Corona-Krise und die Auswirkungen im Vergaberecht

Die Corona-Krise hält Deutschland in Atem. In diversen Rechtsgebieten entstehen hierdurch bedingt dringliche Fragen, sei es im Bauvertragsrecht, Mietrecht, Insolvenzrecht, Arbeitsrecht etc. Auch das Vergaberecht ist betroffen. Viele Bieter sind in laufenden Vergabeverfahren erheblich verunsichert, wie sie derzeit ein seriöses Angebot kalkulieren sollen – Lieferketten brechen weg, die Personalressourcen werden knapp und die Einhaltung von Liefer- und Ausführungsterminen kann nicht prognostiziert werden. Den Staat und andere öffentliche Auftraggeber treibt die Sorge um, wie dringend benötigte, allerdings auch teils nur noch sehr ein-geschränkt verfügbare Gegenstände zur Bekämpfung der Pandemie wie Heil- und Hilfsmittel, z.B. Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel etc. und medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte schnellstmöglich beschafft werden können.

Das Bundeswirtschaftsministerium gibt mit seinem Rundschreiben vom 19.03.2020 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV 2 (Link Schreiben BMWi) eine Hilfestellung hinsichtlich solcher Lieferleistungen:

1. Öffentliche Aufträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte

Bei Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte gemäß § 106 GWB (139.000 EUR bei Vergaben oberster Bundesbehörden und 214.000 EUR bei Vergaben aller anderen öffentlicher Auftraggeber) sind die Vorschriften des 4. Teils des GWB und der hierauf erlassenen Rechtsverordnungen anwendbar, wobei hier die Regelungen der Vergabeverordnung (VgV) in den Blick genommen werden sollen.

Bei Dringlichkeitsvergaben sieht die VgV in den §§ 14 Abs. 4, 17 die Möglichkeit des sehr schnellen Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb vor. Diese Verfahrensart kann gewählt werden, wenn

(1)    ein unvorhergesehenes Ereignis vorliegt,
(2)    äußerst dringliche und zwingende Gründe bestehen, die die Einhaltung der in anderen Verfahren vorgeschriebenen Fristen nicht zulassen,
(3)    ein kausaler Zusammenhang zwischen dem unvorhergesehenen Ereignis und der Unmöglichkeit besteht, die Fristen anderer Vergabeverfahren einzuhalten.

In Bezug auf äußerst kurzfristige Beschaffungen, die aufgrund bestehender Gefährdungen fundamentaler Rechtsgüter (Leben und Gesundheit) zügig getätigt werden müssen, bejaht das Wirtschaftsministerium in dem Rundschreiben zu Recht das Vorliegen der zuvor genannten Voraussetzungen.

Verwiesen wird auf die Möglichkeit, im Rahmen dieser Verfahrensart Angebote formlos und ohne die Beachtung konkreter Fristvorgaben einzuholen. Aufgrund des besonderen Ausnahmecharakters sind sehr kurze Fristen – bis hin zu 0 Tagen – denkbar. Dies steht im Einklang mit der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 09.09.2015 zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik im Jahr 2015. Im Rundschreiben des Wirtschaftsministeriums wird es für vertretbar gehalten, in der jetzigen Situation auch nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern. § 51 Abs. 2 VgV, der für das Verhandlungsverfahren die Ansprache von mindestens drei Unternehmen vorsieht und damit Ausfluss des Wettbewerbsprinzips ist, ist vor diesem Hintergrund nicht anwendbar.

2. Öffentliche Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte

Bei unterschwelligen Beschaffungen von Heil- und Hilfsmitteln sowie medizinischem Gerät kann in der jetzigen Dringlichkeits- und Notfallsituation die Vergabeart der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nach § 8 Abs. 4 Nr. 9 der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) gewählt werden. Die Voraussetzungen sind sehr ähnlich ausgestaltet wie bei dem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb.

Wenn eine Leistung im Falle von Umständen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, besonders dringlich ist und die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzurechnen sind, kann auch nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, § 12 Abs. 3 UVgO. Nach Mitteilung des Wirtschaftsministeriums ist die-se Voraussetzung im Fall von Beschaffungen, die zur Eindämmung und Bewältigung der Corona-Epidemie kurzfristig erforderlich sind, regelmäßig gegeben.

Verwiesen wird auch auf die Möglichkeit der Anwendung einer Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb ohne Beachtung bestimmter Zulassungsvoraussetzungen, wenn bestimmte Wertgrenzen gemäß der Wertgrenzenerlasse der Bundes- und Landesministerien unterschritten werden. Die Bundesländer können auch die Anwendung bestimmter Vorschriften der UVgO insgesamt für konkrete Bereiche aussetzen, um Vergabeerleichterungen zu bewirken.

3. Ausweitung bestehender Verträge

Die Regelung des § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB ermöglicht zudem, bereits bestehende Verträge im Einvernehmen der Vertragsparteien zu verlängern und wertmäßig auszuweiten, ohne dass eine erneute Vergabepflicht entsteht. Diese Vorschrift gilt gemäß § 47 Abs. 1 UVgO auch für die unterschwelligen Vergaben von Liefer- und Dienstleistungen.

Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:

(1)    die Änderung bzw. Ausweitung ist erforderlich aufgrund des Vorliegens von Umständen, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten nicht vorhersagen konnte;
(2)    Es liegt keine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags aufgrund der Vertragsänderung, -verlängerung und/oder –ausweitung vor,
(3)    Der Preis darf nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden.

Wie auch bei der Frage der Anwendbarkeit des Verhandlungsverfahrens bzw. der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb vertritt das Wirtschaftsministerium richtigerweise, dass die Voraussetzung (1) angesichts der aktuellen Sachlage zur Entwicklung der Corona-Pandemie gegeben ist. Weder die dynamische Entwicklung der Ausbreitung des Virus noch die hierdurch hervorgerufenen konkreten Bedarfe konnten vorhergesehen werden. Eine Änderung des Gesamtcharakters (Voraussetzung (2)) liegt gemäß Rundschreiben dann nicht vor, wenn lediglich die Liefermengen der vereinbarten Leistung erhöht werden oder ein be-stimmter Liefervertrag über bestimmte medizinische Hilfsmittel um weitere Gegenstände ergänzt werden, die dem gleichen oder einem ähnlichen Zweck gelten.


David Poschen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht
25.03.2020

 

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Information über die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs bei Quarantänemaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Weltweit sind Menschen vom Coronavirus COVID 19 (SARS-CoV-2) betroffen und damit auch in erheblichem Umfang die Wirtschaft, da zur Eindämmung des Virus zahlreiche einschneidende Maßnahmen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) erlassen werden mussten, um die Verbreitung des Virus zumindest einzudämmen.

Hierdurch entstehende wirtschaftliche Einbußen können unter bestimmten Umständen durch eine Entschädigung nach dem IfSG abgefedert werden. Über den Anwendungsbereich und die Voraussetzungen dieses Entschädigungsanspruchs wollen wir Sie im Folgenden informieren:

Das IfSG dient dem Zweck, übertragbare Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Entsprechend sieht das IfSG im 5. Abschnitt (Bekämpfung übertragbarer Krankheiten) zur Verhinderung der Weiterverbreitung weitreichende Schutzmaßnahmen vor. Es handelt sich somit um Maßnahmen der Quarantäne, des beruflichen Tätigkeitsverbots sowie Beschränkungen oder Verbote von Veranstaltungen oder sonstigen Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen.

Danach stellt sich nunmehr sowohl für Arbeitgeber als auch Selbständige und Arbeitnehmer die Frage, wie mit diesen Schutzmaßnahmen umzugehen ist.

Eine Antwort darauf, bietet § 56 IfSG. Eine Entschädigung enthalten danach ausschließlich:

  • Infizierte
  • Personen, die vorsorglich in Quarantäne müssen
  • Ausscheider oder Ansteckungsverdächtige, die andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können
  • Erwerbstätige Sorgeberechtigte und Pflegeeltern von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben sowie von behinderten Kindern.

Infizierte, Personen, die vorsorglich in Quarantäne müssen sowie Ausscheider und Ansteckungsverdächtige erleiden einen Verdienstausfall aufgrund der Infektion und Quarantäne, da sie Verboten in der Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegen und daher Anspruch auf eine Entschädigung in Geld haben. Auf diese Entschädigung werden allerdings Anrechnungen vorgenommen. Insoweit verweisen wir auf § 56 Abs. 8 IfSG.

Erwerbstätige Sorgeberechtigte haben dann einen Anspruch auf Entschädigung in Geld, wenn die Einrichtung zur Betreuung von Kindern oder die Schule von der zuständige Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes geschlossen wird oder die Betreuung untersagt wird. Ein Anspruch besteht hingegen nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde.

Selbständige:

Zunächst werfen wir einen Blick auf die Rechtslage für Selbständige: Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Vom Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 SGB V (Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt.

Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV (Viertes Buch Sozialgesetzbuch), unter Zugrundelegung eines Zwölftels des Arbeitseinkommens im Sinne des § 15 SGB IV aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit.

Arbeitnehmer:

Auch bei den Arbeitnehmern bemisst sich die Entschädigung nach dem Verdienstausfall. Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV (Viertes Buch Sozialgesetzbuch), das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechenden Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang zusteht (Netto-Arbeitsentgelt).

Der Betrag erhöht sich um das Kurzarbeitergeld, auf das der Arbeitnehmer Anspruch hätte, wenn er nicht aus den oben genannten Gründen an der Arbeitsleistung verhindert wäre. Verbleibt dem Arbeitnehmer nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder bei Absonderung ein Teil des bisherigen Arbeitsentgelts, so gilt als Verdienstausfall der Unterschiedsbetrag zwischen dem zuvor genannten Netto-Arbeitsentgelt und dem in dem auf die Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder der Absonderung folgenden Kalendermonat erzielten Netto-Arbeitsentgelt aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis.

Vorgehen:

  • Die Entschädigung wird nur auf Antrag gewährt.
  • Der Antrag ist in Nordrhein-Westfalen bei den Landschaftsverbänden zu stellen.
  • Der Antrag muss innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder dem Ende der Absonderung gestellt werden.
  • Dem Antrag ist von Arbeitnehmern eine Bescheinigung des Arbeitgebers und von den in Heimarbeit Beschäftigten eine Bescheinigung des Auftraggebers über die Höhe des in dem für sie maßgeblichen Zeitraum verdienten Arbeitsentgelts und der gesetzlichen Abzüge,
  • von Selbständigen eine Bescheinigung des Finanzamtes über die Höhe des letzten beim Finanzamt nachgewiesenen Arbeitseinkommens beizufügen. Ist ein solches Arbeitseinkommen noch nicht nachgewiesen oder ist ein Unterschiedsbetrag zu errechnen, so kann die zuständige Behörde die Vorlage anderer oder weiterer Nachweise verlangen. Es empfiehlt sich daher, die letzten betriebswirtschaftlichen Auswertungen vom Steuerberater und den letzten Steuerbescheid vom Finanzamt kurzfristig verfügbar zu haben und ggf. bereits vorab mitzuübersenden.

Praxistipp:

  • Selbständige, deren Betrieb oder Praxis während der Dauer einer Quarantäne oder Aussonderung ruht, erhalten neben der Entschädigung auf Antrag von der zuständigen Behörde Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang.
  • Bei einer Existenzgefährdung können den Entschädigungsberechtigten die während der Verdienstausfallzeiten entstehenden Mehraufwendungen auf Antrag in angemessenem Umfang erstattet werden.
  • Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet.

Das Unternehmen hat also gegenüber dem Land einen Erstattungsanspruch. Der Anspruch auf Entschädigung geht indes, sofern dem Entschädigungsberechtigten Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld für die gleiche Zeit zu gewähren ist, auf die Bundesagentur für Arbeit über.

Für Rückfragen oder bei der Unterstützung zur Durchsetzung dieser Ansprüche stehen wir Ihnen mit unserem Team gerne zur Verfügung! Auch wenn wir aus aktuellem Anlass auf persönliche Beratungsgespräche bei uns im Hause verzichten müssen, erreichen Sie uns weiterhin dezernatsübergreifend via Telefon und E-Mail.

 

 

Daniela Mechelhoff                                 
Rechtsanwältin                                      
Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Dr. Philipp Verenkotte
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht             
26. März 2020

 

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Information über die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs bei Quarantänemaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Weltweit sind Menschen vom Coronavirus COVID 19 (SARS-CoV-2) betroffen und damit auch in erheblichem Umfang die Wirtschaft, da zur Eindämmung des Virus zahlreiche einschneidende Maßnahmen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) erlassen werden mussten, um die Verbreitung des Virus zumindest einzudämmen.

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