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HAFTUNGSFALLE FÜR DEN AUFSICHTSRAT - HERABSETZUNG VON VORSTANDSBEZÜGEN IN DER KRISE
Urteil des BGH vom 27.10.2015 (II ZR 296/14)
Nach dem durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (2009) neu gefassten § 87 Abs. 2 S. 1 AktG soll der Aufsichtsrat die Vorstandsbezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so verschlechtert, dass die Weitergewährung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft wäre. Kam dem § 87 Abs. 2 AktG a.F. wegen seiner strengen Voraussetzungen nur äußerst geringe praktische Relevanz zu, erleichterte die Neuregelung die Herabsetzung der Vorstandsbezüge, indem sie auf die Voraussetzungen einer „wesentlichen“ Verschlechterung und einer „schweren“ Unbilligkeit verzichtete.
In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Verfahren hatte ein früheres Vorstandsmitglied (Kläger) den Insolvenzverwalter (Beklagter) der zwischenzeitlich insolventen Aktiengesellschaft auf Zahlung ausstehender Vergütung sowie Feststellung (ungekürzter) Vergütungsansprüche zur Insolvenztabelle verklagt.
Der Kläger war bei der Aktiengesellschaft als Chief Financial Officer (CFO) tätig. Nach dem Anstellungsvertrag vom 14. April 2011, der bis zum 31. Dezember 2012 fest abgeschlossen wurde, betrug sein Jahresgehalt 188.000 €. Daneben erhielt er eine variable Vergütung und weitere Sozial- und Nebenleistungen. Im Laufe des Jahres 2011 geriet die Gesellschaft in Schieflage. Auf Drängen der Banken berief der Aufsichtsrat den Kläger am 31. Dezember 2011 als Vorstand ab und stellte ihn unter widerruflicher Ankündigung der Fortzahlung seiner Bezüge frei. Ab Januar 2012 zahlte die Gesellschaft dem Kläger keine Bezüge mehr. Auf einen Eigenantrag der Gesellschaft auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde der Beklagte am 6. Februar 2012 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Kurz nach seiner Bestellung forderte er die Aufsichtsratsmitglieder unter Hinweis auf deren Verpflichtung gemäß § 87 Abs. 2 AktG auf, die Vergütung der Vorstände auf einem Maximalbetrag pro Vorstand von 2.500 € ab Insolvenzeröffnung zu begrenzen. In der Aufsichtsratssitzung vom 15. März 2012 wurde beschlossen, die Bezüge aller Vorstandsmitglieder auf 2.500 € ab Insolvenzeröffnung herabzusetzen. Am 30. März 2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt. Daraufhin kündigte der Insolvenzverwalter den Anstellungsvertrag des Klägers zum 30. Juni 2012.
Der Kläger meldete Gehaltsansprüche für Januar bis März 2012 (abzüglich des erhaltenen Insolvenzgeldes), sowie Juli - Dezember 2012 in voller Höhe zur Insolvenztabelle an. Auf das Bestreiten des Insolvenzverwalters erhob er Klage zum Landgericht auf Feststellung dieser Forderungen zur Insolvenztabelle und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des vertraglich vereinbarten Gehalts für die Monate April bis Juni 2012 (52.860,31 € nebst Zinsen).
Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger das reduzierte Gehalt für die Monate April bis Juni 2012 in Höhe von zusammen 7.500 € brutto nebst Zinsen zu zahlen und Forderungen in der beantragten Höhe von 38.510,40 € (restliches Gehalt für Januar bis März 2012) und in Höhe von 2.760 € (reduziertes Gehalt für Juli bis Dezember 2012 abzüglich des Arbeitslosengeldes) zur Tabelle festzustellen. Hinsichtlich der übrigen vom Kläger geltend gemachten Ansprüche wies es die Klage ab.
Auf die Berufung des Klägers hin hatte das Berufungsgericht (OLG Stuttgart, Urteil vom 01.10.2014 - 20 U 3/13) der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Hiergegen richtete sich die Revision des beklagten Insolvenzverwalters – mit Erfolg. Der BGH hat das angefochtene Urteil insgesamt aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hält fest:
1. Das Recht zur Herabsetzung der Bezüge gemäß § 87 Abs. 2 AktG ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der Aktiengesellschaft, das durch eine Gestaltungserklärung ausgeübt wird, die der Aufsichtsrat in Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied abgibt.
2. Eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft im Sinne von § 87 Abs. 2 AktG tritt jedenfalls dann ein, wenn die Gesellschaft insolvenzreif wird. Die Weiterzahlung der Bezüge ist unbillig im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat oder ihm zwar kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist.
3. Die Herabsetzung der Bezüge muss mindestens auf einen Betrag erfolgen, dessen Gewährung angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht mehr als unbillig angesehen werden kann. Die Vorschrift erlaubt andererseits keine Herabsetzung der Bezüge des Vorstandsmitglieds, die weiter geht, als es die Billigkeit angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft erfordert.
Der BGH weist darauf hin, dass als Rechtsfolge des § 87 Abs. 2 AktG der Aufsichtsrat im Regelfall zu einer Herabsetzung verpflichtet ist und nur bei Vorliegen besonderer Umstände davon absehen darf.
Die Befugnis zur einseitigen Herabsetzung nach § 87 Abs. 2 AktG sei dahingehend beschränkt, dass die Bezüge, soweit dem Aufsichtsrat durch die in § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG vorgegebenen Kriterien der Angemessenheitsprüfung ein Bemessungsspielraum eröffnet ist, (nur) auf den danach höchstmöglichen angemessenen Betrag herabgesetzt werden dürfen.
Bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Einerseits ist der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung sowie weiter zu berücksichtigen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie gegebenenfalls sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat. Andererseits dürfen die persönlichen Verhältnisse des Vorstandsmitglieds bei der Billigkeitsprüfung nicht völlig außer Acht bleiben. Denn die Beurteilung, ob die Zahlung eines bestimmten Betrags trotz der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft für diese billig oder unbillig ist, kann im Einzelfall davon abhängen, in welchem Umfang die Herabsetzung der Vergütung dem Vorstandsmitglied wegen seiner persönlichen Verhältnisse noch zumutbar ist.
PRAXISTIPP
Unterlässt der Aufsichtsrat pflichtwidrig die Herabsetzung der Vorstandsbezüge (bzw im Falle eines gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieds den Herabsetzungsantrag an das Gericht, § 87 Abs. 2 S. 1 2. Alt AktG), so macht er sich nach Maßgabe des § 116 S. 1 AktG iVm § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig. Daher ist der Aufsichtsrat in der Krise der Gesellschaft gefordert, eine Herabsetzung der Vorstandsbezüge nach § 87 Abs. 2 AktG sorgfältig zu prüfen und bei Vorliegen der Voraussetzungen (Krise der Gesellschaft, Verursachungsbeitrag des Vorstands) auch umzusetzen.
Siegfried Weitzel
Rechtsanwalt
19. Februar 2016
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