2016
Versicherung // Haftung

Produkthaftung für fehlerhafte Medizinprodukte

Eine viel beachtete Entscheidung des BGH (Urteil vom 9.6.2015 – VI ZR 327/12; NJW 2015, 2507 ff.) nach Vorlage beim EuGH (Urteil vom 5.3.2015 – C-503/13, C-504/13; NJW 2015, 1163 ff.) betrifft die Produkthaftung für fehlerhafte Medizinprodukte.

Krankenversicherer einiger Patienten, deren Herzschrittmacher oder Defibrillator ausgetauscht wurde, verlangten vom Hersteller die Erstattung der Kosten im Zusammenhang mit den hierzu durchgeführten Eingriffen. Nach der Herstellung hatten durchgeführte Qualitätskontrollen gezeigt, dass die Funktionsfähigkeit der implantierbaren Defibrillatoren des Typs durch einen Bauelementefehler beeinträchtigt werden könnte. Die technische Analyse hatte ergeben, dass ein Magnetschalter dieser Defibrillatoren in einer Position stagnieren kann. Dies könnte dazu führen, dass eine etwaige lebensgefährliche Herzrhythmusstörung von den Defibrillatoren nicht erkannt würde und diese keinen das Leben des Patienten rettenden Schock abgeben. Daher empfahl der Hersteller den behandelnden Ärzten, die den Patienten implantierten Schrittmacher durch andere zur Verfügung gestellte Schrittmacher zu ersetzen. Auch wurde vom Hersteller empfohlen, die Magnetfunktion zu deaktivieren. Die Frage, ob diese Produkte fehlerhaft iSd Produkthaftungsrechts sind, obwohl nicht feststeht, dass sie selbst einen Fehler haben, aber zu einer Gruppe von Produkten gehörten, die ein Ausfallrisiko haben, hat der BGH nach Vorlage beim EuGH aufgrund der Auslegung der  dem ProdHaftG zugrundeliegenden Richtlinie bejaht. Zudem hafte der Hersteller für den Ersatz des durch eine chirurgische Operation zum Austausch eines fehlerhaften Defibrillatoren  verursachten Schadens, wenn der Austausch erforderlich sei, um den Fehler zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wiederherzustellen, das die Patienten zu erwarten berechtigt sind.

Diese Frage war vom EuGH beantwortet worden. Schadensersatz i.S.d. zugrunde liegenden Richtlinie umfasse alles, was erforderlich sei, um die Schadensfolgen zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wiederherzustellen. Deshalb sollte der Schadensersatz bei medizinischen Geräten wie Herzschrittmachern und implantierbaren Cardioverten Defibrillatoren, die iSv Art.6 I der Richtlinie fehlerhaft sind, unter anderem die Kosten im Zusammenhang mit dem Austausch des fehlerhaften Produkts einschließen. Bei dem durch eine chirurgische Operation zum Austausch eines fehlerhaften Produkts verursachten Schaden handele es sich um einen „durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden“, für den der Hersteller haftet, wenn diese Operation erforderlich ist, um den Fehler des betreffenden Produkts zu beseitigen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung in den Ausgangsverfahren erfüllt ist oder ob eine bloße Deaktivierung ausreichend sei. Der BGH hat hierauf an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Fazit:

Die Antworten des EuGH auf die ihm vor der Entscheidung vorgelegten Fragen sind leider knapp begründet und an einigen Stellen wenig konkret formuliert. Es wird nicht bloß auf einen Fehler an einem einzelnen Produkt abgestellt, sondern durchaus praxisnah daran angeknüpft, ob ein Fehler potenziell bei allen Produkten der Modellreihe vorhanden war. Hinsichtlich des Schadensersatzes wird aus der Sicht des betroffenen Patienten, der sich bei einer fehlerfreien Produktgruppe auf das Operationsrisiko und damit auf den Eingriff in seine körperliche Integrität nicht hätte einlassen müssen, auch wenn die OP lege artis erfolgte, argumentiert. Im Ergebnis habe das vorlegende Gericht dies zu prüfen, insbesondere ist zu prüfen, ob eine Deaktivierung der Magnetfunktion des Defibrillators ausreicht oder ein operativer Austausch erfolgen muss.

Es dürfte künftig Schwierigkeiten bereiten, die relevante Produktgruppe zu bestimmen und die Intensität eines Fehlerverdachts für das Produkthaftungsrecht verbindlich festzustellen. Ebenso ist die Frage, ob ein Austausch erforderlich ist oder eine ebenfalls vom Hersteller empfohlene Deaktivierung, die mit geringeren Kosten als einem Austausch verbunden wäre, genügt, dem Tatsachengericht vorbehalten. Unklarheiten sind damit verblieben und dürften auch künftig Gerichte bei vergleichbaren Austauschaktionen und einer in Rede stehenden Medizinprodukthaftung beschäftigen.

Dr. Marc Anschlag, LL.M.
Rechtsanwalt
14. Juli 2016

von Dr. Marc Anschlag

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