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Das neue Tariftreue- und Vergabegesetz NRW: Mehr Bürokratie im Vergabeverfahren?
Der nordrhein-westfälische Landtag hat am 26. Januar 2012 das "Gesetz über die Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen–TVgG NRW)" beschlossen. Öffentliche Aufträge sind danach in Nordrhein-Westfalen nur noch an Unternehmen zu vergeben, die ihren Beschäftigten einen Mindestlohn von 8,62 Euro pro Stunde zahlen, bzw. einen Mindestlohn, der dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz entspricht. Bieter, die sich um Dienstleistungen im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs bemühen, müssen Tarifverträge, die für repräsentativ erklärt worden sind, beachten und eine entsprechende Verpflichtungserklärung abgeben.
Bei Verstoß gegen die Mindestlohnregelung sind gegenüber den Unternehmen weitgehende Kontrollmaßnahmen und Sanktionen vorgesehen, wie etwa die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe, Ausschluss von der Teilnahme an öffentlichen Auftragsvergaben für die Zeit von bis zu drei Jahren und Zahlung von Bußgeldern.
Bemerkenswert ist auch die Regelung zur Haftung des Unternehmens auch für Sub-, Tochterunternehmen und Entleihbetriebe. So ist der Auftragnehmer auch dann zur Zahlung einer Vertragsstrafe für den Fall zu verpflichten, dass sein Nachunternehmer, dessen Nachunternehmer oder die Verleiher von Arbeitskräften gegen die Verpflichtungserklärung bezüglich der Zahlung des Mindestlohns verstoßen. Eine Exkulpation des Auftragnehmers ist allerdings möglich.
Außerdem sind die öffentlichen Auftraggeber im Rahmen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nunmehr an umfangreiche, in der Diskussion als vergabefremd eingestufte, rechtspolitische Vorgaben gebunden, insbesondere im Hinblick auf Sozialverträglichkeit, Umweltschutz und Energieeffizienz, Frauenförderung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Integrations- sowie Mittelstandsförderung. Diese Belange müssen von den Bietern und deren Nachunternehmern beachtet und deren Einhaltung nachgewiesen werden.
So müssen sich etwa mittelständische Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern bei einem Beschaffungsauftrag von mehr als 50.000 Euro oder einer Bauleistung über 150.000 Euro dazu verpflichten, betriebliche Maßnahmen zur Frauenförderung und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchzuführen.
Für den Fall des schuldhaften Verstoßes gegen die Durchführung der vertraglichen Verpflichtung zur Umsetzung der im Rahmen der Eigenerklärung festgelegten Maßnahmen soll der Auftraggeber mit dem Auftragnehmer eine Vertragsstrafe sowie die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung vereinbaren. Hier stellt sich die Frage, in welchem Fall eine Ausnahme zu der als Soll-Vorschrift formulierten Bestimmung vorliegt. Die Bieter sind zudem verpflichtet, einen entsprechenden Nachweis der Frauenförderung ihrer Nachunternehmer beizubringen.
Wie solche Fördermaßnahmen konkret aussehen sollen, ist im Gesetz nicht geregelt. Hierfür ist eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung vorgesehen, die aber noch nicht existiert. Dass die vorgenannte Verpflichtung den öffentlichen Auftraggeber vor Schwierigkeiten bei der Prüfung der Eignung der Unternehmen stellen dürfte, ist unschwer vorstellbar. Hinzu kommt das Problem, dass bei ein und derselben Auftragsvergabe unterschiedliche Bedingungen an die Eignung von Bietern im Hinblick auf Frauenförderungsmaßnahmen zu stellen sind, je nachdem, ob die Bieter mehr und weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigen.
Ob diese Ungleichbehandlung von Bietern mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, ist durchaus zweifelhaft. Ferner besteht mittelbar die Verpflichtung der Bieter, nachzuweisen, wie viele Beschäftigte vorhanden sind und des Auftraggebers, dies zu überprüfen und dies dann auch im Hinblick auf die Nachunternehmer.
Als problematisch dürfte sich auch die Pflicht zur Berücksichtigung von sozialen Kriterien erweisen. Es dürfen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge keine Waren verwandt werden, die unter Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind. Beispielsweise dürfen keine auf Grundlage von Kinderarbeit hergestellten Waren verwandt werden. Verstöße gegen die Verpflichtung des Bieters zur Erklärung, dass die ILO-Kernarbeitsnormen nachweislich eingehalten wurden, führen grundsätzlich zum Ausschluss von der Teilnahme am Wettbewerb, auch wenn der Verstoß durch einen seiner Nachunternehmer erfolgte.
So sehr eine Reduktion von Kinderarbeit zweifelsohne zu begrüßen ist, ist fraglich, wie der Auftragnehmer nachweisen können soll, dass etwa zu Beginn einer Lieferkette von Waren Kinderarbeit nicht stattgefunden hat. Soll hier etwa ein Nachweis aus dem Ursprungsland erbracht werden, und welchen Wert hätte eine solche Bescheinigung überhaupt? Auch die Landesregierung hat die Schwierigkeit des Nachweises gesehen und stellt in der Gesetzesbegründung (Drucksache 15/2379) fest, dass ein lückenloser Durchgriff über die Wertschöpfungs- und Lieferkette für den Bieter oftmals nicht möglich sei. Aus diesem Grund werde grundsätzlich für die Bieter im Verfahren abgestellt auf einen schuldhaften Verstoß gegen die ILO-Kernarbeitsnormen und die Eigenerklärung des Bieters als Nachweis zugelassen.
Immerhin besteht zudem eine Ausnahme zur Vorlagepflicht von derartigen Nachweisen oder Erklärungen, wenn die Bieter diese trotz Beachtung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns nicht oder nicht fristgerecht erbringen können. Wiederum offen bleibt, welchen Inhalt diese Sorgfaltspflichten konkret haben.
David Poschen
Rechtsanwalt
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