Tätigkeitsgebiete Immobilie // Bau
„Schulnotenrechtsprechung“ im Vergaberecht: Der BGH spricht ein Machtwort
Der Bundesgerichtshof hat sich nach der Divergenzvorlage des OLG Dresden (02.02.2017, Verg 7/16) in dem Beschluss vom 04.04.2017 (X ZB 3/17) mit der sog. „Schulnotenrechtsprechung“ befasst und eine der derzeit umstrittensten Fragestellungen des Vergaberechts (vorerst) geklärt. Die Karlsruher Richter entschieden, dass es mit den Grundsätzen der Transparenz und des Wettbewerbs (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) bei der Auftragsvergabe in der Regel vereinbar ist, wenn der öffentliche Auftraggeber für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktwerten vergibt, ohne dass die Vergabeunterlagen nähere Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl konkret abhängen soll.
Der Sachverhalt:
Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren den Abschluss von Rahmenverträgen über Postdienstleistungen aus. Als Zuschlagskriterien wurden mit jeweils 50 % der Preis und die Qualität der Leistungserbringung angegeben. Für Letztere waren in den Vergabeunterlagen drei Unterkriterien benannt und diese mit jeweils zugeordneten Prozentwerten gewichtet worden. Die schriftlichen Darstellungen der Bieter zum Konzept der Leistungserbringung sollten auf einer Skala von ungenügend (0 Punkte), über mangelhaft (1 Punkt), ausreichend (2 Punkte), befriedigend (3 Punkte) und gut (4 Punkte) bis zu sehr gut (5 Punkte) bewertet werden.
Die Antragstellerin und mit ihr die Vergabekammer Sachsen vertraten die Auffassung, dass dieser Bewertungsmethode die Prinzipien der Transparenz und des Wettbewerbs entgegenstünden. Die Bewertung der Qualität eines Angebotes anhand von Schulnoten, die im Vorhinein keinen Schluss darauf zuließen, welchen Erfüllungsgrad oder Zielerreichungsgrad die Angebote bezüglich einzelner Qualitätskriterien aufweisen müssen, sei intransparent.
Die Entscheidung:
Der BGH entschied demgegenüber im Sinne des Vergabesenats des OLG Dresden und der Antragsgegnerin. Die gewählte Bewertungsmethode sei rechtmäßig. Zur Begründung führt der BGH aus, dass eine Bewertungsmethode, in deren Rahmen die Erfüllung von Qualitätskriterien nach Maßgabe von Konzepten bemessen wird, einer Vergabe mit funktionaler Leistungsbeschreibung ähnlich sei. Kennzeichnend sei hier aber, dass es Aufgabe der Bieter ist, Lösungen für die Fragestellung der Vergabestelle zu erarbeiten. Sinnwidrig wäre es, von der Vergabestelle abzufordern, den Bietern in den Vergabeunterlagen direkt oder mittelbar Lösungskomponenten vorzugeben, die diese zwangsläufig aufgreifen würden, um in der Angebotswertung bestehen zu können. Der Vergabestelle könne nicht auferlegt werden, Aufgaben zu übernehmen, deren Lösung sie auf die Bieter übertragen wollte.
Die Vorgaben des Auftraggebers in den Vergabeunterlagen zur Wertung der Angebote im Rahmen des qualitativen Zuschlagskriteriums hält der BGH für hinreichend transparent. Durch die Aufstellung der Unterkriterien sowie ergänzender Informationen in den Vergabeunterlagen könnten sich die Bieter ein Bild davon machen, wofür ihr Konzept eine taugliche Lösung anbieten muss.
Dies stehe im Einklang mit der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 14.07.2016, C-6/17, „Dimarso“) zum alten Richtlinienrecht, also zur Richtlinie 2004/18/EG. Einer in Bezug auf die Anforderungen an die Aufstellung von Wertungsmethoden bei qualitativen Zuschlagskriterien strengen Spruchpraxis, insbesondere des OLG Düsseldorf (u.a. Beschluss vom 16.12.2015, Verg 25/15), erteilt der BGH eine Absage. Freilich hatte das OLG Düsseldorf im Lichte des „Dimarso“-Urteils des EuGH bereits zuvor, mit Beschluss vom 08.03.2017 (VII-Verg 39/16), seine bisherige strenge Rechtsprechung relativiert, allerdings ausdrücklich beschränkt auf das Vergaberecht basierend auf der Richtlinie 2004/18/EG. Die BGH-Entscheidung bezieht sich nun auf das neue Vergaberecht.
Praxistipp und Ausblick:
Die Entscheidung des BGH sorgt für Klarheit, insbesondere bei Vergabestellen, die bei der Erarbeitung der Vergabeunterlagen eine Bewertungsmethode für qualitative Zuschlagskriterien entwickeln müssen. Die diesbezüglich strenge Rechtsprechung des OLG Düsseldorf wurde in der vergaberechtlichen Diskussion mitunter als überzogen und praktisch unerfüllbar bewertet.
Trotzdem ist weiterhin Vorsicht geboten bei der Aufstellung von Bewertungsmethoden. Zwar muss der Auftraggeber nun regelmäßig keine Erfüllungsgrade bzw. Zielvorgaben (mehr) benennen, doch begegnet ein reines „Schulnotensystem“ weiterhin Bedenken im Hinblick auf den Transparenzgrundsatz. Wenn nämlich hinsichtlich eines unkonkreten Qualitätskriteriums erläuternde Unterkriterien bzw. Informationen gänzlich fehlen sollten, hätte der Bieter keinen Anhaltspunkt dafür, worauf es der Vergabestelle bei der Wertung ankommt.
Auch lässt der BGH eine Hintertür für strengere Anforderungen an ein Bewertungssystem im Einzelfall offen. Am Ende der Entscheidung hält er insoweit fest, dass es möglicherweise außergewöhnliche Umstände geben könnte, die es gebieten, die Vorstellungen des Auftraggebers zum denkbaren Zielerreichungsgrad in den Vergabeunterlagen zu erläutern und damit konkrete Anhaltspunkte für eine günstige oder ungünstige Benotung vorzugeben, was aber nicht zu entscheiden war. Ein außergewöhnlicher Umstand könne z.B. die Komplexität des Auftragsgegenstands sein, die besonders vielschichtige Wertungskriterien erforderlich macht.
Überdies betont der BGH, dass bei der Verwendung eines offenen Wertungsschemas wie des Schulnotensystems besondere Sorgfalt zu legen ist auf die Durchführung der Benotung der vorgelegten Konzepte sowie auf die Dokumentation des Wertungsprozesses. Die ex post-Transparenz darf also nicht vernachlässigt werden.
David Poschen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht
15. Mai 2017
Blog-Beiträge nach Tätigkeitsgebieten
Letzte Posts
Archiv
-
2024
- April 2024 (2 Einträge)
- März 2024 (2 Einträge)
- Januar 2024 (2 Einträge)
-
2023
- Dezember 2023 (3 Einträge)
- November 2023 (2 Einträge)
- März 2023 (1 Eintrag)
- Februar 2023 (1 Eintrag)
-
2022
- Dezember 2022 (1 Eintrag)
- November 2022 (2 Einträge)
- Oktober 2022 (1 Eintrag)
- September 2022 (3 Einträge)
- August 2022 (1 Eintrag)
- Juli 2022 (2 Einträge)
- Juni 2022 (1 Eintrag)
- April 2022 (1 Eintrag)
- März 2022 (1 Eintrag)
- Januar 2022 (1 Eintrag)
-
2021
- November 2021 (1 Eintrag)
- Oktober 2021 (1 Eintrag)
- Juli 2021 (1 Eintrag)
- Juni 2021 (1 Eintrag)
- Mai 2021 (1 Eintrag)
- März 2021 (1 Eintrag)
- Januar 2021 (3 Einträge)
-
2020
- November 2020 (1 Eintrag)
- September 2020 (1 Eintrag)
- August 2020 (2 Einträge)
- Juli 2020 (1 Eintrag)
- Juni 2020 (1 Eintrag)
- Mai 2020 (2 Einträge)
- April 2020 (3 Einträge)
- März 2020 (16 Einträge)
- Februar 2020 (2 Einträge)
- Januar 2020 (3 Einträge)
-
2019
- November 2019 (1 Eintrag)
- Oktober 2019 (3 Einträge)
- August 2019 (2 Einträge)
- Juli 2019 (3 Einträge)
- Juni 2019 (1 Eintrag)
- Mai 2019 (1 Eintrag)
- April 2019 (1 Eintrag)
- Februar 2019 (3 Einträge)
- Januar 2019 (2 Einträge)
-
2018
- Oktober 2018 (2 Einträge)
- August 2018 (4 Einträge)
- Juli 2018 (5 Einträge)
- Juni 2018 (2 Einträge)
- Mai 2018 (3 Einträge)
- April 2018 (3 Einträge)
- März 2018 (2 Einträge)
- Februar 2018 (1 Eintrag)
- Januar 2018 (6 Einträge)
-
2017
- Dezember 2017 (2 Einträge)
- November 2017 (3 Einträge)
- September 2017 (2 Einträge)
- August 2017 (1 Eintrag)
- Juli 2017 (2 Einträge)
- Juni 2017 (3 Einträge)
- Mai 2017 (2 Einträge)
- April 2017 (4 Einträge)
- März 2017 (2 Einträge)
- Februar 2017 (2 Einträge)
- Januar 2017 (3 Einträge)
-
2016
- Dezember 2016 (2 Einträge)
- November 2016 (4 Einträge)
- Oktober 2016 (3 Einträge)
- September 2016 (3 Einträge)
- August 2016 (4 Einträge)
- Juli 2016 (6 Einträge)
- Juni 2016 (4 Einträge)
- Mai 2016 (5 Einträge)
- April 2016 (5 Einträge)
- März 2016 (10 Einträge)
- Februar 2016 (6 Einträge)
- Januar 2016 (9 Einträge)
-
2015
- Dezember 2015 (9 Einträge)
- November 2015 (4 Einträge)
- Oktober 2015 (5 Einträge)
- September 2015 (5 Einträge)
- August 2015 (3 Einträge)
- Juni 2015 (8 Einträge)
- April 2015 (2 Einträge)
- Januar 2015 (2 Einträge)
-
2014
- Dezember 2014 (2 Einträge)
- November 2014 (1 Eintrag)
- Mai 2014 (1 Eintrag)
- April 2014 (2 Einträge)
- Februar 2014 (3 Einträge)
- Januar 2014 (1 Eintrag)
-
2013
- November 2013 (1 Eintrag)
- Juni 2013 (3 Einträge)
- Mai 2013 (2 Einträge)
- April 2013 (1 Eintrag)
-
2012
- November 2012 (1 Eintrag)
- August 2012 (1 Eintrag)
- Juli 2012 (1 Eintrag)
- März 2012 (1 Eintrag)
- Januar 2012 (3 Einträge)
-
2011
- Dezember 2011 (1 Eintrag)
- November 2011 (1 Eintrag)
- Oktober 2011 (1 Eintrag)
- September 2011 (1 Eintrag)
- Juli 2011 (2 Einträge)
- Juni 2011 (2 Einträge)
- Februar 2011 (2 Einträge)
-
2010
- Juli 2010 (1 Eintrag)
- Juni 2010 (1 Eintrag)
- Mai 2010 (1 Eintrag)
- April 2010 (1 Eintrag)
- März 2010 (1 Eintrag)
- Februar 2010 (1 Eintrag)
-
2009
- Dezember 2009 (1 Eintrag)
- September 2009 (1 Eintrag)
- August 2009 (1 Eintrag)
- April 2009 (1 Eintrag)
- März 2009 (1 Eintrag)
- Januar 2009 (1 Eintrag)
-
2008
- Oktober 2008 (1 Eintrag)
- Mai 2008 (1 Eintrag)
- April 2008 (4 Einträge)
- März 2008 (2 Einträge)
- Februar 2008 (4 Einträge)
- Januar 2008 (6 Einträge)
-
2007
- Dezember 2007 (2 Einträge)
- November 2007 (2 Einträge)
- Oktober 2007 (2 Einträge)
- August 2007 (3 Einträge)
- Juli 2007 (1 Eintrag)
- Juni 2007 (1 Eintrag)
-
2006
- Juni 2006 (1 Eintrag)