer werden“ | DIE ZEIT).
Ob die Kritiker recht behalten werden oder der Wunsch der Bundesbauministerin Hubertz („Ich will, dass wir mehr bauen. Ich will, dass wir schneller bauen.“) in Erfüllung gehen wird, ist kaum abzuschätzen und gleicht einem Blick in die Glaskugel. Dass bereits ohne den „Bau-Turbo“ zuletzt mehr Genehmigungen erteilt wurden (Baubranche: Mehr Baugenehmigungen für Wohnungen), dürfte dabei in faktischer Hinsicht der Ministerin in die Karten spielen.
Sollten Sie in diesem Zusammenhang offene Frage haben, unterstützen wir Sie gerne.
Köln, den 21.10.2025
Dr. Marvin Klein
Rechtsanwalt
Alexander Thesling
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht