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Verzögerungsrüge für Bestandsverfahren
Das neue Gesetz über den Rechtschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
In aller Kürze
Am 24.11.2011 wurde das Gesetz über den Rechtschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verkündet, am 02.12.2011 erfolgte die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt, das Gesetz ist seit dem in Kraft. Nach diesem Gesetz kann die Partei eines Rechtsstreits bei überlangen Verfahren eine Entschädigung beanspruchen. Die angemessene Verfahrensdauer beträgt im Normalfall etwa ein Jahr pro Instanz.
Verzögert das Gericht das Verfahren, erhält der Betroffene für jedes Jahr der Verzögerung eine Entschädigung von EUR 1.200. Zusätzlich kann auch für materielle Schäden Ersatz verlangt werden. Um den Entschädigungsanspruch geltend machen zu können, muss bereits während des Verfahrens eine Verzögerungsrüge erhoben werden, wenn absehbar ist, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit beendet wird.
Auch in Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits anhängig waren, kann Entschädigung für Verfahrensverzögerungen beansprucht werden, hierfür muss unverzüglich die Verzögerungsrüge erhoben werden. Das heißt Bestandsverfahren müssen sofort einer Prüfung unterzogen werden, ob es bereits zu einer Verfahrensverzögerung durch das Gericht gekommen ist. Im Falle der Verzögerung muss gerügt werden.
Details
Die Neuregelung sichert den Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit, der sowohl vom Grundgesetz als auch von der europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird. Ein Verfahrensbeteilgter kann künftig eine Entschädigungsklage gegen den Staat erheben. Er kann Ersatz für die Nachteile verlangen, die durch die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer entstanden sind.
Durch das Gesetz über den Rechtschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wird u.a. das Gerichtsverfassungsgesetzes durch Einfügung eines neuen 17. Titels "Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" und der §§ 198 bis 201 GVG geändert. Nach diesen Vorschriften erhält ein Verfahrensbeteiligter eine Entschädigung, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat.
In der Praxis dürfte vor allem die Bestimmung der überlangen Verfahrensdauer Schwierigkeiten bereiten. Der Anspruch auf Entschädigung setzt voraus, dass die angemessene Verfahrensdauer überschritten wird (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG bestimmt, dass sich die angemessene Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls richtet, wobei insbesondere
- die Schwierigkeit und
- die Bedeutung des Verfahrens
- sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter
zu berücksichtigen sind. Hier ist eine Auslegung nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK vorzunehmen. Der EGMR ordnet im Ergebnis die Verfahrensdauer als unangemessen lang ein, wenn es eine dem Staat zurechenbare Verfahrensverzögerung gegeben hat. Eine Verfahrensverzögerung liegt vor, wenn eine Verfahrenshandlung zu einem früheren Zeitpunkt hätte vorgenommen werden können.
Ob die Verfahrensdauer unangemessen i. S. des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, ist anhand des konkreten Einzelfalls zu prüfen. Der EGMR hat mehrfach geäußert, dass man als Richtwert davon ausgehen kann, dass die angemessene Dauer pro Instanz etwa ein Jahr beträgt (Böcker, DStR 2011, 2173).
Bei Verfahren die bereits länger als ein Jahr pro Instanz andauern, muss geprüft werden, ob es Verfahrensverzögerungen gegeben hat. Die zeitliche Abfolge der einzelnen Verfahrenshandlungen ist darauf hin zu untersuchen, ob das Gericht eine Zeit lang den Fortgang des Verfahrens nicht gefördert hat oder ob bei einer effizienteren Verfahrensgestaltung eine Verfahrenshandlung hätte früher vorgenommen werden können (Böcker, a.a.O.).
Verzögerungen durch die Parteien sind unbeachtlich. Es bleibt abzuwarten, welche Richtwerte sich für die einzelnen vom Gericht vorzunehmenden Verfahrenshandlungen herauskristallisieren werden.
Zur Wahrung des Entschädigungsanspruchs muss schon während des Verfahrens eine Verzögerungsrüge erhoben werden. Dies soll den Gerichten nach dem Willen des Gesetzgebers die Möglichkeit geben, bei berechtigter Kritik Abhilfe zu leisten. Die Verzögerungsrüge kann beim Prozessgericht erstmals erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG).
Wird die Verzögerungsrüge zu früh erhoben, ist sie unstatthaft. Sie kann dann erst nach sechs Monaten erneut erhoben werden (§ 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG). Nach der Gesetzesbegründung muss die Verfahrensrüge nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erhoben werden, da auch Verzögerungen die vor der Rüge erfolgt sind berücksichtigt werden. Die Geduld eines Verfahrensbeteiligten soll nicht "bestraft" werden. Allerdings kann die Entschädigung entfallen, wenn die Verzögerungsrüge so spät erhoben wird, dass das Verhalten des Verfahrensbeteiligten als reines "Dulden und Liquidieren" einzuordnen ist.
Nach Artikel 23 "Übergangsvorschrift" gilt das Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind oder noch werden können. Für anhängige Verfahren, die bei ihrem Inkrafttreten schon verzögert sind, gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss, um einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum zu wahren.
Entschädigt werden durch die überlange Verfahrensdauer verursachte materielle und immaterielle Nachteile. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG wird zum Ausgleich eines immateriellen Nachteils (welcher widerleglich vermutet wird) eine pauschale Entschädigung für jedes angefangene Jahr der Verzögerung in Höhe von EUR 1.200 gewährt. Bei Unbilligkeit kann von diesem Betrag nach unten/oben abgewichen werden. Zusätzlich können materielle Schäden ersetzt werden. Allerdings ist vor dem Ausspruch einer Entschädigung immer zu prüfen, ob nicht eine Wiedergutmachung auf andere Weise – konkret durch Feststellung der überlangen Verfahrensdauer – ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 iVm § 199 Abs. 4 GVG).
Der Entschädigungsanspruch muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens eingeklagt werden (§ 198 Abs. 5 Satz 2 GVG). Ausschließlich zuständige Entschädigungsgerichte sind die Oberlandesgerichte in deren Bezirk die Regierung des beklagten Landes ihren Sitz hat (§ 201 Abs. 1 GVG). Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof (§ 201 Abs. 1 GVG).
Siegfried Weitzel
Rechtsanwalt
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