Hochwasser und Dringlichkeitsvergabe

Es waren schreckliche Bilder, die wir in den vergangenen Tagen an Bildschirmen und in Zeitungen verfolgen mussten. Die Flutkatastrophen in Rheinland-Pfalz und NRW oder zuletzt in Bayern und Sachsen ließen große Zerstörung zurück. Die Schäden, die durch die Wassermassen entstanden sind, werden noch lange aufgearbeitet und beseitigt werden müssen. Hier ist, neben Versicherern und der Gesellschaft, auch der Staat in besonderem Maße gefragt. Denn neben individuellen Schäden wurde auch die Infrastruktur erheblich geschädigt. So sind etwa Autobahnen, Straßen, Brücken und Leitungen sowie Netzinfrastrukturen nicht nur teilweise, sondern mancherorts auch vollständig zerstört. In den kommenden Wochen, Monaten und Jahren wird beim Wiederaufbau der Infrastruktur das Vergaberecht eine wichtige Rolle einnehmen. Um einen möglichst raschen Wiederaufbau zu gewährleisten, ist insbesondere auch die Wahl des Vergabeverfahrens entscheidend. Bisher sind noch keine Maßnahmen zur Vereinfachung der Vergaben durch den Gesetzgeber oder die zuständigen Ministerien bekannt. 


Im Folgenden geben wir Ihnen daher einen Überblick über die bestehenden Regelungen des Vergaberechts zur Dringlichkeitsvergabe. Auch die jüngste Rechtsprechung des OLG Düsseldorf vom 20. Dezember 2019 wird berücksichtigt. Dabei werden die Regelungen unterteilt in den Oberschwellenbereich, den Unterschwellenbereich und in die Sektorenvergabe. Am Ende wird die Frage beantwortet, welche Fristen bei Vergaben im Zusammenhang mit dem Hochwasser zu beachten sind und ob eine Dringlichkeitsvergabe möglich ist.

 

1)    Öffentliche Aufträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte

Maßgeblich für die Zulässigkeit des Vergabeverfahrens im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist bei Bauaufträgen oberhalb des Schwellenwerts – EUR 5,35 Mio. – § 3a EU Abs. 3 VOB/A. Nach Abs. 3 Nr. 4 der Norm ist ein solches Verfahren zulässig, wenn „äußerste Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen“ infolge von Ereignissen besteht, die der Auftraggeber weder verursacht hat, noch hätte voraussehen können. Folgende Voraussetzungen müssen für die Zulässigkeit dieses Verfahrens erfüllt sein:

a)    Einhaltung der Fristen ist nachweislich nicht möglich.

b)    Dies ist aufgrund von Ereignissen der Fall, die der Auftraggeber nicht verursacht hat bzw. nicht vorhersehen konnte.

c)    Ein Kausalzusammenhang zwischen den Ereignissen und der Dringlichkeit.


Zwar haben die Auftraggeber das Ereignis, also das Hochwasser, nicht verursacht und konnten es auch nicht vorhersehen. Jedoch ist das Merkmal der Dringlichkeit sehr eng auszulegen, so dass die Vorschrift nur bei Gefahren für Leben und Gesundheit zum Tragen kommt. So entschied etwa das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 20.12.2019 (Az. Verg 18/19, Rn. 46)1. Äußerste Dringlichkeit kann nach dieser Rechtsprechung insbesondere nicht mit „bloßen wirtschaftlichen Erwägungen“ begründet werden. Akute Gefahren für Leib oder Leben bestehen infolge der durch die Flutkatastrophe zerstörten Infrastruktur in der Regel jedoch nicht. Eine Vergabe im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist somit derzeit grundsätzlich unzulässig. 


Wir halten es jedoch für möglich, dass eine Katastrophe, wie wir sie in der vergangenen Woche erlebt haben, zu einer anderen Bewertung seitens der Rechtsprechung führen kann. Es gibt gute Argumente, die für die Annahme der äußersten Dringlichkeit im Sinne des § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A sprechen. So stellt die zerstörte Infrastruktur zwar keine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben der betroffenen Bürger dar. Allerdings ist durch die Zerstörung teilweise die Versorgung etwa mit Frischwasser nicht gewährleistet. Ebenfalls sorgen die beschädigten Straßen für eine schlechte Anbindung an Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsdienste oder den öffentlichen Nahverkehr. Dies hat auch mittelbare Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen vor Ort. Und dabei ist auch die Erreichbarkeit der besonders schwer getroffenen Regionen ein Faktor, der nicht nur wirtschaftliche Erwägungen beinhaltet. Vielmehr handelt es sich auch um Gefahren für Leib und Leben der Menschen vor Ort, wenn auch nicht akut. Die Annahme einer äußersten Dringlichkeit bei Vergaben im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der zerstörten Regionen und Ortschaften erscheint durchaus vertretbar. Zudem dürfte es den Bewohnern der schwer betroffenen Orte kaum vermittelbar sein, dass ihr Bedürfnis nach einer funktionierenden Infrastruktur gegenüber den Interessen möglicher Bieter an einer Beteiligung am Wettbewerb zurücktreten soll. Inzwischen vertritt auch des Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) NRW die Auffassung, dass Dringlichkeitsvergaben zur Beseitigung der jetzt entstandenen Notstandsituation zulässig sei 2.


Jedenfalls sehen die §§ 10a EU und 10b EU VOB/A die Möglichkeit einer Verkürzung der Fristen bei Dringlichkeit in den übrigen Verfahren vor, selbst wenn man die Annahme der „äußersten Dringlichkeit“ verneint. Die Anforderungen an die Verkürzung der Fristen sind hier geringer, die Dringlichkeit darf jedoch ebenfalls nicht auf ein Verhalten des Auftraggebers zurückzuführen sein. Eine solche Dringlichkeit kann durchaus mit der Wichtigkeit einer funktionierenden Infrastruktur begründet werden.


Für Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen (z. B. Planungsleistungen) oberhalb des Schwellenwertes (EUR 214.000) gelten die Regelungen der VgV. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bedarf es ebenfalls äußerst dringlicher Grunde. Somit gelten die gleichen Ausführungen wie zur Vergabe von Bauleistungen. 

       

2)   Öffentliche Aufträge unterhalb des EU-Schwellenwertes

Für eine Dringlichkeitsvergabe bei Bauaufträgen unterhalb des oben genannten Schwellenwertes gilt § 3a Abs. 3 Nr. 2 VOB/A. Danach wäre eine freihändige Vergabe der Bauleistungen möglich. Entscheidendes Merkmal ist in dieser Norm die besondere Dringlichkeit. Die Anforderungen sind nicht so streng wie in § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A. Die besondere Dringlichkeit liegt allerdings auch nur in solchen Fällen vor, in denen die verkürzte Frist bei einer beschränkten Ausschreibung nicht eingehalten werden kann. Ein solcher anerkannter Fall ist die Beseitigung von Katastrophenschäden (vgl. Stolz, in Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B, § 3a VOB/A, Rn. 27). Eine freihändige Vergabe von Bauleistungen im Unterschwellenbereich ist demnach zulässig.   
Ebenfalls zulässig ist die Vergabe im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 VOB/A. Die hier geforderte Dringlichkeit ist bei einer Schadensbeseitigung gegeben. 


Für die Vergabe von Dienstleistungen ist im Unterschwellenbereich die UVgO maßgeblich. Nach § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO besteht die Möglichkeit der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb, wenn Gründe für die besondere Dringlichkeit der Vergabe vorliegen. Wie zuvor dargestellt, ist die Beseitigung von Katastrophenschäden als Fall der besonderen Dringlichkeit anerkannt.

 

3)    Sektorenvergabe

Im Rahmen der Sektorenvergabe geht es insbesondere um den Wiederaufbau von Netzen, sowohl im Bereich der Trinkwasser- als auch der Energieversorgung. Nach § 1 SektVO müssen Sektorenauftraggeber gemäß § 100 GWB ebenfalls das Vergaberecht beachten, wenn die Vergabe im Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit steht. Für die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO maßgeblich. Hiernach bedarf es äußerst dringlichen, zwingenden Gründen. Hierfür müssen ebenfalls drei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein:

a)    Ein unvorhergesehenes Ereignis.

b)    Dringliche und zwingende Gründe, die die Einhaltung von Fristen nicht zulassen.

c)    Ein Kausalzusammenhang zwischen den ersten beiden Punkten.


Hier gelten die gleichen Grundsätze wie unter Punkt 1.). Die äußerste Dringlichkeit kann auch hier grundsätzlich nicht angenommen werden. Nach unserer Auffassung ist aber die Annahme der äußersten Dringlichkeit mit den zuvor aufgeführten Argumenten auch hier vertretbar.


Dem Sektorenauftraggeber steht es demnach frei, zwischen den Verfahren nach § 13 Abs. 1 SektVO zu wählen. Hier besteht etwa beim offenen Verfahren die Möglichkeit der Fristverkürzung, § 14 Abs. 3 SektVO. Voraussetzung ist die hinreichend begründete Dringlichkeit. Dies dürfte bei der Folgenbeseitigung einer Naturkatastrophe anzunehmen sein.


4)    Ergebnis

Um die Folgen des Hochwassers zu beseitigen, können öffentliche Auftraggeber im Rahmen des Vergaberechts die Verfahren beschleunigen. Zwar ist es nach der bisherigen Rechtsprechung bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte grundsätzlich nicht möglich, eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen. Ob diese Rechtsprechung im Hinblick auf die jetzige Flutkatastrophe Bestand hat, bleibt abzuwarten. Wir meinen jedenfalls, dass im Einzelfall gute Argumente für die Zulässigkeit der Dringlichkeitsvergabe sprechen können. Jedenfalls können entsprechende Fristen sowohl nach den Regelungen der VOB/A EU und der VgV, als auch nach der SektVO verkürzt werden.


Im Rahmen von Vergaben unterhalb des Schwellenwertes besteht sogar die Möglichkeit einer freihändigen Vergabe. Die Anforderungen an die Dringlichkeit sind im § 3a Abs. 3 Nr. 2 VOB/A nicht so streng. 


Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber und die zuständigen Ministerien auf die Flutkatastrophe ähnlich wie auf die Corona-Pandemie mit Erleichterungen im Vergaberecht reagieren. Einen schnellen Wiederaufbau der Infrastruktur in den besonders stark betroffenen Gebieten würden solche Regelungen jedenfalls beschleunigen.

 

Alexander Thesling
Rechtsanwalt

 

Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

1.  ferner OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.06.2015 – Verg 39/14; OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 – 2 Verg 1/14; OLG Celle, Beschl. v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, OLG München,

2.  Erlass des MHKBG vom 19.07.2021.

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Bundestag verabschiedet das neue Gebäudeenergiegesetz (GEG)

Am 18.06.2020 hat der Deutsche Bundestag in 2. und 3. Lesung nach jahrelanger Vorarbeit das neue Gebäudeenergiegesetz verabschiedet. Nunmehr steht noch die 2. Lesung im Bundesrat an, wobei Änderungen nicht mehr zu erwarten sind, da es sich nicht um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt. Anschließend kann das Gesetz nach Verkündung im Bundesgesetzblatt mit Beginn des dritten auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft treten. Das GEG regelt das Recht des Energieverbrauchs und der Energieeinsparung bei Gebäuden vollständig neu. Die bisher parallel laufenden Regeln von Energieeinsparungsgesetz (EnEG), Energieeinsparverordnung (EnEV) und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) werden zusammengeführt, so dass ein neues, einheitliches und aufeinander abgestimmtes Regelwerk entsteht. Auch wenn der bisher geltende Standard der EnEV im Wesentlichen nicht verschärft wird, enthält das GEG zahlreiche Neuregelungen, die in Zukunft für Immobilieneigentümer, Investoren, Projektentwickler, Planer, Bau- und Gebäudetechnikunternehmen, Makler und Immobilienverwalter relevant sein werden.

Die wesentlichen Neuregelungen im Vergleich zur bisherigen Gesetzeslage fassen wir in dem nachfolgenden komprimierten Überblick zusammen.

Wesentliche Änderungen zur bisherigen Rechtslage

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das aktuelle, bereits sehr anspruchsvolle Anforderungsniveau für Neubauten und Sanierungen im Bestand grundsätzlich nicht weiter verschärft, was bedeutet, dass die tatsächlichen Änderungen bezüglich der Anforderungen an den Energieverbrauch und die Energieeinsparung im GEG im Vergleich zum EnEG, zur EnEV und zum EEWärmeG überschaubar sind.

Referenzgebäudebeschreibung
So bleibt die Referenzgebäudebeschreibung weitestgehend unverändert. Darin wird indessen nunmehr auf einen Erdgas-Brennwertkessel anstatt auf einen Öl-Brennwertkessel verwiesen. Eine Gebäudeautomation wird berücksichtigt.

Anforderungen an den baulichen Wärmeschutz
Anforderungen an den baulichen Wärmeschutz bleiben ebenfalls bestehen. Lediglich für Hallen, die höher als 4 m sind, ist keine Ausnahme mehr vorgesehen. Diese Hallen werden allerdings von der Pflicht zur anteiligen Nutzung erneuerbarer Energien befreit, so dass insoweit eine Erleichterung besteht.

Primärenergiefaktoren
Die Bestimmungen betreffend die Primärenergiefaktoren werden in das GEG integriert. Der Verweis auf die DIN V 18599-1 entfällt zukünftig. Neu in diesem Zusammenhang im Rahmen der Bilanzierung ist, dass

1. für flüssige oder gasförmige Biomasse für den nicht erneuerbaren Anteil der Faktor 0,5 verwendet werden kann, wenn

a) die flüssige oder gasförmige Biomasse im unmittelbaren räumliche Zusammenhang mit dem Gebäude oder mit mehreren Gebäuden, die im räumlichen Zusammenhang stehen, erzeugt wird und
b) dieses Gebäude unmittelbar mit der flüssigen oder gasförmigen Biomasse versorgt wird; mehrere Gebäude müssen gemeinsam versorgt werden;

2. für gasförmige Biomasse, die aufbereitet und in das Erdgasnetz eingespeist worden ist (Biomethan) und in zu errichteten Gebäuden eingesetzt wird, kann für den nicht erneuerbaren Anteil der Wert 0,6 verwendet werden, wenn

a) die Nutzung des Biomethans in einer hocheffizienten KWK-Anlage im Sinne des § 2 Nr. 8a des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) erfolgt,
b) bei der Aufbereitung und Einspeisung des Biomethans die Voraussetzungen nach Anlage 1 Nr. 1 a bis c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes erfüllt worden sind und
c) die Menge des entnommenen Biomethans im Wärmeäquivalent am Ende eines Ka-lenderjahres der Menge von Gas aus Biomasse entspricht, welches an anderer Stelle in das Gasnetz eingespeist worden ist, und Massebilanzsysteme für den gesamten Transport und Vertrieb des Biomethans von seiner Herstellung über seine Einspeisung in das Erdgasnetz und seinen Transport im Erdgasnetz bis zu einer Entnahme aus dem Erdgasnetz verwendet worden sind.

Anrechnung erneuerbarer Energien
Die Pflicht zur Nutzung erneuerbarer Energien, die bisher im EEWärmeG geregelt war, wird nunmehr im GEG normiert.

Wenn in einem Wohn- oder Nichtwohngebäude elektrischer Strom aus erneuerbaren Energien genutzt wird, kann dieser bei der Ermittlung des Energiebedarfs angerechnet werden. Dies setzt jedoch voraus, dass der Strom in unmittelbarem räumlichem Zusammenhang mit dem Gebäude erzeugt und vorrangig im Gebäude selbst genutzt wird.

Energieausweis
Im Energieausweis muss ab Inkrafttreten des Gesetzes der Kohlendioxidausstoß benannt werden. Der bisherige Energieausweis verbleibt, lediglich ergänzt um die Angabe der Kohlendioxid-Emission.

Beratungsgespräche
Bei Abschluss eines Kaufvertrages über ein Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen muss der Verkäufer oder der Immobilienmakler dem Käufer ein informatorisches Beratungsgespräch zum Energieausweis durch eine Person, welche zur Ausstellung des Energieausweises berechtigt ist, anbieten. Voraussetzung ist freilich, dass das informatorische Beratungsgespräch als einzelne Leistung unentgeltlich angeboten wird.

Pflichtangaben in Immobilienanzeigen
Die Pflichten zur Vorlage eines Energieausweises bei Verkauf, Vermietung oder auch Ver-pachtung sowie die Vorgabe zu Pflichtangaben in Immobilienanzeigen werden mit dem GEG nunmehr auch auf den Immobilienmakler ausgeweitet. Bisher hatte die Rechtsprechung eine solche Verpflichtung der Makler nur mittelbar aus Wettbewerbsrecht abgeleitet.

Ferner werden Angaben zu inspektionspflichtigen Klimaanlagen verlangt. Bei Neubauten muss zum Anteil der erneuerbaren Energien am Wärme- und Kälteenergiebedarf auch der Anteil genannt werden, der lediglich der Erfüllung der gesetzlichen Mindestverpflichtungen dient.

Sanierungen im Bestand
Wenn bei der Änderung von Außenbauteilen mehr als 10 % der gesamten Fläche der jeweili-gen Bauteilgruppe erneuert werden, sind die Anforderungen an den Wärmeschutz nach dem GEG zu beachten. Diese 10-%-Grenze („Bagatellgrenze“) galt bereits nach der EnEV. Für die Anlagentechnik gilt die Bagatellgrenze nicht. Hier darf bei der Erneuerung keine minderwertige Technik eingesetzt werden. Dies betrifft Heizung, Lüftung, Kühlung und Beleuchtung. Insoweit sind auch die Betriebsbereitschaft der Anlage, der richtige Betrieb und die fachmännische Wartung nach dem GEG verpflichtend; Verstöße sind bußgeldbewehrt.

Darüber hinaus ist bei Bestandsbauten nunmehr verpflichtend, dass der Eigentümer ein informatorisches Beratungsgespräch führen muss, wenn er bei einem Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohneinheiten Änderungen an der Gebäudehülle durch energetische Veränderung von Außenbauteilen, die Erweiterung des Gebäudes durch neue Räume oder Gebäudeteile oder den Ausbau des Gebäudes vornimmt. Dieses informatorische Beratungsgespräch muss bereits vor der Beauftragung der Planungsleistungen bei einer Person, welche zur Ausstellung eines Energieausweises berechtigt ist, durchgeführt werden. Unternehmer, die Ausführungsleistungen hierzu anbieten, müssen den Eigentümer bei Abgabe des Angebotes auf diese Verpflichtung schriftlich hinweisen.

Bestandsgebäude der öffentlichen Hand
Neu im GEG sind die Sondervorschriften für Bestandsgebäude im Eigentum der öffentlichen Hand, die für behördliche (öffentlich-rechtlich geregelte) Zwecke genutzt werden. Wenn der öffentliche Bauherr eine „grundlegende Renovierung“ solcher Gebäude durchführt, gelten besondere Bestimmungen für die anteilige Nutzung erneuerbarer Energie. Eine „grundlegende Renovierung“ in diesem Sinne liegt vor, wenn innerhalb von zwei Jahren sowohl ein Heizkessel ausgetauscht oder die Heizungsanlage umgestellt wird als auch mehr als 20 % der Gebäudeoberfläche renoviert werden.

Ausnahmen gelten u. a. für überschuldete Kommunen. Diese sind von den besonderen Verpflichtungen befreit, wenn sie durch Beschluss feststellen, dass die nach dem GEG geforderten Maßnahmen mit Mehrkosten verbunden sind, die auch unter Berücksichtigung der Vorbildfunktion des GEG nicht unerheblich sind.

Ölheizung
Für Bestandsgebäude gilt zudem eine Härtefallregelung bezogen auf den Einbau von Ölheizungen über den Stichtag hinaus, so dass diese ab dem Jahr 2026 auch ohne die Kombination mit erneuerbaren Energien noch verbaut werden dürfen, sofern Erdgas oder Fernwärme nicht zur Verfügung stehen und die anteilige Nutzung erneuerbarer Energien technisch nicht möglich ist oder zu einer unbilligen Härte führen würde.

Energetische Inspektion von Klimaanlagen
Wie bereits nach der EnEV müssen in ein Gebäude eingebaute Klimaanlagen mit einer Nennleistung von mehr als 12 kW alle 10 Jahr energetisch inspiziert werden. Dabei handelt es sich um eine bußgeldbewehrte Betreiberpflicht. Die Inspektionsberichte sind der zuständigen Behörde auf Verlangen vorzulegen.

Wärmeversorgung im Quartier
Neu ist ebenfalls, dass bei Gebäuden im räumlichen Zusammenhang („Quartier“) die energetischen Anforderungen auch gemeinschaftlich im Wege einer gemeinsamen Wärmeversorgung erfüllt werden können. Diese Möglichkeit besteht sowohl für Bestands- als auch für Neubauten. Unter gewissen Voraussetzungen ist es bei Bestandsbauten sogar möglich, dass einzelne erfasste Gebäude für sich betrachtet nicht die energetischen Anforderungen des Gesetzes erfüllen müssen.

Vollzug des Gesetzes
Die Einhaltung der Vorgaben des GEG haben der Bauherr oder der Eigentümer der nach Landesrecht zuständigen Behörde durch eine Erfüllungserklärung gemäß § 92 GEG nachzuweisen oder zu bescheinigen, dass die Anforderung dieses Gesetzes eingehalten worden sind. Die Erfüllungserklärung ist nach Fertigstellung des Gebäudes vorzulegen, soweit das Landesrecht nicht einen anderen Zeitpunkt der Vorlage bestimmt. Insoweit sind auch Nachweise von Fachunternehmen nach erfolgtem Einbau/Änderung von Bauteilen und Anlagen von diesen an den Bauherren oder Eigentümer zu übergeben.

Befreiungen, Abweichungen, Vorrang anderer Vorschriften
In Einzelfällen sind auf Antrag des Eigentümers oder Bauherrn Befreiungen von den Anforderungen des GEG zu erteilen, soweit

1.    die Ziele des GEG durch andere als in diesem Gesetz vorgesehene Maßnahmen in gleichem Umfang erreicht werden oder

2.    die Anforderungen im Einzelfall wegen besonderer Umstände durch einen unange-messenen Aufwand oder in sonstiger Weise zu einer unbilligen Härte führen.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Anforderung an Neubauten nach dem GEG nicht einzuhalten sind, wenn Vorschriften des Brandschutzes, des Schallschutzes oder auch des Arbeitsschutzes entgegenstehen. Bei Bestandsgebäuden haben darüber hinaus auch Vorschriften zur Standsicherheit und zum Schutz der Gesundheit Vorrang. U. a. bei Baudenkmälern kann außerdem von den Vorschriften des GEG abgewichen werden, wenn anderenfalls die Substanz oder das Erscheinungsbild beeinträchtigt würde.

Schließlich stehen die im GEG geregelten Anforderungen und Pflichten insgesamt unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit. Anforderungen und Pflichten gelten als wirtschaftlich vertretbar, wenn die erforderlichen Aufwendungen innerhalb der üblichen Nutzungsdauer durch die eintretenden Einsparungen erwirtschaftet werden können: Unwirtschaftlich im Sinne des GEG ist eine Maßnahme also erst dann, wenn sie sich nicht innerhalb ihrer Lebensdauer – mitunter also erst nach Jahrzehnten – amortisiert.

Wann die Voraussetzungen für eine Befreiung, eine Abweichung oder den Vorrang anderer Vorschriften erfüllt sind, wird im Einzelfall mitunter schwer festzustellen und jedenfalls aufwendig zu begründen sein. Gleichwohl kommen Eigentümer, Bauherren, Planer, Unternehmen und Betreiber nicht umhin, sich detailliert mit den Anforderungen des GEG zu befassen.

Denn grundsätzlich ist die Nichteinhaltung der Vorgaben des GEG gemäß § 108 GEG bußgeldbewehrt und stellt somit eine Ordnungswidrigkeit dar. Je nach Bußgeldtatbestand können Geldbußen bis zu 5.000 EUR, 10.000 EUR oder 50.000 EUR verhängt werden.


Daniela Mechelhoff                                            
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Dr. Philipp Verenkotte
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
24. Juni 2020

 

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Corona aktuell: Neuregelungen in Nordrhein-Westfalen ab dem 04.05.2020

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW hat – wie zuletzt wöchentlich – die Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO) NRW geändert:

https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/200501_fassung_coronaschvo_ab_04.05.2020.pdf

Folgende Neuregelungen sind hervorzuheben:

  • Der Betrieb von Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlössern, Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen sowie Zoologischen Gärten und Tierparks sowie Botanischen Gärten, Garten- und Landschaftsparks ist zulässig. Der Mindestabstand von 1,5 m zwischen Personen ist zu gewährleisten (§ 3 Abs. 2 CoronaSchVO NRW). In geschlossenen Räumlichkeiten gilt die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung (§ 12a Abs. 2 Nr. 1, 2 CoronaSchVO NRW).
  • Ab dem 07.05.2020 ist die Nutzung von Spielplätzen zulässig. Begleitpersonen müssen untereinander einen Mindestabstand von 1,5 m einhalten, soweit sie nicht in häuslicher Gemeinschaft leben (§ 3 Abs. 4 CoronaSchVO NRW). Dies gilt also nicht für spielende Kinder.
  • Geschäfte dürfen betrieben werden, wenn die geöffnete Verkaufsfläche 800 m² nicht übersteigt (§ 6 Abs. 2 CoronaSchVO NRW). Anders als in anderen Bundesländern gilt die 800-m²-Grenze also weiterhin.
  • Zulässig sind Sitzungen von rechtlich vorgesehenen Gremien öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Institutionen, Gesellschaften, Parteien oder Vereine. Der Mindestabstand von 1,5 m ist zu gewährleisten (§ 11 Abs. 5 Nr. 2 CoronaSchVO NRW).
  • Versammlungen und Zusammenkünfte sowie interne Veranstaltungen aus beruflichen, gewerblichen und dienstlichen Gründen sind mit Ausnahme von geselligen Anlässen (Betriebsfeiern, Betriebsausflüge usw. zulässig. Selbständige, Betriebe und Unternehmen sind dabei für die Reduzierung von Infektionsrisiken verantwortlich und müssen insbesondere Maßnahmen zur Kontaktvermeidung, zur Hygiene und Reinigung und zur Ermöglichung von Heimarbeit (so weit wie sinnvoll umsetzbar) treffen (§ 12b Abs. 3 CoronaSchVO NRW).

Die Verordnung in der aktuellen Fassung gilt bis einschließlich zum 10.05.2020.

 

Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
4. Mai 2020

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Corona-Krise und die Auswirkungen im Vergaberecht

Die Corona-Krise hält Deutschland in Atem. In diversen Rechtsgebieten entstehen hierdurch bedingt dringliche Fragen, sei es im Bauvertragsrecht, Mietrecht, Insolvenzrecht, Arbeitsrecht etc. Auch das Vergaberecht ist betroffen. Viele Bieter sind in laufenden Vergabeverfahren erheblich verunsichert, wie sie derzeit ein seriöses Angebot kalkulieren sollen – Lieferketten brechen weg, die Personalressourcen werden knapp und die Einhaltung von Liefer- und Ausführungsterminen kann nicht prognostiziert werden. Den Staat und andere öffentliche Auftraggeber treibt die Sorge um, wie dringend benötigte, allerdings auch teils nur noch sehr ein-geschränkt verfügbare Gegenstände zur Bekämpfung der Pandemie wie Heil- und Hilfsmittel, z.B. Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel etc. und medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte schnellstmöglich beschafft werden können.

Das Bundeswirtschaftsministerium gibt mit seinem Rundschreiben vom 19.03.2020 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV 2 (Link Schreiben BMWi) eine Hilfestellung hinsichtlich solcher Lieferleistungen:

1. Öffentliche Aufträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte

Bei Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte gemäß § 106 GWB (139.000 EUR bei Vergaben oberster Bundesbehörden und 214.000 EUR bei Vergaben aller anderen öffentlicher Auftraggeber) sind die Vorschriften des 4. Teils des GWB und der hierauf erlassenen Rechtsverordnungen anwendbar, wobei hier die Regelungen der Vergabeverordnung (VgV) in den Blick genommen werden sollen.

Bei Dringlichkeitsvergaben sieht die VgV in den §§ 14 Abs. 4, 17 die Möglichkeit des sehr schnellen Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb vor. Diese Verfahrensart kann gewählt werden, wenn

(1)    ein unvorhergesehenes Ereignis vorliegt,
(2)    äußerst dringliche und zwingende Gründe bestehen, die die Einhaltung der in anderen Verfahren vorgeschriebenen Fristen nicht zulassen,
(3)    ein kausaler Zusammenhang zwischen dem unvorhergesehenen Ereignis und der Unmöglichkeit besteht, die Fristen anderer Vergabeverfahren einzuhalten.

In Bezug auf äußerst kurzfristige Beschaffungen, die aufgrund bestehender Gefährdungen fundamentaler Rechtsgüter (Leben und Gesundheit) zügig getätigt werden müssen, bejaht das Wirtschaftsministerium in dem Rundschreiben zu Recht das Vorliegen der zuvor genannten Voraussetzungen.

Verwiesen wird auf die Möglichkeit, im Rahmen dieser Verfahrensart Angebote formlos und ohne die Beachtung konkreter Fristvorgaben einzuholen. Aufgrund des besonderen Ausnahmecharakters sind sehr kurze Fristen – bis hin zu 0 Tagen – denkbar. Dies steht im Einklang mit der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 09.09.2015 zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik im Jahr 2015. Im Rundschreiben des Wirtschaftsministeriums wird es für vertretbar gehalten, in der jetzigen Situation auch nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern. § 51 Abs. 2 VgV, der für das Verhandlungsverfahren die Ansprache von mindestens drei Unternehmen vorsieht und damit Ausfluss des Wettbewerbsprinzips ist, ist vor diesem Hintergrund nicht anwendbar.

2. Öffentliche Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte

Bei unterschwelligen Beschaffungen von Heil- und Hilfsmitteln sowie medizinischem Gerät kann in der jetzigen Dringlichkeits- und Notfallsituation die Vergabeart der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nach § 8 Abs. 4 Nr. 9 der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) gewählt werden. Die Voraussetzungen sind sehr ähnlich ausgestaltet wie bei dem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb.

Wenn eine Leistung im Falle von Umständen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, besonders dringlich ist und die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzurechnen sind, kann auch nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, § 12 Abs. 3 UVgO. Nach Mitteilung des Wirtschaftsministeriums ist die-se Voraussetzung im Fall von Beschaffungen, die zur Eindämmung und Bewältigung der Corona-Epidemie kurzfristig erforderlich sind, regelmäßig gegeben.

Verwiesen wird auch auf die Möglichkeit der Anwendung einer Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb ohne Beachtung bestimmter Zulassungsvoraussetzungen, wenn bestimmte Wertgrenzen gemäß der Wertgrenzenerlasse der Bundes- und Landesministerien unterschritten werden. Die Bundesländer können auch die Anwendung bestimmter Vorschriften der UVgO insgesamt für konkrete Bereiche aussetzen, um Vergabeerleichterungen zu bewirken.

3. Ausweitung bestehender Verträge

Die Regelung des § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB ermöglicht zudem, bereits bestehende Verträge im Einvernehmen der Vertragsparteien zu verlängern und wertmäßig auszuweiten, ohne dass eine erneute Vergabepflicht entsteht. Diese Vorschrift gilt gemäß § 47 Abs. 1 UVgO auch für die unterschwelligen Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen.

Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:

(1)    die Änderung bzw. Ausweitung ist erforderlich aufgrund des Vorliegens von Umständen, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten nicht vorhersagen konnte;
(2)    Es liegt keine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags aufgrund der Vertragsänderung, -verlängerung und/oder –ausweitung vor,
(3)    Der Preis darf nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden.

Wie auch bei der Frage der Anwendbarkeit des Verhandlungsverfahrens bzw. der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb vertritt das Wirtschaftsministerium richtigerweise, dass die Voraussetzung (1) angesichts der aktuellen Sachlage zur Entwicklung der Corona-Pandemie gegeben ist. Weder die dynamische Entwicklung der Ausbreitung des Virus noch die hierdurch hervorgerufenen konkreten Bedarfe konnten vorhergesehen werden. Eine Änderung des Gesamtcharakters (Voraussetzung (2)) liegt gemäß Rundschreiben dann nicht vor, wenn lediglich die Liefermengen der vereinbarten Leistung erhöht werden oder ein be-stimmter Liefervertrag über bestimmte medizinische Hilfsmittel um weitere Gegenstände ergänzt werden, die dem gleichen oder einem ähnlichen Zweck gelten.


David Poschen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht
25.03.2020

 

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Information über die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs bei Quarantänemaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Weltweit sind Menschen vom Coronavirus COVID 19 (SARS-CoV-2) betroffen und damit auch in erheblichem Umfang die Wirtschaft, da zur Eindämmung des Virus zahlreiche einschneidende Maßnahmen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) erlassen werden mussten, um die Verbreitung des Virus zumindest einzudämmen.

Hierdurch entstehende wirtschaftliche Einbußen können unter bestimmten Umständen durch eine Entschädigung nach dem IfSG abgefedert werden. Über den Anwendungsbereich und die Voraussetzungen dieses Entschädigungsanspruchs wollen wir Sie im Folgenden informieren:

Das IfSG dient dem Zweck, übertragbare Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Entsprechend sieht das IfSG im 5. Abschnitt (Bekämpfung übertragbarer Krankheiten) zur Verhinderung der Weiterverbreitung weitreichende Schutzmaßnahmen vor. Es handelt sich somit um Maßnahmen der Quarantäne, des beruflichen Tätigkeitsverbots sowie Beschränkungen oder Verbote von Veranstaltungen oder sonstigen Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen.

Danach stellt sich nunmehr sowohl für Arbeitgeber als auch Selbständige und Arbeitnehmer die Frage, wie mit diesen Schutzmaßnahmen umzugehen ist.

Eine Antwort darauf, bietet § 56 IfSG. Eine Entschädigung enthalten danach ausschließlich:

  • Infizierte
  • Personen, die vorsorglich in Quarantäne müssen
  • Ausscheider oder Ansteckungsverdächtige, die andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können
  • Erwerbstätige Sorgeberechtigte und Pflegeeltern von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben sowie von behinderten Kindern.

Infizierte, Personen, die vorsorglich in Quarantäne müssen sowie Ausscheider und Ansteckungsverdächtige erleiden einen Verdienstausfall aufgrund der Infektion und Quarantäne, da sie Verboten in der Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegen und daher Anspruch auf eine Entschädigung in Geld haben. Auf diese Entschädigung werden allerdings Anrechnungen vorgenommen. Insoweit verweisen wir auf § 56 Abs. 8 IfSG.

Erwerbstätige Sorgeberechtigte haben dann einen Anspruch auf Entschädigung in Geld, wenn die Einrichtung zur Betreuung von Kindern oder die Schule von der zuständige Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes geschlossen wird oder die Betreuung untersagt wird. Ein Anspruch besteht hingegen nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde.

Selbständige:

Zunächst werfen wir einen Blick auf die Rechtslage für Selbständige: Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Vom Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 SGB V (Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt.

Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV (Viertes Buch Sozialgesetzbuch), unter Zugrundelegung eines Zwölftels des Arbeitseinkommens im Sinne des § 15 SGB IV aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit.

Arbeitnehmer:

Auch bei den Arbeitnehmern bemisst sich die Entschädigung nach dem Verdienstausfall. Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV (Viertes Buch Sozialgesetzbuch), das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechenden Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang zusteht (Netto-Arbeitsentgelt).

Der Betrag erhöht sich um das Kurzarbeitergeld, auf das der Arbeitnehmer Anspruch hätte, wenn er nicht aus den oben genannten Gründen an der Arbeitsleistung verhindert wäre. Verbleibt dem Arbeitnehmer nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder bei Absonderung ein Teil des bisherigen Arbeitsentgelts, so gilt als Verdienstausfall der Unterschiedsbetrag zwischen dem zuvor genannten Netto-Arbeitsentgelt und dem in dem auf die Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder der Absonderung folgenden Kalendermonat erzielten Netto-Arbeitsentgelt aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis.

Vorgehen:

  • Die Entschädigung wird nur auf Antrag gewährt.
  • Der Antrag ist in Nordrhein-Westfalen bei den Landschaftsverbänden zu stellen.
  • Der Antrag muss innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder dem Ende der Absonderung gestellt werden.
  • Dem Antrag ist von Arbeitnehmern eine Bescheinigung des Arbeitgebers und von den in Heimarbeit Beschäftigten eine Bescheinigung des Auftraggebers über die Höhe des in dem für sie maßgeblichen Zeitraum verdienten Arbeitsentgelts und der gesetzlichen Abzüge,
  • von Selbständigen eine Bescheinigung des Finanzamtes über die Höhe des letzten beim Finanzamt nachgewiesenen Arbeitseinkommens beizufügen. Ist ein solches Arbeitseinkommen noch nicht nachgewiesen oder ist ein Unterschiedsbetrag zu errechnen, so kann die zuständige Behörde die Vorlage anderer oder weiterer Nachweise verlangen. Es empfiehlt sich daher, die letzten betriebswirtschaftlichen Auswertungen vom Steuerberater und den letzten Steuerbescheid vom Finanzamt kurzfristig verfügbar zu haben und ggf. bereits vorab mitzuübersenden.

Praxistipp:

  • Selbständige, deren Betrieb oder Praxis während der Dauer einer Quarantäne oder Aussonderung ruht, erhalten neben der Entschädigung auf Antrag von der zuständigen Behörde Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang.
  • Bei einer Existenzgefährdung können den Entschädigungsberechtigten die während der Verdienstausfallzeiten entstehenden Mehraufwendungen auf Antrag in angemessenem Umfang erstattet werden.
  • Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet.

Das Unternehmen hat also gegenüber dem Land einen Erstattungsanspruch. Der Anspruch auf Entschädigung geht indes, sofern dem Entschädigungsberechtigten Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld für die gleiche Zeit zu gewähren ist, auf die Bundesagentur für Arbeit über.

Für Rückfragen oder bei der Unterstützung zur Durchsetzung dieser Ansprüche stehen wir Ihnen mit unserem Team gerne zur Verfügung! Auch wenn wir aus aktuellem Anlass auf persönliche Beratungsgespräche bei uns im Hause verzichten müssen, erreichen Sie uns weiterhin dezernatsübergreifend via Telefon und E-Mail.

 

 

Daniela Mechelhoff                                 
Rechtsanwältin                                      
Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Dr. Philipp Verenkotte
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht             
26. März 2020

 

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Information über die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs bei Quarantänemaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Weltweit sind Menschen vom Coronavirus COVID 19 (SARS-CoV-2) betroffen und damit auch in erheblichem Umfang die Wirtschaft, da zur Eindämmung des Virus zahlreiche einschneidende Maßnahmen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) erlassen werden mussten, um die Verbreitung des Virus zumindest einzudämmen.

Blog Information über die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs

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Neues Hochschulgesetz NRW seit dem 1.10.2019 in Kraft

In Nordrhein-Westfalen gilt seit dem 1. Oktober 2019 ein neues Hochschulgesetz. Während aus Sicht der Studierendenschaft insbesondere die Abschaffung der sog. „Zivilklausel“ (§ 3 Abs. 6 HG NRW a.F.) für besonders viel Aufsehen und Kontroverse sorgte, bleiben aus hochschulrechtlicher Perspektive andere Änderungen von größerer Bedeutung, von denen wir zwei Beispiele etwas näher beleuchten wollen:

Anwesenheitspflichten

In der Öffentlichkeit ebenfalls viel Aufmerksamkeit erfahren hat die Abschaffung des § 64 Abs. 2a HG NRW a.F. Nach dieser Vorschrift war es den Hochschulen untersagt, eine verpflichtende Teilnahme an Lehrveranstaltungen zur Prüfungsvoraussetzung zu machen.

Diese Regelung wurde mit der Gesetzesnovelle gekippt. Inwieweit nun jedoch wirksam „Anwesenheitspflichten“ implementiert werden können, ist gleichwohl offen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aus dem November 2017 (Aktenzeichen: 9 S 1145/16). Im Rahmen dieser Entscheidung hatte sich der VGH ebenfalls mit einer Regelung zur Anwesenheitspflicht von Studierenden auseinanderzusetzen und hat diese im Ergebnis für unwirksam erklärt. Neben Bedenken an der konkreten Formulierung der in Streit stehenden Regelung in der Prüfungsordnung hatte der zur Entscheidung berufene Senat insbesondere gerügt, die Regelung sei nicht verhältnismäßig: Alleine die Anwesenheit in einer Lehrveranstaltung habe nicht zwangsläufig Aussagekraft für das Erreichen des Lernziels. Mit anderen Worten: Da bloße körperliche Anwesenheit nicht zwangsläufig auch geistige Anwesenheit nach sich zieht, ist es unverhältnismäßig, hieran Eingriffe in geschützte Grundrechte der Studierenden zu knüpfen.

Vor diesem Hintergrund bedarf es sicherlich gut ausdifferenzierter Regelungen in der Prüfungsordnung, um eine Anwesenheitspflicht rechtssicher einführen zu können.

Besetzung der Prüfungsausschüsse

Neu aufgenommen wurde in dem neu gefassten § 63 Abs. 8 HG NRW die Möglichkeit der Hochschule, im Rahmen ihrer Grundordnung zu regeln, dass – entgegen dem Regelungsgedanken der §§ 11 ff. HG NRW – Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung nicht in den Prüfungsausschüssen vertreten sein müssen.

Diese Regelung dürfte in den meisten Fällen den Hochschulen entgegenkommen, da sich in der Vergangenheit in vielen Praxisbeispielen gezeigt hat, dass die Prüfungsausschüsse nur selten gesetzmäßig mit allen Mitgliedergruppen besetzt waren. Gleichwohl ist zu beachten, dass eine entsprechende Regelung dann auch ordnungsgemäß Eingang in die Grundordnung finden muss – andernfalls bleibt es dabei, dass zur rechtmäßigen Besetzung des Prüfungsausschusses grundsätzlich alle Mitgliedergruppen der Hochschule (Hochschullehrer, Wissenschaftliche Mitarbeiter, Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung, Studierende) vertreten sein müssen.

 

Dr. Philipp Verenkotte
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
30. Oktober 2019

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BVERWG: ENTSCHEIDUNG DES OVG LÜNEBURG ZUR BERÜCKSICHTIGUNG DER ELTERNZEIT BEI BEWERBUNG UM SCHORNSTEINFEGER-KEHRBEZIRK BESTÄTIGT

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit einem Beschluss vom 21.12.2017 (Az. 8 B 71.16) ein Urteil des OVG Lüneburg zur Berücksichtigung der Elternzeit bei Bewerbungen um einen Schornsteinfeger-Kehrbezirk bestätigt. Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionsnichtzulassungsbeschwerden wurden verworfen bzw. zurückgewiesen. Das OVG Lüneburg hatte in dem – nunmehr rechtskräftigen – Urteil vom 14.09.2016 entschieden, dass die Elternzeit bei der Bewerbung um einen Schornsteinfegerbezirk als Zeit der Berufserfahrung grundsätzlich zu berücksichtigen ist. In welchem Umfang dies geschieht, entscheidet jedoch die zuständige Behörde (Az. 8 LC 160/15).

Nach § 9 Abs. 4 Schornsteinfeger-Handwerksgesetz (SchfHwG) ist die Auswahl von Bewerbern als bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger für einen Bezirk nach ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung vorzunehmen. Anders als in anderen Bundesländern gibt es in Niedersachsen jedoch keine Landesverordnung über das Ausschreibungsverfahren und die Auswahl der Bewerber. Die Bestellungsbehörden (Landkreise und kreisfreie Städte) müssen daher Bewerbungskriterien selbst entwickeln. Sie legen dabei regelmäßig ein Punktesystem und eine Bewertungsmatrix zu Grunde, die das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr mit Erlass vom 23.08.2011 als nicht rechtsverbindliche Orientierungshilfe vorgeschlagen hat. In dieser Matrix werden u. a. Punkte für Berufserfahrung vergeben.

Nach dem Urteil des OVG Lüneburg müssen dabei auch Elternzeiten der Bewerber berücksichtigt werden. Anderenfalls würde die Bestellungsbehörde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoßen, wenn sie zwar andere Ausfallzeiten wie Wehrdienst, Zivildienst, längere Krankheitszeiten oder durch Arbeitsunfälle bedingte Ausfallzeiten berücksichtigt, nicht aber Elternzeiten.
Außerdem würde eine generelle Nichtberücksichtigung von Elternzeiten gemäß dem Urteil des OVG Lüneburg gegen die EU-Elternurlaubsrichtlinie (Richtlinie 2010/18/EU) verstoßen. Nach § 5 Abs. 4 der Rahmenvereinbarung zur Elternurlaubsrichtlinie sei – so das OVG Lüneburg – eine Diskriminierung wegen Inanspruchnahme von Elternzeiten verboten. Mit dem von dieser Regelung verfolgten Sinn und Zweck, Arbeitnehmer gegen Benachteiligung oder Kündigung aufgrund der Beantragung oder Inanspruchnahme des Elternurlaubs zu schützen, sei es jedoch nicht zu vereinbaren, in Anspruch genommen Elternzeiten generell bei der Bewertung des Kriteriums "Berufserfahrung" außer Betracht zu lassen. Aus der Vorschrift lasse sich indessen noch nicht herleiten, in welchem Umfang solche Zeiten als Beschäftigungszeiten anzurechnen sind. Die Behörde könne daher grundsätzlich auch eine Deckelung der einzubeziehenden Elternzeiten vornehmen, damit das Merkmal der Berufserfahrung nicht faktisch ins Leere laufe. Für die Frage, in welchem Umfang im Rahmen der Auswahlentscheidung Elternzeiten zu berücksichtigen seien, könnten u. a. die Länge sonstiger anrechenbarer Ausfallzeiten der Bewerber (Grundwehrdienst, Zivildienst, längere Krankheitszeiten, Mutterschutzzeit usw.), die Länge der von der Mehrheit der Eltern in Anspruch genommenen Elternzeiten oder auch die Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes, mit der gemäß
§ 24 Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch – VIII. Buch - ein Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege einhergehe, Bedeutung erlangen.

Diesen Vorgaben würde etwa eine Berücksichtigung von Elternzeiten mit einer Länge von höchstens sechs Jahren entsprechen. Dies würde es Schornsteinfegerrinnen und Schornsteinfegern ermöglichen, z. B. für zwei Kinder jeweils drei Jahre Elternzeit in Anspruch zu nehmen, ohne während ihrer gesamten weiteren beruflichen Laufbahn mit sehr gravierenden beruflichen Nachteilen rechnen zu müssen. Zugleich wäre gewährleistet, dass das Kriterium der Berufserfahrung, bei dem nach der niedersächsischen Bewertungsmatrix Berufstätigkeiten aus den letzten 15 Jahren berücksichtigt werden, nicht leerliefe.

Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
17. Januar 2018

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Für Kommunen zwingend, aber haftungsträchtig: Schließung von Spielhallen als Folge der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages

1.
Bereits im Jahr 2012 trat der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag (1. GlüÄndStV)  als Staatsvertrag zwischen allen deutschen Bundesländerung in Kraft. In Nordrhein-Westfalen wurde der Staatsvertrag durch das Ausführungsgesetz vom 13.11.2012 (AG GlüSTV NRW) umgesetzt . Besondere Anforderungen an die Kommunen stellt der Glückspielstaatsvertrag,  weil er „zur Bekämpfung der Spielsucht“ bundesweit insbesondere Abstandsbeschränkungen für Spielhallen vorsieht. Die Durchsetzung dieser Beschränkungen ist nunmehr Aufgabe der Kommunen.

Die Erteilung einer Erlaubnis für eine Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen steht, insbesondere in einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht ist, ist ausgeschlossen (Verbot der Mehrfachkonzessionen). Ein Mindestabstand von 350 Metern Luftlinie zu einer anderen Spielhalle soll nicht unterschritten werden. Die Spielhalle soll nicht in räumlicher Nähe zu öffentlichen Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrieben werden; dabei soll regelmäßig der erwähnte Mindestabstand zu Grunde gelegt werden. Die für die Erlaubnis zuständige Behörde darf unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standortes und der Lage des Einzelfalls jedoch von der Maßgabe zum Mindestabstand abweichen.

Der Betrieb einer Spielhalle steht unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dies bedeutet, dass der Betrieb einer Spielhalle grundsätzlich untersagt ist, wenn keine gesonderte Erlaubnis erteilt wurde. Rechtsgrundlage für die Erteilung der Erlaubnis ist § 24 Abs. 1 GlüStV und § 16 AG GlüStV NRW.
Für den Erlass einer entsprechenden Erlaubnis ist die örtliche Ordnungsbehörde – also die Kommune – verantwortlich. Diese hat zu prüfen, ob die Voraussetzung für die Erteilung vorliegen, mithin auch, ob der vorgenannte Mindestabstand eingehalten wird. Hierbei handelt es sich nicht um eine Ermessensvorschrift, so dass die Erteilung der Erlaubnis grundsätzlich zwingend abzulehnen ist, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten wird. Die Behörde kann lediglich unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standortes und der Lage des Einzelfalls von der Maßgabe des Mindestabstands abweichen. Liegen also keine Umstände vor, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, so ist die Erteilung der Erlaubnis bei Nichteinhaltung des Mindestabstandes zwingend abzulehnen.

Diese Vorgaben galten zunächst nur für die Neueröffnung von Spielhallen. Für bestehende Glücksspielbetriebe wurde ein fünfjähriger Bestandsschutz festgelegt, welcher allerdings im Juli 2017 ausgelaufen ist (sog. fünfjähriger Übergangszeitraum für Altspielhallen). Dies bedeutet, dass die bestehenden Konzessionen der sog. Altspielhallen erlöschen und neu beantragt werden müssen. Die Neuerteilung der Erlaubnis zum Betrieb einer Spielhalle ist dann zu versagen, wenn ihr Weiterbetrieb den in § 1 GlüStV aufgeführten Zielen, wie z.B. der Gewährleistung des Jugend- und Spielerschutzes zuwiderläuft. Dies ist wiederum der Fall, wenn die oben dargestellten Abstandsgebote nicht eingehalten werden.
Vor allem wegen der jetzt geltenden Abstandsbeschränkungen wird es zum einen zu diversen Schließungen von Spielhallen kommen müssen. Problematisch sind zum anderen die zahlreichen Fälle, in denen eine Auswahl zwischen mehreren Antragstellern getroffen werden muss, von denen wegen der Abstandsgebote nur einer eine Konzession erhalten kann.

2.
Bei der Verteilung knapper Ressourcen oder Berechtigungen stehen der Verwaltung unterschiedliche Auswahlmethoden zur Verfügung, wenn entschieden werden muss, wer von mehreren Bewerbern den Zuschlag erhält. Im Rahmen dieser Auswahlmethoden kommt auch das Losverfahren in Betracht. Es hat den Vorteil, dass es besonders einfach zu handhaben ist und nur wenig Zeit in Anspruch nimmt.
Eine Auswahl kann aber auch nach materiellen Kriterien getroffen werden. So kann berücksichtigt werden, inwieweit ein Betreiber bislang die gesetzlichen Anforderungen, insbesondere zum Spieler- und Jugendschutz, beachtet hat. Dabei muss es nicht nur auf solche schweren Straftaten ankommen, die zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne des § 33 c Abs. 2 Nr. 1 GewO führen. Zudem könnte das Vorliegen einer Zertifizierung für Spielhallen berücksichtigt werden. Weiterhin könnten die unterschiedlichen Auswirkungen auf das Wohnumfeld und das Stadtbild ein zielorientiertes Auswahlkriterium sein. Ferner könnte die Auswahl auf die unterschiedliche Belastung der verschiedenen Spielhallenbetreiber abheben. Die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit fällt schließlich sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wie viele Spielhallen ein Unternehmer betreibt. Betreibt er nur eine Halle, dann gefährdet deren Verlust möglicherwiese seine Lebensgrundlage.

Bei Anwendung dieser vorgenannten möglichen Auswahlkriterien ist schließlich auch die Angemessenheit im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, welche stets bei einem Grundrechtseingriff und insbesondere bei einem Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen ist, gewahrt. Mithin entsprechen diese Auswahlkriterien mehr den Anforderungen des Grundrechts als das Losverfahren. Ein Losverfahren kann aber in der Regel dann herangezogen werden, wenn die erwähnten Auswahlkriterien zu einem Gleichstand der Bewertung führen, da dann der Einsatz des Losverfahrens grundrechtlich legitimiert werden kann .

Fazit:

Die Ablehnung einer Spielhallenkonzession durch die Kommune ist außerordentlich streitträchtig. Es muss somit dafür Sorge getragen werden, dass die Auswahlentscheidung, orientiert an den widerstreitenden Grundrechten, im zu erlassenden Bescheid nachvollziehbar begründet werden. Eine gute, sorgfältig erarbeitete und begründete Auswahlentscheidung schützt vor einer Anfechtbarkeit im Verwaltungsrechtsweg und vor einer etwaigen Haftung der Kommune.

Dr. Norbert Reuber                             Daniela Mechelhoff
Rechtsanwalt                                      Rechtsanwältin
Fachanwalt für Verwaltungsrecht










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Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) im Bundesanzeiger veröffentlicht

Am 07.02.2017 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO) im Bundesanzeiger bekannt gemacht.

Die neue Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) regelt die Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen mit einem Auftragswert unterhalb des EU-Schwellenwertes nach § 106 GWB, der derzeit EUR 209.000 (netto) beträgt. Die UVgO ersetzt den bisherigen Abschnitt 1 der VOL/A und ist im Vergleich zu dieser mit 52 Paragrafen deutlich komplexer ausgestaltet als die bisherige VOL/A, Abschnitt 1, die lediglich 20 Paragrafen enthielt. Neu ist, dass die UVgO auch auf die Vergabe freiberuflicher Leistungen unterhalb des EU-Schwellenwertes anwendbar ist, für die bisher keine vergaberechtliches Regelwerk bestand. Das Vergabeverfahren für Bauaufträge mit einem Auftragswert unterhalb des insoweit maßgeblichen Schwellenwertes von EUR 5.225.000 (netto) ist in der VOB/A, Abschnitt 1, geregelt, die bereits im vergangenen Jahr neu gefasst wurde.

Inhaltlich schließen sich die Bestimmungen der UVgO weitgehend an das Kartellvergaberecht (§§ 97 ff. GWB, VgV) an. Dies geschieht entweder durch teilweise gleichlautende Parallelregelungen oder durch Verweise. Gleichwohl verbleiben Unterschiede zu EU-weiten Vergabeverfahren. Auftraggebern stehen die Vergabe der öffentlichen Ausschreibung, der beschränkten Ausschreibung mit und ohne Teilnahmewettbewerb und des Verhandlungsverfahrens mit und ohne Teilnahmewettbewerb (anstelle der bisherigen freihändigen Vergabe) zur Verfügung. Zwischen der öffentlichen Ausschreibung und der beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb hat der Auftraggeber nunmehr die freie Wahl. Neu ist, dass der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung eine elektronische Adresse angeben muss, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können. Daraus folgt, dass die Vergabeunterlagen bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung (grundsätzlich) vollständig vorliegen und den Interessenten zur Verfügung gestellt werden müssen. Einen großen Raum nimmt in den Neuregelungen die E-Vergabe ein, die allerdings noch der technischen Umsetzung bedarf.

Die Besonderheit im Falle der UVgO liegt darin, dass sie nicht bereits mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft tritt. Es bedarf vielmehr einer Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Bundeshaushaltsordnung bzw. in den Ländern einer entsprechenden Änderung der landesrechtlichen sowie kommunalrechtlichen (und sonstigen) Haushaltsregelungen, die dann ausdrücklich auf die UVgO verweisen müssen. In Nordrhein-Westfalen fehlt derzeit ein solcher Anwendungsbefehl.

Zur Bekanntmachung im Bundesanzeiger:

http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/U/unterschwellenvergabeordnung-uvgo.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Dr. Norbert Reuber
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Jennifer Steinke
Rechtsreferendarin
8. Februar 2017

 

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