Gewerbesteuerliche Merkmalsübertragung bei Betriebsaufspaltung - bald auch für Bildungseinrichtungen

Die Vermietung und Verpachtung durch ein Besitzunternehmen an ein Betriebsunternehmen kann eine gewerbliche Betätigung des Besitzunternehmens sein, wenn es sich über das Betriebsunternehmen am wirtschaftlichen Verkehr beteiligt. Davon wird her-kömmlicherweise ausgegangen, wenn eine sogenannte „sachliche Verflechtung“ und eine sogenannte „personelle Verflechtung“ vorliegen. Sachliche Verflechtung bedeutet, dass das Besitzunternehmen eine wesentliche Betriebsgrundlage an eine gewerblich tätige Personen- oder Kapitalgesellschaft zur Nutzung überlässt. Personelle Verflechtung meint, dass eine oder mehrere Personen beide Unternehmen in dem Sinne beherrschen, dass sie in beiden Unternehmen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen können.

Einfluss hat dies nicht nur auf die Qualifikation der Einkünfte, sondern auch auf die Frage, ob sich eine Gewerbesteuerbefreiung der Betriebsgesellschaft auf das Besitzunter-nehmen erstreckt. Diesen Fall hatte nun der Bundesfinanzhof zu entscheiden. Im Streitfall hatte eine GmbH & Co. KG als Besitzunternehmen das Betriebsgebäude für einen Krankenhausbetrieb einschließlich der Inventargegenstände an das Betriebsunternehmen verpachtet, das darin ein onkologisches Fachzentrum betrieb. Eine Betriebsaufspaltung bestand. Das Besitzunternehmen gab in den Gewerbesteuererklärungen als Art seines Unternehmens die Verpachtung an. Mit dem Finanzamt entstand Streit, als dieses Gewerbesteuermessbeträge festsetzte. Das Besitzunternehmen argumentierte, dass aufgrund der Betriebsaufspaltung zwischen ihm und dem Betriebsunternehmen die nach § 3 Nr. 20b GewStG zu gewährende Steuerbefreiung der Betriebsunternehmen auf das Be-sitzunternehmen auszudehnen sei. Es scheiterte damit zunächst bei dem Finanzgericht, das annahm, dass die Gewerbesteuerbefreiung nicht auf die gewerblich geprägte Besitzgesellschaft durchschlage.

Der Bundesfinanzhof ist anderer Ansicht. Er nimmt an, dass die Verpachtungstätigkeit des Besitzunternehmens eine originäre gewerbliche Tätigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG und § 2 Abs. 1 S. 1, 2 GewStG darstellt, so dass die Gewerbesteuerbefreiung zu übertragen ist. Denn das Besitzunternehmen sei nicht aufgrund der eige-nen gewählten Rechtsform originär gewerblich tätig (es handelte sich um eine GmbH & Co. KG), sondern nur weil die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung vorlagen. Dadurch werde eine gewerbliche Prägung im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewissermaßen überlagert (BFH vom 20. August 2015, Az. IV R 26/13).

Die Entscheidung ist konsequent, da bereits nach dem Sinn und Zweck der Betriebsauf-spaltung dem Besitzunternehmen die Tätigkeit des Betriebsunternehmens im Umfang von dessen wirtschaftlicher Betätigung zugerechnet wird. Da der Bundesfinanzhof schon im Jahr 2006 eine ähnliche Merkmalsübertragung für die Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20c GewStG für Altenheime, Altenwohnheimen und Pflegeheime angenommen hatte, ist davon auszugehen, dass er diese Rechtsprechung demnächst auch auf sonst befreite Unternehmen wie beispielsweise private Schulen und andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtungen erweitern wird, soweit die Leistungen nach § 4 Nr. 21 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind (§ 3 Nr. 13 GewStG).

Lutz Schade
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht
14. April 2016

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Auswertung des Browserverlaufs kann auch bei eingeschränkt zulässiger privater Nutzung ohne Einwilligung des Arbeitnehmers zulässig sein

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2016 - 5 Sa 657/15

Steht den Arbeitnehmern am Arbeitsplatz ein Internetzugang zur Verfügung, so besteht zwischen den Arbeitsvertragsparteien oft Uneinigkeit darüber, ob und ggf. inwieweit eine private Nutzung des dienstlichen Internetzugangs zulässig ist. Dabei gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass bei fehlender ausdrücklicher Gestattung oder Duldung des Arbeitgebers eine private Nutzung des Internets grundsätzlich nicht erlaubt ist.


In seinem Urteil vom 14.01.2016 (Az. 5 Sa 657/15) hatte sich das LAG Berlin-Brandenburg mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Arbeitgeber den auf dem Dienstrechner seines Arbeitnehmers gespeicherten Browserverlauf ohne dessen Kenntnis bzw. Einwilligung kontrollieren und nach erfolgter Auswertung wegen der exzessiven privaten Internetnutzung eine außerordentliche (fristlose) Kündigung aussprechen durfte.



In dem Betrieb der Beklagten war die private Nutzung des Internets allenfalls in Ausnahmefällen, d.h. soweit eine Erledigung außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich ist, und lediglich beschränkt auf die arbeitsvertraglichen Pausenzeiten gestattet. Nachdem der Arbeitgeber Anhaltspunkte dafür erlangt hatte, dass der Kläger seinen dienstlichen Internetanschluss dennoch in erheblichem Umfang zu privaten Zwecken nutzte, wertete er ohne dessen Einwilligung den auf dem Dienstrechner abgespeicherten Browserverlauf des Arbeitnehmers aus. Es stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer während eines Zeitraums von 30 Arbeitstagen den dienstlichen Internetanschluss insgesamt 40 Stunden (5 Arbeitstage) lang zu privaten Zwecken genutzt hatte.



Die ohne Hinzuziehung des Arbeitnehmers ausgewerteten Einträge in der Chronik des Internet-Browsers unterlagen nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg keinem Beweisverwertungsverbot, obwohl es sich dabei um personenbezogene Daten handele. Das Bundesdatenschutzgesetz (BGSG) lasse auch ohne Einwilligung des Arbeitnehmers die Speicherung und Auswertung solcher Verlaufsdaten zu Zwecken der Missbrauchskontrolle zu. Die zu diesem Zweck erfolgende Aufzeichnung der bei Telekommunikation entstehenden Verbindungsdaten sei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen. Da die Aufzeichnung zudem erforderlich gewesen sei, greife der Erlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG, wonach der Arbeitgeber die betreffenden personenbezogenen Daten des Beschäftigten  erheben, verarbeiten oder nutzen darf.



Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers auch wegen Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 626 Abs. 1 BGB) gerechtfertigt. Soweit ein Arbeitnehmer über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen fortgesetzt in einem solch exzessivem Maße zu privaten Zwecken im Internet surfe, liege darin eine so erhebliche Beeinträchtigung der arbeitsvertraglichen geschuldeten Arbeitsleistung, dass eine weitere Hinnahme dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber erkennbar ausgeschlossen sei. Es habe daher auch keiner Abmahnung bedurft.

Praxistipp:


Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg, nach dem kein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die Auswertung des Browserverlaufs vorliegt, ist zu begrüßen. Zutreffend geht das Berufungsgericht dann auch davon aus, dass die exzessive private Internetnutzung eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. 


Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln im Zivilprozess, genau wie die Frage, ob ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, grundsätzlich einer Interessenabwägung im Einzelfall unterliegt. Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg schafft daher keinen allgemein gültigen „Präzedenzfall", sondern ist im konkreten Streitfall lediglich als Orientierungshilfe heranzuziehen. Dem Arbeitgeber ist daher anzuraten, klare Regelungen hinsichtlich der Erlaubnis / des Verbots der privaten Nutzung des dienstlichen Internetzugangs aufzustellen. Soweit im Betrieb des Arbeitgebers ein Betriebsrat existiert, unterliegen die Modalitäten und Regeln der durch den Arbeitgeber gestatteten privaten Nutzung zudem der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Nr. 1, 6 BetrVG.



Hinsichtlich der Frage der prozessualen Verwertbarkeit der auf dem Dienstrechner gespeicherten Daten über die Internetnutzung hat das Berufungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht in dieser Frage Rechtssicherheit schaffen kann, indem es allgemeingültige Kriterien für die Verwertung solcher Daten aufstellt.

Kevin Woicke

Rechtsanwalt

23. März 2016

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Kostenentscheidung gegen die Insolvenzmasse trotz Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO möglich (Beschluss OLG Dresden, 8 U 913/15 vom 29.02.2016)

Gegen einen von mehreren Beklagten wird in einem rechtshängigen Verfahren ein Insolvenzverfahren eröffnet. Vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung wird die streitgegenständliche Forderung vom Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt. Der Kläger erklärt den Rechtsstreit insoweit (einseitig) für erledigt.

Nach Auffassung des OLG Dresden kann eine einheitliche Kostenentscheidung auch gegen die Insolvenzmasse ergehen. Zwar ist das Verfahren gegen den insolventen Beklagten unterbrochen. Doch durch die Anerkennung zur Tabelle ist der Rechtsstreit gegen den insolventen Beklagten erledigt. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist eine nicht von der Verfahrensunterbrechung nach § 240 ZPO betroffene Annexentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 02.02.2005, XII ZR 233/02, zweifelnd: BFH Beschluss vom 14.05.2013, X B 134/12).

Klaus F. Delwig
Rechtsanwalt
24. März 2016

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Von der Gemeinschafts- zur Unionsmarke - Übergangsfrist für etwaige Erklärung zum Markenverzeichnis beachten

Am 23. März 2016 tritt die neue Unionsmarkenverordnung in Kraft (Verordnung(EU)2015/2424 des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Gemeinschaftsmarkenverordnung). Die wesentlichen Änderungen, die sich hieraus ergeben, haben wir nachfolgend zusammengefasst:


1. Vom HABM zur EUIPO

Zunächst einmal wird das bisherige Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) zukünftig Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) heißen. Dementsprechend wird aus der Gemeinschaftsmarke die Unionsmarke. Die Änderung der Markenbezeichnung erfolgt automatisch und hat keinerlei Auswirkung auf bereits eingetragene oder in Anmeldung befindliche Marken.


2. Vom 3-Klassen- zum 1-Klassen-System
    (Änderung der Gebühren)

Bisher umfasste die EU-Markenanmeldung (gleiches gilt für die Verlängerung) stets automatisch bis zu drei Waren- oder Dienstleistungsklassen; d. h. unabhängig davon, ob eine, zwei oder drei Klassen angemeldet (oder verlängert) wurden, es waren stets Amtsgebühren in gleicher Höhe fällig. Zukünftig werden die Anmelde- und Verlängerungsgebühren aber nur noch eine Klasse enthalten. Dies führt zu einer leichten Gebührenerhöhung bei Anmeldung mehrerer Klassen. Dahingegen wurden die Gebühren für die Verlängerung von Marken (trotz Abkehr vom bisherigen 3-Klassen-System) etwas reduziert. Im Einzelnen stellen sich die neuen Gebühren wie folgt dar:

 


Anmeldung einer EU-Marke

aktuelle Gebühren

einer online-Anmeldung

neue Gebühren

einer online-Anmeldung


Erste Klasse
         900,00 €           850,00 €
Zweite Klasse         900,00 €          900,00 €
Dritte Klasse         900,00 €       1.050,00 €
jede weitere ab der 3. Klasse         150,00 €          150,00 €

  

Verlängerung einer EU-Marke

aktuelle Gebühren

einer Online-Verlängerung

neue Gebühren

einer Online-Verlängerung

Erste Klasse         1.350,00 €          850,00 €
Zweite Klasse         1.350,00 €          900,00 €
Dritte Klasse         1.350,00 €       1.050,00 €
jede weitere ab der 3. Klasse            400,00 €           150,00 €

  
3. Vom “Class Heading Covers all approach” zum “Means what it says approach”
    (Änderung bei der Auslegung des Schutzumfanges des Waren- und 
     Dienstleistungsverzeichnisses)

Die bisherige Praxis des Gemeinschaftsmarkenamtes ging dahin, bei der Eintragung von Klassenüberschriften sämtliche in der betreffenden Nizza-Klasse enthaltene Waren oder Dienstleistungen als vom Schutz der Marke mit umfasst anzusehen (der sogenannte „Class Heading Covers all approach“). Bereits seit dem EuGH-Urteil „IP-Translater“ (C-307/10) kann jedoch durch Anmeldung aller Oberbegriffe einer Nizza-Klasse kein Schutz mehr für sämtliche, in diese Klasse fallenden Waren oder Dienstleistungen beansprucht werden. Nur noch diejenigen Waren oder Dienstleistungen, die sich wörtlich unter die benannten Oberbegriffe fassen lassen, gelten als geschützt (sogenannter „Means what it says approach“). Diese Änderung der Amtspraxis wurde nun ausdrücklich in der neuen Unionsmarkenverordnung (Art. 28 Abs. 5) normiert. Dabei gilt die Regelung des neuen Art. 28 Abs. 5 zukünftig für alle Unionsmarken, d. h. auch für vor dem EuGH-Urteil angemeldete Marken. Bisher galt für diese noch die großzügigere alte Auslegung. Um hierdurch auftretende Unbilligkeiten (durch nachträglich entstehende Schutzlücken) zu vermeiden, sieht die Unionsmarkenverordnung in Art. 28 Abs. 8 eine Übergangsregelung vor. Danach können Markeninhaber die ihre Marken für alle Oberbegriffe einer Klasse haben schützen lassen, unter bestimmten Voraussetzungen, einzelne Waren und Dienstleistungen beim Gemeinschaftsmarkenamt melden und erklären, dass diese von der ursprünglichen Anmeldung mit umfasst sein sollten. Dies allerdings nur innerhalb einer 6-Monatsfrist nach Inkrafttreten der neuen Verordnung; also bis zum 24. September 2016. Unionsmarkenportfolios sollten daher zeitnah daraufhin überprüft werden, ob insoweit ein Handlungsbedarf besteht.

4. Entfall der grafischen Darstellbarkeit bei neuen Markenformen

Ferner wird die Eintragung neuer Markenformen erleichtert. Denn die neue Unionsmarkenverordnung verzichtet auf das Erfordernis einer grafischen Darstellbarkeit der anzumeldenden Marke. Insbesondere neuere Markenformen, wie z. B. die Geruchs- oder Hörmarke, lassen sich hierdurch leichter eintragen. Wie zukünftig die Darstellung solcher Marken im Einzelnen zu erfolgen hat, muss derzeit allerdings noch abgewartet werden.

5. Die neue Gewährleistungsmarke

Mit der Unionsmarkenverordnung wird auch eine neue Gewährleistungsmarke eingeführt. Ziel der Gewährleistungsmarke ist die Kennzeichnung eines bestimmten Qualitätsstandards, der unter der Marke angebotenen Produkte. Deswegen steht sie nur Mitgliedern von  Organisationen offen, die die Einhaltung der Standards überprüft. Weitere Folge hiervon ist, dass - ähnlich wie bereits jetzt für Kollektivmarkenanmeldungen der Fall - Anmelder von Gewährleistungsmarken im Rahmen der Anmeldung eine Satzung vorlegen müssen.

6. Erleichterung der Grenzbeschlagnahme für Waren in Transit

Die Beschlagnahmemöglichkeiten von Waren im Transit werden durch die neue Unionsmarkenverordnung ebenfalls erleichtert. Widerrechtlich gekennzeichnete Waren können zukünftig auch im reinen Durchfuhrverkehr beschlagnahmt werden, es sei denn, der Verletzer kann nachweisen, dass er die Waren im Bestimmungsland rechtmäßig in den Verkehr bringen darf.


Die neue Unionsmarkenverordnung bringt folglich einiges an Änderungen. Zu beachten ist
- neben den neuen Amtsgebühren - insbesondere die Änderung bei der Auslegung des Schutzumfangs des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses, da hier gegebenenfalls eine Meldung von Waren oder Dienstleistungen erfolgen sollte, die nur innerhalb der Übergangsfrist bis 24. September 2016 möglich ist. Sofern Sie hierzu Fragen haben, sprechen Sie uns gerne an.

Katja Nuxoll
Rechtsanwältin
16. März 2016

 

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Heilbehandlungen eines Facharztes für Laboratoriumsdiagnostik umsatzsteuerfrei

Mit der Finanzverwaltung entsteht oft Streit, ob Leistungen eines Laboratoriumsdiagnostikers umsatzsteuerfrei sind. Fraglich ist, ob sie steuerfreie Heilbehandlungen nach § 4 Nr. 14 a) UStG darstellen. Die Finanzverwaltung stellt sich regelmäßig auf den Standpunkt, dass bei der Laboratoriumsdiagnostik mangels eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Arzt und dem Patienten der Tatbestand der steuerfreien Heilbehandlung nicht erfüllt ist. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat dem nun widersprochen (Urteil vom 10. November 2015, 2 K 2409/13).

Im entschiedenen Fall ging es um einen Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik. Dieser hatte mit einem Laborunternehmen vereinbart, es bei der Optimierung labororganisatorischer Abläufe diagnostisch zu unterstützen. Außerdem sollte er transfusionsmedizinische Beratungen für die vom Laborunternehmen betreuten Krankenhäuser erbringen und im Bedarfsfalle auch in einer Transfusionskommission mitarbeiten. Eine eigene Laborpraxis betrieben der Facharzt nicht mehr, da er diese bereits in der Vergangenheit an das Laborunternehmen veräußert hatte. Auch eine kassenärztliche Zulassung hatte er nicht mehr, noch erfüllte er die besonderen Voraussetzungen, die in § 4 Nr. 14 UStG in der durch das Jahressteuergesetz 2009 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung genannt sind.

Daher behandelte das beklagte Finanzamt die Umsätze als zum Regelsteuersatz von 19 % steuerpflichtig und argumentierte, dass Leistungen klinischer Chemiker wie auch von Laborärzten nicht auf einem persönlichen Vertrauensverhältnis zu dem Patienten beruhten, die aber Voraussetzung für die Annahme von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach der Fassung des § 4 Nr. 14 a) UStG 2009 sei.

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg ist dem entgegengetreten und hat argumentiert, dass weder Wortlaut noch Zielsetzung oder Systematik der Steuerbefreiung, noch die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder des Bundesfinanzhofs eine solch enge Auslegung von § 4 Nr. 14 a) UStG rechtfertigten. Ein persönliches Vertrauensverhältnis sei dort nicht vorausgesetzt. Die nationale Steuerbefreiungsregelung diene der Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 c) MwStSystRL, sodass auch die Bestimmung des Umfangs und Begriffsgehalts der nationalen Steuerbefreiungsvorschrift unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu erfolgen habe. Zu den steuerfreien „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ gehörten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, die Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bzw. die Linderung von Krankheiten, Leiden und Körperschäden. Die Maßnahmen müssen einen diagnostischen oder therapeutischen Zweck haben (etwa EuGH-Urteil vom 20.11.2003 C-307/01 – D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services –, Slg 2003, I-13989 Rdnr. 58 zur Vorläufervorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 c) der Sechsten EG-Richtlinie). Der Begriff Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin ziele, so der EuGH, zwangsläufig auf eine Tätigkeit ab, die die menschliche Gesundheit schützen solle und die Behandlung eines Patienten einschließe. Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin seien dagegen ärztliche Leistungen, Maßnahmen oder medizinische Eingriffe, die zu anderen Zwecken erfolgten. Auch vorbeugende ärztliche Leistungen könnten unter dem Begriff Heilbehandlung subsumiert werden. Dabei handele es sich grundsätzlich um Leistungen, die der Abwendung, Vermeidung oder Verhütung von Krankheiten, Verletzungen oder gesundheitlichen Problemen oder der Erkennung von Krankheiten dienten, um eine möglichst frühzeitige Erkennung und Behandlung zu erreichen. Das Erfordernis der therapeutischen Zweckbestimmung sei dabei nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen, sondern vielmehr unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken (vgl. etwa auch Urteil des BFH vom 18.08.2011 V R 27/10, BFHE 235, 58).

Ähnlich hatte bereits das Finanzgericht Hamburg im Jahr 2013 entschieden (Urteil vom 23. Oktober 2013, 2 K 349/12).

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg die Revision zugelassen (BFH, XI R 23/15). Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesfinanzhof entscheiden wird. Die auch seinerzeit vom Finanzgericht Hamburg zugelassene Revision hatte er als unzulässig verworfen.

Lutz Schade
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht
3. März 2016

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HAFTUNGSFALLE FÜR DEN AUFSICHTSRAT - HERABSETZUNG VON VORSTANDSBEZÜGEN IN DER KRISE

Urteil des BGH vom 27.10.2015 (II ZR 296/14)

Nach dem durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (2009) neu gefassten § 87 Abs. 2 S. 1 AktG soll der Aufsichtsrat die Vorstandsbezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so verschlechtert, dass die Weitergewährung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft wäre. Kam dem § 87 Abs. 2 AktG a.F. wegen seiner strengen Voraussetzungen nur äußerst geringe praktische Relevanz zu, erleichterte die Neuregelung die Herabsetzung der Vorstandsbezüge, indem sie auf die Voraussetzungen einer „wesentlichen“ Verschlechterung und einer „schweren“ Unbilligkeit verzichtete.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Verfahren hatte ein früheres Vorstandsmitglied (Kläger) den Insolvenzverwalter (Beklagter) der zwischenzeitlich insolventen Aktiengesellschaft auf Zahlung ausstehender Vergütung sowie Feststellung (ungekürzter) Vergütungsansprüche zur Insolvenztabelle verklagt.

Der Kläger war bei der Aktiengesellschaft als Chief Financial Officer (CFO) tätig. Nach dem Anstellungsvertrag vom 14. April 2011, der bis zum 31. Dezember 2012 fest abgeschlossen wurde, betrug sein Jahresgehalt 188.000 €. Daneben erhielt er eine variable Vergütung und weitere Sozial- und Nebenleistungen. Im Laufe des Jahres 2011 geriet die Gesellschaft in Schieflage. Auf Drängen der Banken berief der Aufsichtsrat den Kläger am 31. Dezember 2011 als Vorstand ab und stellte ihn unter widerruflicher Ankündigung der Fortzahlung seiner Bezüge frei. Ab Januar 2012 zahlte die Gesellschaft dem Kläger keine Bezüge mehr. Auf einen Eigenantrag der Gesellschaft auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde der Beklagte am 6. Februar 2012 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Kurz nach seiner Bestellung forderte er die Aufsichtsratsmitglieder unter Hinweis auf deren Verpflichtung gemäß § 87 Abs. 2 AktG auf, die Vergütung der Vorstände auf einem Maximalbetrag pro Vorstand von 2.500 € ab Insolvenzeröffnung zu begrenzen. In der Aufsichtsratssitzung vom 15. März 2012 wurde beschlossen, die Bezüge aller Vorstandsmitglieder auf 2.500 € ab Insolvenzeröffnung herabzusetzen. Am 30. März 2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt. Daraufhin kündigte der Insolvenzverwalter den Anstellungsvertrag des Klägers zum 30. Juni 2012.

Der Kläger meldete Gehaltsansprüche für Januar bis März 2012 (abzüglich des erhaltenen Insolvenzgeldes), sowie Juli - Dezember 2012 in voller Höhe zur Insolvenztabelle an. Auf das Bestreiten des Insolvenzverwalters erhob er Klage zum Landgericht auf Feststellung dieser Forderungen zur Insolvenztabelle und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des vertraglich vereinbarten Gehalts für die Monate April bis Juni 2012 (52.860,31 € nebst Zinsen).
Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger das reduzierte Gehalt für die Monate April bis Juni 2012 in Höhe von zusammen 7.500 € brutto nebst Zinsen zu zahlen und Forderungen in der beantragten Höhe von 38.510,40 € (restliches Gehalt für Januar bis März 2012) und in Höhe von 2.760 € (reduziertes Gehalt für Juli bis Dezember 2012 abzüglich des Arbeitslosengeldes) zur Tabelle festzustellen. Hinsichtlich der übrigen vom Kläger geltend gemachten Ansprüche wies es die Klage ab.
Auf die Berufung des Klägers hin hatte das Berufungsgericht (OLG Stuttgart, Urteil vom 01.10.2014 - 20 U 3/13) der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

Hiergegen richtete sich die Revision des beklagten Insolvenzverwalters – mit Erfolg. Der BGH hat das angefochtene Urteil insgesamt aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hält fest:

1. Das Recht zur Herabsetzung der Bezüge gemäß § 87 Abs. 2 AktG ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der Aktiengesellschaft, das durch eine Gestaltungserklärung ausgeübt wird, die der Aufsichtsrat in Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied abgibt.
2. Eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft im Sinne von § 87 Abs. 2 AktG tritt jedenfalls dann ein, wenn die Gesellschaft insolvenzreif wird. Die Weiterzahlung der Bezüge ist unbillig im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat oder ihm zwar kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist.
3. Die Herabsetzung der Bezüge muss mindestens auf einen Betrag erfolgen, dessen Gewährung angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht mehr als unbillig angesehen werden kann. Die Vorschrift erlaubt andererseits keine Herabsetzung der Bezüge des Vorstandsmitglieds, die weiter geht, als es die Billigkeit angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft erfordert.

Der BGH weist darauf hin, dass als Rechtsfolge des § 87 Abs. 2 AktG der Aufsichtsrat im Regelfall zu einer Herabsetzung verpflichtet ist und nur bei Vorliegen besonderer Umstände davon absehen darf.

Die Befugnis zur einseitigen Herabsetzung nach § 87 Abs. 2 AktG sei dahingehend beschränkt, dass die Bezüge, soweit dem Aufsichtsrat durch die in § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG vorgegebenen Kriterien der Angemessenheitsprüfung ein Bemessungsspielraum eröffnet ist, (nur) auf den danach höchstmöglichen angemessenen Betrag herabgesetzt werden dürfen.

Bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Einerseits ist der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung sowie weiter zu berücksichtigen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie gegebenenfalls sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat. Andererseits dürfen die persönlichen Verhältnisse des Vorstandsmitglieds bei der Billigkeitsprüfung nicht völlig außer Acht bleiben. Denn die Beurteilung, ob die Zahlung eines bestimmten Betrags trotz der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft für diese billig oder unbillig ist, kann im Einzelfall davon abhängen, in welchem Umfang die Herabsetzung der Vergütung dem Vorstandsmitglied wegen seiner persönlichen Verhältnisse noch zumutbar ist.

PRAXISTIPP
Unterlässt der Aufsichtsrat pflichtwidrig die Herabsetzung der Vorstandsbezüge (bzw im Falle eines gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieds den Herabsetzungsantrag an das Gericht, § 87 Abs. 2 S. 1 2. Alt AktG), so macht er sich nach Maßgabe des § 116 S. 1 AktG iVm § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig. Daher ist der Aufsichtsrat in der Krise der Gesellschaft gefordert, eine Herabsetzung der Vorstandsbezüge nach § 87 Abs. 2 AktG sorgfältig zu prüfen und bei Vorliegen der Voraussetzungen (Krise der Gesellschaft, Verursachungsbeitrag des Vorstands) auch umzusetzen.

Siegfried Weitzel
Rechtsanwalt
19. Februar 2016

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Stiftungsorgane haften gegenüber der Stiftung gesamtschuldnerisch

Dies bedeutet aber - entgegen einer noch immer weit verbreiteten Vermutung - nicht, dass einzelne Organe sich zum Teil über den Einwand eines Mitverschuldens anderer Organe entlasten können. Gehaftet wird allein und in vollem Umfang.

Mit Urteil vom 20. November 2014 (Az. III ZR 509/13) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Wege der Revision über das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 8. November 2013 (Az. 6 U 50/13) zu entscheiden, in dem noch von der Möglichkeit eines entsprechenden Mitverschuldenseinwands ausgegangen wurde.

Die klagende Stiftung verklagte ihren ehemaligen Vorstand auf Schadensersatz da dieser aufgrund pflichtwidriger Vermögensverwaltung, zu hoher laufender Ausgaben im Rahmen des Stiftungsbetriebes und pflichtwidriger Ankäufe einen erheblichen Verlust des Stiftungsvermögens zu verantworten hatte.
Das Kuratorium, welches laut Satzung oberstes Organ der Stiftung war und die Geschäftsführung des Vorstandes zu überwachen und diesem gegebenenfalls Weisungen zu erteilen hatte, wurde von der Stiftung indes nicht verklagt.

Das OLG Oldenburg hatte den Vorstand in erheblichem Umfang verurteilt. Nach Ansicht des OLG hatte der beklagte Vorstand sowohl die gesetzliche Verpflichtung, das Stiftungsvermögen in seinem Bestand ungeschmälert zu erhalten, als auch die sich aus der Satzung ergebende Vermögensverwaltungspflicht verletzt.

Das OLG hatte dann, anders als später der BGH in der Revisionsinstanz, auf den entsprechenden Einwand des Vorstandes, ein hälftiges Mitverschulden des Kuratoriums angenommen. Dieses begründete das OLG damit, dass das Kuratorium von den Vermögensanlagen gewusst habe und gegen diese nicht eingeschritten sei, obwohl es laut der Satzung für die Überwachung des Vorstandes zuständig gewesen sei.

Entsprechend des hälftigen Mitverschuldens wurde der Vorstand nur zum Ersatz der Hälfte des festgestellten Schadens verurteilt.

Der BGH hat den ehemaligen Vorstand der Stiftung in seiner Entscheidung vom 20.11.2014 über die ausgeurteilte Summe hinaus zu einer weiteren Zahlung verurteilt.

Diese zusätzliche Verurteilung resultierte daraus, dass der BGH – anders als das OLG Oldenburg – § 254 BGB nicht für anwendbar hielt und es dem beklagten Vorstand daher verwehrt hat, sich auf den Einwand des Mitverschuldens des Kuratoriums zu berufen.

Der BGH legte seiner Entscheidung die Überlegung zugrunde, dass die Stiftung als juristische Person an der Schadensentstehung selbst nicht mitgewirkt habe. Ein Mitverschulden könne allenfalls aus dem Handeln des Kuratoriums herrühren, was jedoch voraussetze, dass die Stiftung sich dieses anspruchsmindernd anrechnen lassen müsste. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Zur Begründung hat der BGH den Vergleich zur Organhaftung bei GmbH oder Aktiengesellschaft gezogen, bei der eine Berufung auf den Mitverschuldenseinwand ebenfalls nicht möglich sei. In der juristischen Person seien die Pflichten der Organe so ausgestaltet, dass sie nebeneinander bestünden. Jedes Organ sei für die Erfüllung seiner Pflichten im Rahmen seines Geschäftsbereichs selbstständig verantwortlich und habe deshalb im Falle einer Pflichtwidrigkeit auch voll für den verursachten Schaden einzustehen.
Der BGH stellte klar, dass diese gesellschaftsrechtlichen Grundsätze in gleicher Weise auch für eine Stiftung gelten. Wenn mehrere Organe einer Stiftung diese schädigen, so haften diese, so der BGH, gleichstufig und damit als Gesamtschuldner. Sie könnten sich nicht auf das Mitverschulden eines anderen Organs berufen, sondern seien darauf angewiesen, gegebenenfalls bei dem anderen Organ Rückgriff zu nehmen. Dem stand im zu entscheidenden Fall auch nicht entgegen, dass das Kuratorium gegenüber dem Vorstand gemäß der Satzung weisungsbefugt war.

Das Urteil des BGH bringt Klarheit zu der Frage, in welchem Verhältnis die Haftung mehrerer Stiftungsorgane zueinander steht und beendet damit eine bestehende Unklarheit, ob die zu GmbH und AG entwickelten Haftungsregimes für Organe auch für andere gängige juristische Personen anzuwenden seien.
Für Mitglieder von Stiftungsorganen - in nicht wenigen Fällen Ehrenämter - hat das Urteil zur Folge, dass die Gefahr einer umfassenden Haftung gestiegen ist.
Eine Haftung als Gesamtschuldner mit anderen Stiftungsorganen bedeutet dann, dass die Stiftung den Schadensersatz zwar nur einmal fordern kann, sich dabei aber aussuchen kann, gegen wen sie vorgeht, und von jedem Gesamtschuldner die gesamte Erstattung verlangen kann.
Es ist dann an dem zuerst in Anspruch Genommenen, seinerseits Erstattung von den Mithaftenden zu verlangen. Sofern diese jedoch nicht zahlungsfähig sind, läuft der zuerst in Anspruch Genommene Gefahr, auf den gesamten Kosten sitzen zu bleiben. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Gericht, das später über den Regress zu entscheiden hat, die Pflichtverletzungen anders beurteilt als das zuerst mit der Sache befasste Gericht und - wenn überhaupt - zu einer abweichenden Mithaftungsquote kommt. Um dies zu vermeiden, kann der in Anspruch Genommene den Mitgliedern der übrigen Stiftungsorgane den Streit verkünden, wenn diese nach seinem Dafürhalten ebenfalls zu der Schadensverursachung beigetragen haben.

Christan W. Terno
Rechtsanwalt
14. Januar 2016

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Das Praktikum vor dem Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses – Eine verlängerte Probezeit?

Berufsausbildungsverhältnisse sind vom Ausbilder nur während der maximal viermonatigen Probezeit (jederzeit) kündbar, danach bedarf eine Kündigung eines sogenannten wichtigen Grundes. Zweifel an der Befähigung des Auszubildenden gehen also zu Lasten des Ausbilders. Das BAG hat jetzt in einer aktuellen Entscheidung offenbar eine Möglichkeit zur intensiveren Erprobung, die bislang streitig war, eröffnet: Das vorgeschaltete Praktikum (BAG, Urteil v. 19. November 2015, 6 AZR 844/14). Bis zur Abfassung dieses Beitrags lag nur die Pressemitteilung vor.

Berufsausbildungsverhältnisse beginnen gem. § 20 BBiG mit der Probezeit, die mindestens einen Monat muss und höchstens vier (früher drei) Monate betragen darf. Während dieser Zeit ist das Ausbildungsverhältnis gem. § 22 Abs. 1 BBiG jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündbar. Nach der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis von Seiten des Ausbilders gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Für eine solche Kündigung aus wichtigem Grund liegt die Messlatte aber hoch: Arbeitsgerichte und Literatur sind sich einig, dass an die Anforderungen an die Kündigungsgründe wegen der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der geistigen, charakterlichen und körperlichen Fähigkeiten des Auszubildenden strengere Maßstäbe als an die Kündigung eines erwachsenen Arbeitnehmers zu stellen sind. Außerdem gewinnt das Interesse des Auszubildenden an der Aufrechterhaltung des Ausbildungsverhältnisses mit fortschreitender Dauer der Ausbildung immer mehr an Gewicht (statt vieler z.B. LAG Köln, Urteil v. 8.1.2003 – 7 Sa 852/02 m.w.N.). Ob eine Probezeit von vier Monaten den oft komplexen Anforderungen an die Fähigkeiten des Auszubildenden in modernen Ausbildungsberufen aber in allen Fällen gerecht wird, darf bezweifelt werden. Abgesehen von wenigen tariflichen Ausnahmeregelungen in vom Anwendungsbereich des BBiG gem. § 3 Abs. 2 BBiG ausgenommenen Bereichen (so z.B. im öffentlichen Dienst gem. § 3 Abs. 1 Ausbildungstarifvertrag TVöD-Pflege: 6 Monate), die eine längere Probezeit zulassen, muss der Ausbilder daher spätestens kurz vor dem Ablauf von vier Monaten entscheiden, ob nach seinem Eindruck der Auszubildende das Ausbildungsverhältnis erfolgreich absolvieren kann oder will.

Das Bedürfnis nach erweiterten „Erprobungsmöglichkeiten“ stellt sich deshalb insbesondere in einarbeitungsintensiven oder solchen Ausbildungsberufen, die besondere Fähigkeiten erfordern (z.B. die Ausbildung zum Fluglotsen mit ihren Anforderungen an Merk- und Konzentrationsfähigkeit und die Stressresistenz) oder für überdurchschnittlich verantwortungsvolle Tätigkeiten qualifizieren sollen. Die Möglichkeiten für den Ausbilder sind allerdings beschränkt: Eine – auch einvernehmliche – Verlängerung der Probezeit über die Höchstdauer von vier Monaten hinaus ist gem. § 25 BBiG nichtig. Nur im Falle einer Unterbrechung der Ausbildung z.B. wegen einer längeren Erkrankung ist die Vereinbarung einer Verlängerung um den der Fehlzeit entsprechenden Zeitraum zulässig. Dies gilt aber nur, wenn die Unterbrechung mindestens ein Drittel der Probezeit ausgemacht hat und sie nicht von dem Ausbilder selbst vertragswidrig herbeigeführt wurde (BAG, Urteil v. 15.1.1981 – 2 AZR 943/78).

Zulässig war auch bislang schon eine Probezeit im Rahmen eines an ein Arbeitsverhältnis anschließendes Ausbildungsverhältnis, da die in dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit nicht auf die Probezeit anzurechnen ist (BAG, Urteil v. 16.12.2004 – 6 AZR 127/04). Der dortige Kläger war zunächst als Hilfskraft im Verkauf beschäftigt und begann dann bei der Beklagten ein Ausbildungsverhältnis zum Kaufmann im Einzelhandel, das nach zwei Monaten während der Probezeit gekündigt wurde. Das BAG argumentierte, dass sich die Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis einerseits und einem Berufsausbildungsverhältnis andererseits grundlegend unterschieden.

Unklar war aber bisher, ob eine Vorbeschäftigung als Praktikant unmittelbar vor Beginn der Ausbildungszeit anzurechnen ist, wenn der Zweck des Kennenlernens mit der Probezeit identisch ist (Ja: LAG Berlin, Urteil v. 12.10.1998 – 2 Ca 52092/97; ArbG Wiesbaden, Urteil v. 17.1.1996 – 6 Ca 3242/95; Nein: ArbG Duisburg, Urteil v. 19.2.2009 – 1 Ca 3082/08). Dies hat das BAG jetzt anhand Falles ebenfalls aus dem Bereich des Einzelhandels klar gestellt: Dort hatte sich der Kläger im Frühjahr 2013 bei der Beklagten um eine Ausbildungsstelle als Einzelhandelskaufmannbeworben und einen Ausbildungsvertrag zum 1. August erhalten. Zur Überbrückung schlossen die Parteien einen „Praktikantenvertrag“ bis zum 31. Juli. Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 29. Oktober zum gleichen Tag. Bereits die Vorinstanzen (u.a. LAG Hamm, Urteil v. 30.7.2014 – 3 Sa 523/14) hatten die Klage abgewiesen. Das BAG folgte dieser Auffassung und bestätigte, dass die Praktikumszeit nicht anzurechnen sei. Dies gelte auch, so das BAG unter Hinweis auf die Entscheidung vom 16.12.2004 (6 AZR 127/04), wenn es sich nicht um ein Praktikum, sondern um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hätte.

Der Praxistipp

Ob und mit welcher Begründung das BAG die Anrechenbarkeit eines vorgeschalteten Praktikums auch für diejenigen Fälle verneint hat, in denen die wechselseitigen Rechte und Pflichten identisch zu sein scheinen, muss bis zur Absetzung der Entscheidungsgründe offen bleiben. Dafür spricht aber zum einen die Verweisung des BAG auf die Entscheidung aus dem Jahr 2004 zu einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis. Zum anderen gilt auch im Verhältnis des Praktikums zum Berufsausbildungsverhältnis ebenso wie bei einem Arbeitsverhältnis und gerade auch unter Berücksichtigung des Mindestlohngesetzes am 16. August 2014, dass sich die Erbringung von Arbeitsleistungen einerseits und das Erlernen von Kenntnissen und Fertigkeiten andererseits grundlegend unterscheiden. Wenn sich diese Einschätzung aber bestätigt, ist diese Möglichkeit in der betrieblichen Praxis nicht zu unterschätzen. Ausufernden Praktikumsverhältnissen beugt das MiLOG in ausreichendem Maße vor.

Hiltrud Kohnen
Rechtsanwältin
17. Dezember 2015

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Steuergefahr für Kommanditisten

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 9. Juli 2015 (Az. IV R 19/12) eine überraschende Entscheidung für all diejenigen gefällt, die sich an einer Publikums-KG bzw. einer Publikums-GmbH & Co. KG beteiligt haben, also beispielsweise für alle Immobilien- oder Schiffsfondsbeteiligten. Typischerweise werden dort dem Anleger während der Zeit seiner Beteiligung erhebliche Verluste zugewiesen, die er mit seinen übrigen positiven Einkünften verrechnen kann. Der Bundesfinanzhof meint nun, dass bei Ausscheiden § 15a EStG anzuwenden und damit ein entstandenes negatives Kapitalkonto zu versteuern sei. Die Richter sind sogar der Meinung, dass es für die Versteuerung keine Rolle spiele, aus welchen Gründen das Kapitalkonto negativ geworden ist.

Im entschiedenen Fall beteiligte sich der Steuerpflichtige in den Jahren zwischen 1981 und 1999 neben einer Vielzahl anderer als Kommanditist an einer Fonds-GmbH & Co. KG mit einer Einlage einschließlich Agio von 105.000,00 DM. Im Gesellschaftsvertrag war keine Nachschusspflicht vorgesehen. Das Geschäftsergebnis sollte nach Abzug einer Vorwegvergütung für die Komplementärin auf alle Gesellschafter entsprechend der Höhe ihre Einlage verteilt werden. Weiter war im Gesellschaftsvertrag vorgesehen, dass der zu verteilende Gewinn an die Gesellschafter ausgeschüttet wird, soweit nicht das Verlustvortragskonto noch nicht wieder ausgeglichen ist oder die Liquiditätslage der Gesellschaft eine Ausschüttung nicht zulässt. Weiter war bestimmt, dass Entnahmen abseits der Ausschüttungen nur dann zulässig sind, wenn die Liquiditätslage der Gesellschaft dies zulässt und die Gesellschafterversammlung einen entsprechenden Beschluss mit den Stimmen der persönlich haftenden Gesellschafterin fasst. Entnahmen sollten nur einheitlich von allen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Kapitaleinlagen erfolgen dürfen.

In den ersten zehn Jahren seiner Beteiligung wurden dem Kläger nur Verluste zugewiesen, sodann ab dem Jahr 1991 bis zu seinem Ausscheiden Gewinnanteile. Der Verlustanteil betrug nach Saldierung mit den Gewinnanteilen ca. 75.000,00 DM. Seit 1984 nahm der Fonds auch Ausschüttungen aus der Liquidität für alle Kommanditisten vor, der klagende Steuerpflichtige erhielt insgesamt ca. 78.000,00 DM. Als er im Jahr 1999 aus dem Fonds ausschied, ermittelte sein Finanzamt einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn von ca. 71.000,00 DM, der sich aus einer Verrechnung des Kapitals zuzüglich Agio abzüglich des Saldos aus den Gewinn- und Verlustzuweisungen und den Ausschüttungen aus der Liquidität zuzüglich des Auseinandersetzungsguthabens ergab. Diesen vermeintlichen Versteuerungsgewinn wollte der Steuerpflichtige nicht versteuern, ist nun aber beim Bundesfinanzhof letztinstanzlich unterlegen.

Der Bundesfinanzhof geht in seinem Urteil von dem Grundsatz aus, dass der zu berücksichtigende Veräußerungsgewinn oder Veräußerungsverlust derjenige Betrag ist, um den der Veräußerungspreis den Wert des Anteils am Betriebsvermögen zum Zeitpunkt des Ausscheidens übersteigt bzw. unterschreitet. Auch der auf den Entnahmen beruhende Teil sei einzubeziehen, denn das durch die Entnahme belastete Kapitalkonto müsse, so die Richter, aus dem künftigen Vermögenszuwachs der Gesellschaft ausgeglichen werden. Der Steuerpflichtige müsse also bis zum Ausgleich des durch Entnahmen entstandenen Negativkontos auf Gewinnanteile verzichten und diese seinen Mitgesellschaftern überlassen. Diese Verpflichtung entfalle jedoch mit dem Ausscheiden aus dem Fonds, so dass sich der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn um den Betrag der Verpflichtung erhöhe.

Hier zeigt sich die Kehrseite der steuerlichen Vorteile in der Zeit der gesellschafterlichen Beteiligung am Fonds. Die Verluste, die der Steuerpflichtige Jahre zuvor genutzt hat, muss er bei seinem Ausscheiden versteuern. Im Hinblick auf die kompromisslose Entscheidung des Bundesfinanzhofs sind Gestaltungen kaum erfolgversprechend umzusetzen. Anders ist es in den Fällen, in denen eine Haftungsinanspruchnahme auch nach dem Ausscheiden droht, dann ist ein eventueller Veräußerungsgewinn um den zu erwartenden Haftungsbetrag zu kürzen, was durch Einstellung einer entsprechenden Rückstellung in eine Sonderbilanz des ausscheidenden Kommanditisten abzubilden ist. Dies wird in der Praxis oft übersehen. Handlungsbedarf besteht auch bei einem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Fonds, etwa im Falle der Insolvenz der Gesellschaft. Dann ist oft eine Einigung mit der Finanzverwaltung möglich, um zumindest Progressionseffekte aufzufangen.


Lutz Schade
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht
10. Dezember 2015

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Bauabzugsteuer auch bei Photovoltaikanlagen

Die Finanzverwaltung ist nun bundesweit der Auffassung, dass die Installation einer Photovoltaikanlage an oder auf einem Gebäude eine Bauleistung im Sinne des § 48 EStG ist. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Leistungsempfänger daher zum Steuerabzug verpflichtet (Bayerisches Landesamt für Steuern, Vfg. v. 16.9.2015, S 2272.1.1-3/8 St 32). Von der Abzugsverpflichtung für bestimmte Leistungsempfänger von im Inland erbrachten Bauleistungen in Höhe von 15 % des Rechnungsbetrages wird nur dann abgesehen, wenn der Leistende eine Freistellungsbescheinigung vorlegen kann. Liegt diese nicht vor und übersteigt im laufenden Kalenderjahr die Gegenleistung nicht den Betrag von 5.000,00 €, muss noch kein Steuerabzug erfolgen. Dies Freigrenze erhöht sich auf 15.000,00 €, wenn der Leistungsempfänger ausschließlich steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 12 S. 1 UStG, also Vermietungsumsätze ausführt. An der Auffassung, dass Photovoltaikanlagen als Betriebs-vorrichtungen nicht den Begriff des Bauwerks erfüllen, hält die Finanzverwaltung nicht mehr fest. Laut Übergangsregelung wird es für Fälle bis zum 31. Dezember 2015 in Bezug auf den Zeitpunkt der Entstehung der Bauabzugsteuer allerdings nicht beanstandet, wenn ein Abzug unterbleibt.

Lutz Schade
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht
7. Dezember 2015

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