Flüchtlinge und Vergaberecht

Deutschland hat im Jahr 2015 über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Auch im aktuellen Jahr ist nicht in Sicht, dass sich die Zahl der neu ankommenden Migranten signifikant reduzieren wird. Dies hat auch Auswirkungen auf die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen.

In dem Rundschreiben vom 24.08.2015 (1B6-270100/14) hat das Bundeswirtschaftsministerium vertreten, dass die große Zahl an Flüchtlingen und Asylbegehrenden für öffentliche Auftraggeber nicht vorhersehbar war. Aufgegriffen und weitgehend bestätigt wurde das Rundschreiben durch die EU-Kommission in ihrer Mitteilung vom 09.09.2015 (COM(2015)454final) über die öffentliche Auftragsvergabe in der Flüchtlingshilfe. Damit war der Weg frei, bei Vergabeverfahren im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe im Bereich oberhalb der EU-Schwellenwerte auch das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zur Anwendung kommen zu lassen. Konkret geht es um den Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit, der allerdings auch voraussetzt, dass ein „unvorhergesehenes Ereignis“ vorliegt und ein kausaler Zusammenhang vorliegt zwischen dem unvorhergesehen Ereignis und der Unmöglichkeit, die Regel- bzw. auch verkürzten Fristen des Vergaberechts einzuhalten.

Fraglich ist aber, ob man auch derzeit noch diese Einschätzung zugrunde legen kann, mit anderen Worten, ob man aktuell noch von einem unvorhergesehenen Ereignis ausgehen kann, zumal es über viele Monate hinweg einen starken und konstanten Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland gegeben hat und – trotz der Winterzeit – noch gibt. Hierbei ist stets zu berücksichtigen, dass der Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit eng auszulegen ist.

Unterhalb der EU-Schwellenwerte wird man indes in der Regel unkomplizierter auf freihändige Vergaben zurückgreifen können, insbesondere wenn bestimmte Auftragswertgrenzen, die freilich von Bundesland zu Bundesland variieren und in den jeweiligen Landesvergabegesetzen bzw. in verwaltungsinternen Erlassen festgelegt sind, nicht überschritten werden.

Um welche zu vergebenden Leistungen geht es typischerweise?

Zu nennen sind beispielsweise:

• Lieferung von (Feld-)Betten
• Der Betrieb bzw. die Bewirtschaftung einer Flüchtlingsunterkunft
• Reinigungsleistungen
• Bewachungs- bzw. Security-Dienste
• Sprachkurse, Kinderbetreuung, Unterricht etc.
• Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften

Klarzustellen ist, dass die reine Anmietung oder der Erwerb von (bestehenden) Räumlichkeiten zwecks Nutzung als Flüchtlingsunterkunft nicht dem Vergaberecht unterfällt (§ 100 Abs. 5 Nr. 1 und 2 GWB). Etwas anderes gilt, wenn die Anmietung bzw. der Erwerb eines Gebäudes verbunden wird mit vom Vermieter auszuführenden spezifischen Bauleistungen (sog. Bestellbau); auch Umbauten können erfasst sein. In diesem Fall kann das ganze Geschäft vergabepflichtig werden und wäre als Bauauftrag zu qualifizieren.

Das Rundschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums vom 24.08.2015 beinhaltet als Praxistipp im Zusammenhang mit den zu vergebenden Flüchtlingshilfsleistungen, vermehrt – da wo möglich und sinnvoll, also bei Liefer- und Dienstleistungen – auf Rahmenvereinbarungen zurückzugreifen. Hiermit können Auftraggeber flexibel auf zunächst schwer vorhersehbaren Bedarf reagieren. Die Bedingungen für die Einzelverträge werden in dem Rahmenvertrag vorab festgelegt und der Zeitraum bestimmt, in dem die Einzelaufträge abgerufen werden. Von Vorteil ist, dass der mengenmäßige Bedarf bei Abschluss des Rahmenvertrages noch nicht feststehen muss, was allerdings andererseits dem Bieter die Kalkulation erschwert und er sich diese Unklarheit häufig mit einem höheren Preis bezahlen lässt. Um die jederzeitige Versorgung gewährleisten zu können, sollten Rahmenverträge mit mehreren Bietern geschlossen werden.


David Poschen
Rechtsanwalt
19. Februar 2016

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Grundstückskauf – Fehlende notarielle Beurkundung von Eigenschaften

Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. November 2015 (Az. V ZR 78/14)

Der Bundesgerichtshof hat in o.g. Urteil ausgeführt, dass eine Beschreibung von Eigenschaften eines Grundstückes oder Gebäudes vor Vertragsschluss durch den Verkäufer, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag findet, in der Regel nicht dazu führt, dass eine entsprechen-de Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB getroffen wird.

Die Beklagten haben mit notariellem Vertrag ein Wohnhaus an den Käufer veräußert. Zuvor hatten sie auf ihrer Internetseite Informationen gegeben und ein Exposé eingestellt, welches eine Wohnfläche von ca. 200 m² und eine Nutzfläche von ca. 15 m² beinhaltete. Auf Nachfrage er-hielten die Käufer Grundrisszeichnungen, die insgesamt eine Fläche von 215,3 m² ergaben. Nach Erwerb des Grundstückes ließen die Käufer durch einen Architekten die Wohnfläche des Gebäudes berechnen. Unter Zugrundelegung der Wohnfläche pro Wohnung kam dieser zu einer tatsächlichen Gesamtwohnfläche von 171,74 m². Das war Anlass für den Kläger aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau, von den Beklagten eine Zahlung von 66.411,00 € nebst Zinsen als Kaufpreisminderung sowie den Ersatz weiterer Schäden zu verlangen. In allen In-stanzen hatte seine Klage keinen Erfolg.

Der Bundesgerichtshof führt in der o. g. Entscheidung aus, dass eine Haftung der Beklagten aus den Angaben des Exposés nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nicht besteht, weil die tatsächliche Wohnfläche der Räume nicht von der Größe abweicht, die ein durchschnittlicher Käufer bei einer Wohnflächenangabe von ca. 200 m² erwarten durfte. Begründet wird dies damit, dass die tatsächliche Fläche aller Räume und der Dachterrasse nach den eigenen Angaben der Kläger über 200 m² betrage und die Frage, ob und in welchem Umfang der Hauswirtschaftsraum und die Dachterrasse bei der Berechnung der Wohnfläche in Ansatz zu bringen seien, Bewertungstoleranzen unterliege. Eine bestimmte Berechnungsgrundlage sei im Exposé nicht genannt.

Auch eine Haftung aufgrund Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 2 BGB liege nicht vor. Die Angaben im Exposé und in den Anzeigen seien nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung zwischen den Parteien geworden. Eine Beschaffenheitsvereinbarung setzt zwar keine ausdrückliche Erklärung der Parteien voraus, sondern kann sich auch aus den Umständen des Vertragsschlusses ergeben. Die Frage besteht hier allerdings, ob aufgrund einer Äußerung des Veräußerers über eine bestimmte Eigenschaft des Kaufgegenstandes eine Beschaffenheitsvereinbarung zustande kommt, wenn diese in der Vertragsurkunde keinen Niederschlag gefunden hat. Dies entscheidet der Senat in dem vorgenannten Urteil dahingehend, dass eine Beschreibung von Eigenschaften eines Grundstückes oder Gebäudes durch den Verkäufer vor Vertragsschluss, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag findet, in aller Regel nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB führt. Die Parteien müssen bei einem beurkundungsbedürftigen Rechtsgeschäft alle Erklärungen in den Vertrag aufnehmen, die eine Regelung enthalten, d. h. Rechtswirkungen erzeugen sollen. Dazu gehören die Vereinbarungen über die Beschaffenheit nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB.

Der BGH führt dazu aus:

 „Sie konkretisieren die Verpflichtung des Verkäufers nach § 433 Abs. 1 S. 2 BGB, dem Käufer die Sache frei von Sachmängeln zu verschaffen, dahingehend, dass dieser – abweichend von den in § 434 Abs. 1 S. 2 BGB bestimmten allgemeinen Anforderungen – dem Käufer eine der individuell vereinbarten Beschaffenheit gemäße Sache schuldet ... . Dass die Parteien eine solche Bindung gewollt haben – selbst wenn in der Urkunde zu der Vereinbarung eine Beschaffenheit nicht aufgenommen wurde – ist vor dem Hintergrund des ihnen bekannten Beurkundungserfordernisses in aller Regel nicht anzunehmen“.

Nach Meinung des Senates resultiert dies aus einer interessengerechten Vertragsauslegung. Ein Käufer könne nicht davon ausgehen, dass der Verkäufer mit ihm eine bestimmte Beschaffenheit vereinbaren wolle, wenn die geschuldete Beschaffenheit im Kaufvertrag nicht erwähnt wird. Wollte man dies anders sehen, dann bestünde die Gefahr, dass die nicht beurkundete Beschaffenheitsvereinbarung zur Nichtigkeit des zwischen Parteien geschlossenen Vertrages führt (§ 125 S. 1 BGB). Im Zweifel sei eine Auslegung zu wählen, die nicht zur Formnichtigkeit des Vertrages führt. Die Parteien wollen im Zweifel keinen Vertrag schließen, der wegen Nichtbeurkundung einer Beschaffenheitsvereinbarung formnichtig wäre. Dies hätte nämlich ansonsten unter anderem zur Folge, dass eine zur Sicherung des Anspruchs des Käufers eingetragene Auflassungsvormerkung nicht entstünde und damit kein Schutz nach § 883 Abs. 2 BGB ge-genüber einer zwischenzeitlichen Verfügung und Vollstreckungsmaßnahme böte. Zwar könne grundsätzlich die Formnichtigkeit nach § 311 b Abs. 1 S. 2 BGB mit Auflassung und Eintragung geheilt werden. Es bestünde jedoch keine Sicherheit, dass eine Heilung eintritt, weil es bis zur Eintragung jeder Partei freisteht, sich auf die Formunwirksamkeit des Vertrages zu berufen.

Hinweis:
Es ist bei notariell beurkundungsbedürftigen Verträgen angebracht, sämtliche wichtigen Angaben und Absprachen mit beurkunden zu lassen.

Dr. Petra Christiansen-Geiss
Rechtsanwältin
18. Februar 2016

 

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