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Die neue EU-Vergaberichtlinie 2014
Das Vergaberecht ist kaum wie ein anderes Rechtsgebiet einem ständigen Wandel unterworfen. Nach regen nationalen legislativen Aktivitäten, zu nennen ist nicht zuletzt die Verabschiedung von Landesvergabegesetzen in den meisten Bundesländern, mischt nun der europäische Gesetzgeber wieder kräftig mit.
Drei neue Vergaberichtlinien sind im Frühjahr 2014 in Kraft gesetzt worden, nämlich die "klassische" Vergaberichtlinie (bisher Richtlinie 2004/18/EG), die Richtlinie für Sektorenvergaben (bisher Richtlinie 2004/17/EG) und die Konzessionsrichtlinie (kein Vorgänger). Der deutsche Gesetzgeber hat nun zwei Jahre Zeit, die Richtlinien in nationales Vergaberecht umzusetzen. Mit Spannung bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die bisherige Struktur der vergaberechtlichen Normen (Kaskadenprinzip), die regelmäßig als zu kompliziert und unübersichtlich kritisiert wird, beibehält und nur punktuell und inhaltlich Änderungen vornehmen wird oder ob er die Umsetzung der Richtlinien dazu nutzen wird, auch die Systematik des deutschen Vergaberechts umzukrempeln.
Inhalt dieser Ausführungen ist die Darstellung einiger wichtiger Eckpunkte im Hinblick auf die "klassische" Vergaberichtlinie:
1. In-House-Geschäfte
Bislang waren Regelungen zu In-House-Vergaben nicht kodifiziert, sondern Gegenstand der Recht-sprechung des Europäischen Gerichtshofs, beginnend und grundlegend mit der "Tecka"“-Entscheidung (Urteil vom 18.11.1999, C-107/98). Die vom EuGH herausgearbeiteten Grundannahmen haben nun Eingang in die Vergaberichtlinie gefunden und sind noch erweitert worden (Art. 12).
Hiernach ist hinsichtlich der Grundkonstellation ein von einem öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts vergebener Auftrag nicht vergabepflichtig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
• Der öffentliche Auftraggeber übt über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus, wie über seine eigenen Dienststellen,
• mehr als 80 % der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen von diesem kontrollierten juristischen Personen betraut wurden und
• es besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person, mit Ausnahme nicht beherrschter Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.
Eine Ausdehnung der Vergabefreiheit erfahren durch die Richtlinie auch ähnliche Fallgruppen wie die Vergabe von Aufträgen von Tochtergesellschaften an die kontrollierende Muttergesellschaft ("umgekehrte" In-House-Vergabe), die Vergabe von Aufträgen zwischen Tochtergesellschaften derselben kontrollierenden Muttergesellschaft ("horizontale" In-House-Vergabe), die Vergabe von Aufträgen an eine von mehreren Muttergesellschaften beherrschte Tochtergesellschaft und die Vergabe von Aufträgen zwischen Tochter- oder Enkelgesellschaften verschiedener Muttergesellschaften.
Großzügiger als die bisherige Rechtsprechung ist auch die Regelung, wonach bis zu 20 % der Gesamttätigkeiten des kontrollierten Unternehmens die Geschäftstätigkeit für Dritte ausmachen darf (s. 2. Spiegelpunkt).
2. Zusammenarbeit mehrerer öffentlicher Auftraggeber
Ebenfalls nach Art. 12 der Richtlinie ist nunmehr eine nicht vergabepflichtige Zusammenarbeit von öffentlichen Auftraggebern bei der Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen gestattet. Auch diesbezüglich ging bereits eine entsprechende Rechtsprechung des EuGH voraus. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
• Die Aufgabe, die Gegenstand der Kooperation ist, muss den Beteiligten gemeinsam obliegen,
• Private dürfen an der Zusammenarbeit nicht beteiligt sein,
• die Kooperation wird ausschließlich durch Überlegungen des öffentlichen Interesses bestimmt und
• die beteiligten öffentlichen Auftraggeber erbringen auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Kooperation erfassten Tätigkeiten.
3. "Innovationspartnerschaft" als neues Verfahren
Nach der jüngsten Vergabeart "Wettbewerblicher Dialog" (jetzt geregelt in Art. 30) ist nun ein neues Verfahren namens "Innovationspartnerschaft" geschaffen worden (Art. 31), welches nach Art und Zielsetzung dem Wettbewerblichen Dialog durchaus ähnelt. Ob die Innovationspartnerschaft in der Praxis eine große Rolle spielen wird, bleibt abzuwarten.
Gegenstand der Innovationspartnerschaft soll die Entwicklung innovativer Produkte bzw. innovativer Dienst- oder Bauleistungen sein, die nicht bereits durch den Erwerb von bereits auf dem Markt verfügbaren Produkten oder Leistungen erbracht werden kann. Die Innovationspartnerschaft ist ein zweistufiges Verfahren: der Verhandlungsphase ist ein Teilnahmewettbewerb mit Eignungsprüfung vorgeschaltet.
4. "Projektanten"-Problematik
Dieser Themenbereich war in der Vorgänger-Richtlinie nicht enthalten, war aber bereits durch Richterrecht geprägt. Von einer Projektantenproblematik spricht man, wenn der Betreffende im Vorfeld z.B. bei einer vorherigen Marktschau oder der Erstellung der Ausschreibungs-/Vergabeunterlagen bereits (etwa als Berater) beteiligt war und sich im späteren Vergabeverfahren als Bewerber bzw. Bieter beteiligt. Ein Wissensvorsprung dieses Teilnehmers muss ausgeglichen werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Art. 41 sieht vor, dass der öffentliche Auftraggeber geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um eine Verzerrung zu verhindern, etwa die Unterrichtung anderer Bewerber oder Bieter in Bezug auf einschlägige Informationen, von denen der Projektant durch die vorherige Beratung Kenntnis erlangt hatte. Ein Ausschluss des Projektanten vom Vergabeverfahren darf nur dann erfolgen, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Einhaltung der Pflicht zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsat-zes zu gewährleisten.
5. Losvergabe
Das Gebot der Losvergabe, bspw. in § 97 Abs. 3 GWB verankert, wird nun erstmals auch europarechtlich geregelt (Art. 46).
6. Bietereignung
In den Art. 57 ff. sind Regelungen rund um die Eignung von Teilnehmern am Vergabeverfahren enthalten. Ausdrücklich geregelt ist nunmehr die Möglichkeit des Ausschlusses eines Unternehmens, dem erhebliche Schlechtleistungen im Rahmen eines früheren öffentlichen Auftrages vorzuwerfen sind, wenn dies die vorzeitige Beendigung des früheren Auftrages, Schadensersatz oder andere ver-gleichbare Sanktionen nach sich gezogen hat.
Art. 59 soll eine Vereinfachung des Nachweises der Bietereignung und der Eignungsprüfung bewirken: Anstelle von Bescheinigungen von Behörden oder Dritten soll die sogenannte Einheitliche Europäische Eigenerklärung als vorläufiger Eignungsnachweis ausreichen. Die Einheitliche Europäische Eigenerklärung wird auf der Grundlage eines Standardformulars erstellt. Vor der Auftragsvergabe soll derjenige Bieter, auf den der Zuschlag erteilt werden soll, in der Regel weiterführende Nachweise und Erklärungen abgeben.
7. Zuschlagskriterien
Der Abschnitt über die Zuschlagskriterien (Art. 67) sieht nunmehr ausdrücklich vor, dass die Entscheidung über den Zuschlag allein nach dem Kriterium des niedrigsten Preis getroffen werden kann. Damit dürfte die zeitweise umstrittene Fragestellung, ob es nach der Regelung der Vorgänger-Richtlinie zulässig sei, ausschließlich nach dem Preis zu werten, endgültig überwunden sein.
Sehr bemerkenswert ist die Aufgabe des bisher strikten Gebots der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien. Als Zuschlagskriterien können jetzt auch Kriterien wie Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrages betrauten Personals gewählt werden, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann (was man in vielfältigen Fällen bejahen dürfte). Diese Aspekte sind an sich klassische Eignungskriterien und hätten nach alter Rechtslage nicht Gegenstand der Zuschlagswertung sein dürfen.
8. Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit
Wie bei vielen der vorgenannten Regelungspunkten gab es auch zu Vertragsänderungen – speziell, wann diese eine Neuvergabe erforderlich machen oder nicht – bis dato keine Richtlinienregelungen, sondern Entscheidungen des EuGH (vor allem "Pressetext"-Urteil vom 19.06.2008, C-480/06). Auch diesbezüglich ist eine Regelung (Art. 72) in die neue Richtlinie aufgenommen worden, die dieser Rechtsprechung im Grundansatz folgt und die Rechtslage noch konkretisiert und erweitert.
Wann eine Vertragsänderung keine Pflicht zur Neuvergabe auslöst, ist detailliert in der Richtlinie geregelt. Zu den Voraussetzungen bzw. Fallgruppen, die hier nicht abschließend genannt werden, gehören u.a.:
• Die Vertragsänderungen bzw. Optionen waren im ursprünglichen Vertrag schon angelegt.
• Die Vertragsänderung ist erforderlich aufgrund von Umständen, die für den Auftraggeber nicht vorhersehbar waren, wobei sich der Gesamtcharakter des Auftrages nicht verändern darf und eine etwaige Preiserhöhung nicht mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrages betragen darf.
• Die Person des Auftragnehmers ändert sich aufgrund einer Umstrukturierung, einschließlich Übernahme, Fusion, Erwerb oder Insolvenz.
9. Keine Differenzierung zwischen vor- und nachrangigen Dienstleistungen
Die bisherige Unterscheidung zwischen vor- und nachrangigen Dienstleistungen (auch prioritäre und nicht-prioritäre Dienstleistungen genannt) ist, jedenfalls in der bisherigen Form, aufgegeben worden, da die ursprüngliche Auffassung der EU-Kommission, die im Anhang I B genannten Dienstleistungen seien nicht binnenmarktrelevant, nicht mehr aufrechterhalten wird.
Gewisse Unterschiede wird es aber weiterhin geben. Art. 74 ff. sieht für "soziale und andere besondere" Dienstleistungen Sonderregelungen vor, wonach diese Dienstleistungen einem sehr abgeschwächten Vergaberegime mit lediglich rudimentären Verfahrensvorschriften unterliegen. Es gilt zudem ein erhöhter EU-Schwellenwert von 750.000 EUR. Welche konkreten Dienstleistungen hierunter zu fassen sind, ist dem Anhang XIV der Richtlinie zu entnehmen; der Katalog ist erheblich ausgedünnt worden. Als "besondere" Dienstleistungen gelten etwa Rechtsdienstleistungen, die schon zuvor zu den nicht-prioritären Dienstleistungen zählten. Die neue Richtlinie gilt jedoch nicht z.B. für die Vertretung eines öffentlichen Auftraggebers durch einen Rechtsanwalt in einem Gerichtsverfahren; diese Leistung ist nicht auszuschreiben, selbst wenn der Auftragswert 750.000 EUR überschreitet.
David Poschen
Rechtsanwalt
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