Auswertung des Browserverlaufs kann auch bei eingeschränkt zulässiger privater Nutzung ohne Einwilligung des Arbeitnehmers zulässig sein

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2016 - 5 Sa 657/15

Steht den Arbeitnehmern am Arbeitsplatz ein Internetzugang zur Verfügung, so besteht zwischen den Arbeitsvertragsparteien oft Uneinigkeit darüber, ob und ggf. inwieweit eine private Nutzung des dienstlichen Internetzugangs zulässig ist. Dabei gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass bei fehlender ausdrücklicher Gestattung oder Duldung des Arbeitgebers eine private Nutzung des Internets grundsätzlich nicht erlaubt ist.


In seinem Urteil vom 14.01.2016 (Az. 5 Sa 657/15) hatte sich das LAG Berlin-Brandenburg mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Arbeitgeber den auf dem Dienstrechner seines Arbeitnehmers gespeicherten Browserverlauf ohne dessen Kenntnis bzw. Einwilligung kontrollieren und nach erfolgter Auswertung wegen der exzessiven privaten Internetnutzung eine außerordentliche (fristlose) Kündigung aussprechen durfte.



In dem Betrieb der Beklagten war die private Nutzung des Internets allenfalls in Ausnahmefällen, d.h. soweit eine Erledigung außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich ist, und lediglich beschränkt auf die arbeitsvertraglichen Pausenzeiten gestattet. Nachdem der Arbeitgeber Anhaltspunkte dafür erlangt hatte, dass der Kläger seinen dienstlichen Internetanschluss dennoch in erheblichem Umfang zu privaten Zwecken nutzte, wertete er ohne dessen Einwilligung den auf dem Dienstrechner abgespeicherten Browserverlauf des Arbeitnehmers aus. Es stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer während eines Zeitraums von 30 Arbeitstagen den dienstlichen Internetanschluss insgesamt 40 Stunden (5 Arbeitstage) lang zu privaten Zwecken genutzt hatte.



Die ohne Hinzuziehung des Arbeitnehmers ausgewerteten Einträge in der Chronik des Internet-Browsers unterlagen nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg keinem Beweisverwertungsverbot, obwohl es sich dabei um personenbezogene Daten handele. Das Bundesdatenschutzgesetz (BGSG) lasse auch ohne Einwilligung des Arbeitnehmers die Speicherung und Auswertung solcher Verlaufsdaten zu Zwecken der Missbrauchskontrolle zu. Die zu diesem Zweck erfolgende Aufzeichnung der bei Telekommunikation entstehenden Verbindungsdaten sei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen. Da die Aufzeichnung zudem erforderlich gewesen sei, greife der Erlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG, wonach der Arbeitgeber die betreffenden personenbezogenen Daten des Beschäftigten  erheben, verarbeiten oder nutzen darf.



Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers auch wegen Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 626 Abs. 1 BGB) gerechtfertigt. Soweit ein Arbeitnehmer über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen fortgesetzt in einem solch exzessivem Maße zu privaten Zwecken im Internet surfe, liege darin eine so erhebliche Beeinträchtigung der arbeitsvertraglichen geschuldeten Arbeitsleistung, dass eine weitere Hinnahme dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber erkennbar ausgeschlossen sei. Es habe daher auch keiner Abmahnung bedurft.

Praxistipp:


Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg, nach dem kein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die Auswertung des Browserverlaufs vorliegt, ist zu begrüßen. Zutreffend geht das Berufungsgericht dann auch davon aus, dass die exzessive private Internetnutzung eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. 


Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln im Zivilprozess, genau wie die Frage, ob ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, grundsätzlich einer Interessenabwägung im Einzelfall unterliegt. Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg schafft daher keinen allgemein gültigen „Präzedenzfall", sondern ist im konkreten Streitfall lediglich als Orientierungshilfe heranzuziehen. Dem Arbeitgeber ist daher anzuraten, klare Regelungen hinsichtlich der Erlaubnis / des Verbots der privaten Nutzung des dienstlichen Internetzugangs aufzustellen. Soweit im Betrieb des Arbeitgebers ein Betriebsrat existiert, unterliegen die Modalitäten und Regeln der durch den Arbeitgeber gestatteten privaten Nutzung zudem der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Nr. 1, 6 BetrVG.



Hinsichtlich der Frage der prozessualen Verwertbarkeit der auf dem Dienstrechner gespeicherten Daten über die Internetnutzung hat das Berufungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht in dieser Frage Rechtssicherheit schaffen kann, indem es allgemeingültige Kriterien für die Verwertung solcher Daten aufstellt.

Kevin Woicke

Rechtsanwalt

23. März 2016

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Kostenentscheidung gegen die Insolvenzmasse trotz Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO möglich (Beschluss OLG Dresden, 8 U 913/15 vom 29.02.2016)

Gegen einen von mehreren Beklagten wird in einem rechtshängigen Verfahren ein Insolvenzverfahren eröffnet. Vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung wird die streitgegenständliche Forderung vom Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt. Der Kläger erklärt den Rechtsstreit insoweit (einseitig) für erledigt.

Nach Auffassung des OLG Dresden kann eine einheitliche Kostenentscheidung auch gegen die Insolvenzmasse ergehen. Zwar ist das Verfahren gegen den insolventen Beklagten unterbrochen. Doch durch die Anerkennung zur Tabelle ist der Rechtsstreit gegen den insolventen Beklagten erledigt. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist eine nicht von der Verfahrensunterbrechung nach § 240 ZPO betroffene Annexentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 02.02.2005, XII ZR 233/02, zweifelnd: BFH Beschluss vom 14.05.2013, X B 134/12).

Klaus F. Delwig
Rechtsanwalt
24. März 2016

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Von der Gemeinschafts- zur Unionsmarke - Übergangsfrist für etwaige Erklärung zum Markenverzeichnis beachten

Am 23. März 2016 tritt die neue Unionsmarkenverordnung in Kraft (Verordnung(EU)2015/2424 des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Gemeinschaftsmarkenverordnung). Die wesentlichen Änderungen, die sich hieraus ergeben, haben wir nachfolgend zusammengefasst:


1. Vom HABM zur EUIPO

Zunächst einmal wird das bisherige Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) zukünftig Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) heißen. Dementsprechend wird aus der Gemeinschaftsmarke die Unionsmarke. Die Änderung der Markenbezeichnung erfolgt automatisch und hat keinerlei Auswirkung auf bereits eingetragene oder in Anmeldung befindliche Marken.


2. Vom 3-Klassen- zum 1-Klassen-System
    (Änderung der Gebühren)

Bisher umfasste die EU-Markenanmeldung (gleiches gilt für die Verlängerung) stets automatisch bis zu drei Waren- oder Dienstleistungsklassen; d. h. unabhängig davon, ob eine, zwei oder drei Klassen angemeldet (oder verlängert) wurden, es waren stets Amtsgebühren in gleicher Höhe fällig. Zukünftig werden die Anmelde- und Verlängerungsgebühren aber nur noch eine Klasse enthalten. Dies führt zu einer leichten Gebührenerhöhung bei Anmeldung mehrerer Klassen. Dahingegen wurden die Gebühren für die Verlängerung von Marken (trotz Abkehr vom bisherigen 3-Klassen-System) etwas reduziert. Im Einzelnen stellen sich die neuen Gebühren wie folgt dar:

 


Anmeldung einer EU-Marke

aktuelle Gebühren

einer online-Anmeldung

neue Gebühren

einer online-Anmeldung


Erste Klasse
         900,00 €           850,00 €
Zweite Klasse         900,00 €          900,00 €
Dritte Klasse         900,00 €       1.050,00 €
jede weitere ab der 3. Klasse         150,00 €          150,00 €

  

Verlängerung einer EU-Marke

aktuelle Gebühren

einer Online-Verlängerung

neue Gebühren

einer Online-Verlängerung

Erste Klasse         1.350,00 €          850,00 €
Zweite Klasse         1.350,00 €          900,00 €
Dritte Klasse         1.350,00 €       1.050,00 €
jede weitere ab der 3. Klasse            400,00 €           150,00 €

  
3. Vom “Class Heading Covers all approach” zum “Means what it says approach”
    (Änderung bei der Auslegung des Schutzumfanges des Waren- und 
     Dienstleistungsverzeichnisses)

Die bisherige Praxis des Gemeinschaftsmarkenamtes ging dahin, bei der Eintragung von Klassenüberschriften sämtliche in der betreffenden Nizza-Klasse enthaltene Waren oder Dienstleistungen als vom Schutz der Marke mit umfasst anzusehen (der sogenannte „Class Heading Covers all approach“). Bereits seit dem EuGH-Urteil „IP-Translater“ (C-307/10) kann jedoch durch Anmeldung aller Oberbegriffe einer Nizza-Klasse kein Schutz mehr für sämtliche, in diese Klasse fallenden Waren oder Dienstleistungen beansprucht werden. Nur noch diejenigen Waren oder Dienstleistungen, die sich wörtlich unter die benannten Oberbegriffe fassen lassen, gelten als geschützt (sogenannter „Means what it says approach“). Diese Änderung der Amtspraxis wurde nun ausdrücklich in der neuen Unionsmarkenverordnung (Art. 28 Abs. 5) normiert. Dabei gilt die Regelung des neuen Art. 28 Abs. 5 zukünftig für alle Unionsmarken, d. h. auch für vor dem EuGH-Urteil angemeldete Marken. Bisher galt für diese noch die großzügigere alte Auslegung. Um hierdurch auftretende Unbilligkeiten (durch nachträglich entstehende Schutzlücken) zu vermeiden, sieht die Unionsmarkenverordnung in Art. 28 Abs. 8 eine Übergangsregelung vor. Danach können Markeninhaber die ihre Marken für alle Oberbegriffe einer Klasse haben schützen lassen, unter bestimmten Voraussetzungen, einzelne Waren und Dienstleistungen beim Gemeinschaftsmarkenamt melden und erklären, dass diese von der ursprünglichen Anmeldung mit umfasst sein sollten. Dies allerdings nur innerhalb einer 6-Monatsfrist nach Inkrafttreten der neuen Verordnung; also bis zum 24. September 2016. Unionsmarkenportfolios sollten daher zeitnah daraufhin überprüft werden, ob insoweit ein Handlungsbedarf besteht.

4. Entfall der grafischen Darstellbarkeit bei neuen Markenformen

Ferner wird die Eintragung neuer Markenformen erleichtert. Denn die neue Unionsmarkenverordnung verzichtet auf das Erfordernis einer grafischen Darstellbarkeit der anzumeldenden Marke. Insbesondere neuere Markenformen, wie z. B. die Geruchs- oder Hörmarke, lassen sich hierdurch leichter eintragen. Wie zukünftig die Darstellung solcher Marken im Einzelnen zu erfolgen hat, muss derzeit allerdings noch abgewartet werden.

5. Die neue Gewährleistungsmarke

Mit der Unionsmarkenverordnung wird auch eine neue Gewährleistungsmarke eingeführt. Ziel der Gewährleistungsmarke ist die Kennzeichnung eines bestimmten Qualitätsstandards, der unter der Marke angebotenen Produkte. Deswegen steht sie nur Mitgliedern von  Organisationen offen, die die Einhaltung der Standards überprüft. Weitere Folge hiervon ist, dass - ähnlich wie bereits jetzt für Kollektivmarkenanmeldungen der Fall - Anmelder von Gewährleistungsmarken im Rahmen der Anmeldung eine Satzung vorlegen müssen.

6. Erleichterung der Grenzbeschlagnahme für Waren in Transit

Die Beschlagnahmemöglichkeiten von Waren im Transit werden durch die neue Unionsmarkenverordnung ebenfalls erleichtert. Widerrechtlich gekennzeichnete Waren können zukünftig auch im reinen Durchfuhrverkehr beschlagnahmt werden, es sei denn, der Verletzer kann nachweisen, dass er die Waren im Bestimmungsland rechtmäßig in den Verkehr bringen darf.


Die neue Unionsmarkenverordnung bringt folglich einiges an Änderungen. Zu beachten ist
- neben den neuen Amtsgebühren - insbesondere die Änderung bei der Auslegung des Schutzumfangs des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses, da hier gegebenenfalls eine Meldung von Waren oder Dienstleistungen erfolgen sollte, die nur innerhalb der Übergangsfrist bis 24. September 2016 möglich ist. Sofern Sie hierzu Fragen haben, sprechen Sie uns gerne an.

Katja Nuxoll
Rechtsanwältin
16. März 2016

 

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Kein gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch ohne konkrete Beeinträchtigungen des Nachbarn

Mit Beschluss vom 08.06.2015 bestätigt der VGH Kassel (Az.: 3 A 938/14.Z) die ständige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, wonach ein Nachbar, dessen Grundstück außerhalb des Plangebietes liegt, regelmäßig keinen von konkreten Beeinträchtigungen unabhängigen Abwehranspruch gegen gebietsfremde Nutzungen im angrenzenden Plangebiet hat.
 
Die Frage nach dem gebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruch stellt sich in der Regel immer dann, wenn zwei unterschiedliche Baugebietstypen, etwa ein reines Wohngebiet und ein Gewerbegebiet unmittelbar aneinandergrenzen.

Der durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vermittelte Gebietserhaltungsanspruch besteht darin, dass sich jeder Grundstückseigentümer in einem festgesetzten Plangebiet gegen jede gebietsfremde Nutzungen in dem Gebiet wenden kann, ohne dass er durch diese Nutzung konkret beeinträchtigt wird. Dies gilt auch für denjenigen Grundstückseigentümer, dessen Grundstück nicht in unmittelbarer Nähe zum Baugrundstück liegt. So kann sich ein Eigentümer, dessen Grundstück in einem festgesetzten reinen Wohngebiet liegt, alleine unter Berufung auf den Gebietserhaltungsanspruch gegen einen geplanten, gebietsfremden Beherbergungsbetrieb im Plangebiet zur Wehr setzten. Auf die räumliche Entfernung zwischen den Grundstücke oder konkrete Beeinträchtigungen des Grundstückseigentümers kommt es nicht an.

Liegt das Grundstück des Nachbarn außerhalb des Plangebietes, steht dem Nachbar der sog. Gebietserhaltungsanspruch – eine der stärksten Waffen des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes – hingegen nicht zur Verfügung. Der Nachbarn kann sich nur dann mit Erfolg gegen die Bebauung wenden, wenn das geplante Vorhaben ihm gegenüber rücksichtslos ist, weil von dem Vorhaben unzumutbare Beeinträchtigungen etwa in Form von Lärmimmissionen ausgehen. Hierfür muss der Nachbar darlegen, dass er in geschützten Belangen tatsächlich und erheblich beeinträchtigt wird. Damit sind die Hürden für ein erfolgreiches Vorgehen des Nachbarn gegen eine gebietsfremde Nutzung deutlich höher, wenn das geplante Vorhaben außerhalb des Baugebietes des Nachbarn liegt, als wenn sich das Vorhabengrundstück und das Grundstück des Nachbarn in ein und demselben Baugebiet befinden.

Dr. Tobias Junker
Rechtsanwalt
15. März 2016

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Auch eine nachträgliche Schwarzgeldabrede führt zur Nichtigkeit des Vertrages

Urteil des Oberlandesgerichtes Stuttgart vom 10. November 2015 (Az. 10 U 14/15)

Das OLG Stuttgart entschied in seinem o. g. Urteil, dass auch dann, wenn die Parteien eines Architektenvertrages nach Vertragsabschluss und Leistungserbringung eine „Ohne-Rechnung-Abrede“, die zur Hinterziehung der Umsatzsteuer dient, vereinbaren, diese den ursprünglichen Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz nichtig machen kann. Die Nichtigkeit bezieht sich nicht nur auf die Abänderungsvereinbarung, sondern ergreift das gesamte Vertragsverhältnis, sodass aus diesem Vertrag auch keine Gewährleistungs- oder Honorarrechte abgeleitet werden können. Zumindest nimmt das Oberlandesgericht Stuttgart dies an, wenn eine Teilbarkeit der synallagmatischen Beziehung in Zeiträumen mit und ohne sittenwidrige Honorarvereinbarung nicht möglich ist. Das soll insbesondere dann gelten, wenn die „Ohne-Rechnung-Abrede“ auch das Entgelt für die Planung betrifft, aus der die Gewährleistungsansprüche abgeleitet werden.

Hintergrund des Falles ist ein Verfahren des Bauherrn gegen den Architekten auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Architektenleistung. Der Kläger hatte den Beklagten zumindest mit den Leistungen der Phasen 1 bis 4 des § 33 HOAI (2009) beauftragt. Nach Erbringung der Leistung erteilte der Beklagte dem Kläger eine Rechnung über einen Teilbetrag des vereinbarten Honorars. Der restliche Teil wurde in bar bezahlt. Zwischen den Parteien war eine entsprechend geteilte Zahlung nachträglich vereinbart worden. Grund war nach Darlegung der Parteien gewesen, dass das vereinbarte Honorar von 2.500,00 € vom Kläger als Brutto- und vom Beklagten als Nettohonorar verstanden worden war. Um den Meinungsstreit zu entscheiden, entschloss man sich zu einer Aufteilung der Zahlung in eine solche mit Rechnung und Umsatzsteuer und eine andere ohne Rechnung und ohne Umsatzsteuer.

Zu Recht stellt das Oberlandesgericht Stuttgart fest, dass der Umstand, dass sich die Absicht der Steuerhinterziehung nur auf einen Teil des vereinbarten Honorars bezog, nichts an der Nichtigkeit des gesamten Architektenvertrages ändert. Dies gilt zumindest dann, wenn die Parteien den zuzüglich Umsatzsteuer vereinbarten Teilwerklohn nicht konkret einer von dem Beklagten zu erbringenden Teilleistung zuordnen können. Die Nichtigkeit des Vertrages ist auch dann anzunehmen, wenn zunächst ein wirksamer Vertrag geschlossen wurde und erst nachträglich eine „Ohne-Rechnung-Abrede“ getroffen wird. Dies führt nämlich nicht dazu, dass lediglich der Abänderungsvertrag gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verstößt und damit der Vertrag in seiner ursprünglichen Form zum Zeitpunkt vor der „Ohne-Rechnung-Abrede“ wieder auflebt. Die nachträgliche Abrede einen Teilbetrag ohne Rechnung zu zahlen, gestaltet vielmehr den ursprünglich wirksamen Werkvertrag um mit dem Inhalt, den er durch die „Ohne-Rechnung-Abrede“ erhält. Aus der nachträglichen Schwarzgeldabrede schließt das Oberlandesgericht unmittelbar auf einen auf den anfänglichen Vertrag gerichteten Aufhebungskonsens, mit welchem die Parteien den Architektenvertrag insgesamt in den Anwendungsbereich des § 134 BGB geführt haben.

Das Oberlandesgerichtes Stuttgart untermauert seine Auffassung auch mit dem Sinn und Zweck des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes. Das Gesetz wolle nicht nur den tatsächlichen Vorgang der Schwarzarbeit eindämmen, sondern im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung den zugrunde liegenden Rechtsgeschäften die rechtliche Wirkung nehmen. Wer das in dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz enthaltene Verbot bewusst missachte, solle nach der Intention des Gesetzgebers schutzlos bleiben und veranlasst werden, das verbotene Geschäft nicht abzuschließen. Mit diesem Zweck wäre es gerade nicht vereinbar, die nachträgliche „Ohne-Rechnung-Abrede“, die das vertragliche Synallagma insgesamt umgestalten soll, isoliert zu betrachten, nur weil der Abschluss des Architektenvertrages und die „Ohne-Rechnung-Abrede“ zeitlich auseinanderfallen. Ansonsten würde den Vertragsparteien die Möglichkeit eröffnet, erst nach Vertragsschluss eine Schwarzgeldabrede zu treffen und dadurch den Werkvertrag zu „retten“. Einem solchen Verhalten will das Oberlandesgericht Stuttgart ausdrücklich den Boden entziehen.

Hinweis:
Es ist anzuraten, keine „Ohne-Rechnung-Abrede“ – ob vor dem Vertragsschluss, bei Vertragsschluss oder nach Vertragsbeendigung – abzuschließen. Sie birgt hohe Risiken. Wie das Oberlandesgericht Stuttgart zu Recht festgehalten hat, wird eine „Ohne-Rechnung-Abrede“ häufig erst nach Erbringung der Leistungen vereinbart, weil die Parteien sich dann über die konkrete Abwicklung der Zahlung unterhalten. Auch eine solche spätere Abrede gefährdet  die Wirksamkeit des Vertrages als Ganzes und sollte unterlassen werden.

Dr. Petra Christiansen-Geiss
Rechtsanwältin
15. März 2016

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Keine Nachforderung von Unterlagen, die erst nach Angebotsabgabe gesondert ver-langt werden – OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2016, VII-Verg 37/14

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat mit Beschluss vom 17.02.2016 (VII-Verg 37/14) entschieden, dass die Nachforderungspflicht bezüglich Erklärungen oder Nachweise gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A nicht Konstellationen umfasst, bei denen erst nach Angebotsabgabe und auf gesondertes Verlangen durch die Vergabestelle Dokumente von dem Bieter verlangt werden.

Der Sachverhalt:

In einem offenen Verfahren nach VOB/A-EG schrieb die Vergabestelle den Bau einer Was-seraufbereitungsanlage aus. Der Zuschlag sollte auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt werden. Im Rahmen der Eignungsprüfung waren von den Bietern Angaben und Nach-weise zu mindestens drei Referenzen vorzulegen. Hierzu verwendete die Vergabestelle das Formblatt 124 des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB). Hiernach reichte es aus, dass die Bieter mit Angebotsabgabe mittels einer Eigenerklärung bestätigen, dass in den letzten drei Jahren vergleichbare Leistungen ausgeführt wurden. Falls das Angebot dann in die engere Wahl kommt, ist für drei Referenzen je eine Referenzbescheinigung u.a. mit einer Bestätigung des Auftraggebers über die vertragsgemäße Ausführung der Leistung vorzulegen.

Die Bieterin mit dem niedrigsten Angebotspreis, die Beigeladene im Beschwerdeverfahren vor dem OLG Düsseldorf, sollte den Zuschlag erhalten und wurde aufgefordert, die Refe-renzbescheinigungen nach Maßgabe des Formblatts 124 VHB zu übermitteln. Die Beigela-dene reichte daraufhin weitere Eigenerklärungen zu den Referenzen ein, mit detaillierter Be-schreibung von Art und Inhalt der vormaligen Leistungen. Referenzbestätigungen der jewei-ligen Auftraggeber waren aber nicht beigefügt, was die Vergabestelle aber nicht monierte. Die Bieterin mit dem zweitniedrigsten Angebotspreis, die Antragstellerin in dem Beschwer-deverfahren, rügte gegenüber der Vergabestelle u.a. die fehlende Eignung der Beigeladenen, nachdem sie das Informationsschreiben über die beabsichtigte Zuschlagserteilung nach § 101 a GWB erhalten hatte. Der öffentliche Auftraggeber half der Rüge der Antragstellerin nicht ab, woraufhin diese bei der Vergabekammer Rheinland einen Nachprüfungsantrag stellte. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag wegen offensichtlicher Unzulässigkeit nach Lage der Akten zurück, was die Antragstellerin mit der Sofortigen Beschwerde angriff. Im Beschwerdeverfahren wandte die Antragstellerin wie bereits zuvor u.a. mangelnde Eignung der Beigeladenen ein, woraufhin die Vergabestelle, die Antragsgegnerin, nunmehr die noch fehlenden Referenzbestätigungen bei der Beigeladenen nachforderte. Die Refe-renzbestätigungen wurden innerhalb der gesetzten Frist bei der Vergabestelle eingereicht.   

Die Entscheidung:

Die Sofortige Beschwerde der Antragstellerin war erfolgreich. Nach Auffassung des Verga-besenats war das Angebot der Beigeladenen auszuschließen, zwar nicht wegen fehlender Eignung im materiellen Sinne aber wegen nicht rechtzeitig vorgelegter, von der Antragsgeg-nerin aber wirksam geforderter Erklärungen.

Die Nachforderung der Antragsgegnerin gegenüber der Beigeladenen, fehlende Referenz-bescheinigungen vorzulegen, war nach Auffassung des Vergabesenats unzulässig. § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A sei auf den Streitfall nicht anzuwenden. Nach dieser Vorschrift können öffentliche Auftraggeber fehlende Erklärungen und Nachweise nachfordern, wenn Angebote nicht aus anderen Gründen bereits auszuschließen sind. Der Anwendungsbereich der Nachforderung sei ausschließlich bezogen auf solche Erklärungen oder Nachweise, die von den Bietern bereits mit dem Angebot vorzulegen sind. Dies folge bereits aus dem Wortlaut der Norm („Fehlen geforderte Erklärungen oder Nachweise und wird das Angebot nicht … ausgeschlossen, …“). Überdies streite auch der Sinn und Zweck der Vorschrift für diese Lesart. Die Bieter befänden sich bei der Aufforderung, Erklärungen oder Nachweise bereits mit dem Angebot einzureichen, in einer anderen Situation als im Streitfall. Denn die Vorbereitung der Angebote versetze die Bieter erfahrungsgemäß in einen hohen Zeitdruck. Wird mit dem Einreichen eines Angebots zugleich die Vorlage zahlreicher Erklärungen und Nachweise verlangt, stünden Bieter typischerweise in der Gefahr, die eine oder andere Erklärung oder die Vorlage eines Nachweises zu versäumen, ohne dass ihnen dies zum Vorwurf gemacht werden könne.

Anders sei dies im Streitfall zu beurteilen. Stellt der Auftraggeber nach Angebotseinreichung gesondert das Verlangen, bestimmte Unterlagen einzureichen, könnten sich die Bieter unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt auf die Bearbeitung des gesonderten Verlangens ein-stellen und konzentrieren. Eine analoge Anwendung der Vorschrift es § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A scheide daher wegen der nicht vergleichbaren Sachlage aus.

Anderer Ansicht sind allerdings das OLG Celle (Beschluss vom 16.06.2011, 13 Verg 3/11) und das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 28.02.2012, 11 Verg 11/11). Danach sollen im Anwendungsbereich der VOB/A-EG auch auf gesondertes Verlangen des Auftraggebers nicht vorgelegte Unterlagen der Nachforderungspflicht nach VOB/A-EG unterfallen. Die Not-wendigkeit, die Sache dem Bundesgerichtshof im Wege der Divergenzvorlage vorzulegen, sah der Vergabesenat allerdings nicht, da die Ansichten der OLG Celle und Frankfurt am Main für die getroffenen Entscheidungen jeweils nicht tragend gewesen seien.   

Praxistipp und Ausblick:

Die Auffassung des Vergabesenats kann als durchaus sehr formal beurteilt werden und die durch den Vergabesenat vorgenommene Auslegung der Norm des § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ist meines Erachtens nicht zwingend. Auch das gesonderte Verlangen nach Ange-botsabgabe, bestimmte Dokumente vorzulegen, kann den Bieter unter gewissen Zeitdruck setzen, zumal es der Bieter bei dem Verlangen, Referenzbestätigungen durch die vormaligen Auftraggeber vorzulegen, nicht selbst in der Hand hat, dass diese die Bestätigungen auch fristgerecht übermitteln. Die Vergabepraxis wird sich aber nach der Entscheidung, die u.a. auch dem OLG Koblenz (Beschluss vom 19.01.2015, Verg 6/14) folgt, richten müssen.

Durch die Vergaberechtsreform 2016 wird die Diskussion zu dieser Problemstellung ohnehin abgeschlossen sein. Der neue § 16 EU Nr. 4 VOB/A schreibt nämlich vor, dass Angebote auszuschließen sind, bei denen der Bieter Erklärungen oder Nachweise, deren Vorlage sich der öffentliche Auftraggeber vorbehalten hat, auf Anforderung nicht innerhalb einer angemessenen, nach dem Kalender bestimmten Frist vorgelegt hat. Für eine Nachforderung bleibt in diesem Fall kein Raum.    

David Poschen
Rechtsanwalt
8. März 2016

 

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40 Jahre nach Abschaffung des Schuldprinzips: Ein Plädoyer für eine neue familienrechtliche „Streitkultur“

Im Juni dieses Jahres ist es 40 Jahre her, dass das scheidungsrechtliche Schuldprinzip abgeschafft wurde. Bis Juni 1976 war die Frage des Verschuldens der Ehegatten nicht nur für die Scheidung selbst, sondern auch für die sich an die Trennung und Scheidung knüpfenden Rechtsfolgen, insbesondere für die Unterhaltsverpflichtung und das Sorgerecht, das entscheidende Kriterium. So konnte das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder nach einer Scheidung nur in Ausnahmefällen auf denjenigen Ehegatten übertragen werden, der die Scheidung “verschuldet” hatte. Die Unterhaltsverpflichtung des “nicht schuldigen” Ehegatten konnte bis auf ein Minimum reduziert werden.

http://blog.otto-schmidt.de/famrb/2016/03/08/40-jahre-nach-abschaffung-des-schuldprinzips-ein-plaedoyer-fuer-eine-neue-familienrechtliche-streitkultur/

Dr. Susanne Sachs
Rechtsanwältin
8. März 2016

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Götterdämmerung Stufe 2 für die HOAI

Die von einigen Autoren beschworene Götterdämmerung für die HOAI bricht an. Die Verordnung gerät zunehmend unter Beschuss der EU.

Nach Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU Kommission im Juni 2015 haben die Versuche der Bundesregierung die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure gegen Angriffe der EU-Kommission zu verteidigen nicht gefruchtet.

Ende Februar 2016 hat die EU-Kommission mit Übersendung einer schriftlichen Stellungnahme die zweite Stufe im Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Primär richtet sich die EU-Kommission dabei gegen die in der HOAI verbindlich geregelten Mindest- und Höchsthonorare für Architekten und Ingenieure. Die HOAI sei „diskriminierend, überflüssig und unverhältnismäßig“, so die Kommission. D.h., die Kommission geht weiterhin davon aus, dass die Honorarregelungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie zuwider laufen.

Die Bundesregierung hat nun zwei Monate Zeit, um der Kommission mitzuteilen, welche Maßnahmen sie zur Behebung der aufgezeigten Kritikpunkte zu ergreifen gedenkt. Sodann kann die Kommission als dritte Stufe im Vertragsverletzungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Klage erheben. Mit einer etwaigen Entscheidung des Gerichtshofs ist regelmäßig nicht vor dem Ablauf von durchschnittlich zwei Jahren zu rechnen.

Im Hinblick darauf, dass die HOAI in der Praxis auch in Deutschland zunehmend auf Kritik stößt (vergl. hierzu Siegburg, HOAI 2013: Die misslungene Novelle, Festschrift für Neuenfeld, 2016), sollten bereits heute ernsthafte Überlegungen dazu angestellt werden, in welcher Weise zukünftig Vergütungsvereinbarungen für Architekten- und Ingenieurleistungen nach Wegfall der Zwänge des Preisrechtes der HOAI den Bedürfnissen der Praxis entsprechend zu gestalten sind. (vergl. hierzu Siegburg, a.a.O.)

Frank Siegburg
Rechtsanwalt
8. März 2016

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Heilbehandlungen eines Facharztes für Laboratoriumsdiagnostik umsatzsteuerfrei

Mit der Finanzverwaltung entsteht oft Streit, ob Leistungen eines Laboratoriumsdiagnostikers umsatzsteuerfrei sind. Fraglich ist, ob sie steuerfreie Heilbehandlungen nach § 4 Nr. 14 a) UStG darstellen. Die Finanzverwaltung stellt sich regelmäßig auf den Standpunkt, dass bei der Laboratoriumsdiagnostik mangels eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Arzt und dem Patienten der Tatbestand der steuerfreien Heilbehandlung nicht erfüllt ist. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat dem nun widersprochen (Urteil vom 10. November 2015, 2 K 2409/13).

Im entschiedenen Fall ging es um einen Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik. Dieser hatte mit einem Laborunternehmen vereinbart, es bei der Optimierung labororganisatorischer Abläufe diagnostisch zu unterstützen. Außerdem sollte er transfusionsmedizinische Beratungen für die vom Laborunternehmen betreuten Krankenhäuser erbringen und im Bedarfsfalle auch in einer Transfusionskommission mitarbeiten. Eine eigene Laborpraxis betrieben der Facharzt nicht mehr, da er diese bereits in der Vergangenheit an das Laborunternehmen veräußert hatte. Auch eine kassenärztliche Zulassung hatte er nicht mehr, noch erfüllte er die besonderen Voraussetzungen, die in § 4 Nr. 14 UStG in der durch das Jahressteuergesetz 2009 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung genannt sind.

Daher behandelte das beklagte Finanzamt die Umsätze als zum Regelsteuersatz von 19 % steuerpflichtig und argumentierte, dass Leistungen klinischer Chemiker wie auch von Laborärzten nicht auf einem persönlichen Vertrauensverhältnis zu dem Patienten beruhten, die aber Voraussetzung für die Annahme von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach der Fassung des § 4 Nr. 14 a) UStG 2009 sei.

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg ist dem entgegengetreten und hat argumentiert, dass weder Wortlaut noch Zielsetzung oder Systematik der Steuerbefreiung, noch die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder des Bundesfinanzhofs eine solch enge Auslegung von § 4 Nr. 14 a) UStG rechtfertigten. Ein persönliches Vertrauensverhältnis sei dort nicht vorausgesetzt. Die nationale Steuerbefreiungsregelung diene der Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 c) MwStSystRL, sodass auch die Bestimmung des Umfangs und Begriffsgehalts der nationalen Steuerbefreiungsvorschrift unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu erfolgen habe. Zu den steuerfreien „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ gehörten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, die Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bzw. die Linderung von Krankheiten, Leiden und Körperschäden. Die Maßnahmen müssen einen diagnostischen oder therapeutischen Zweck haben (etwa EuGH-Urteil vom 20.11.2003 C-307/01 – D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services –, Slg 2003, I-13989 Rdnr. 58 zur Vorläufervorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 c) der Sechsten EG-Richtlinie). Der Begriff Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin ziele, so der EuGH, zwangsläufig auf eine Tätigkeit ab, die die menschliche Gesundheit schützen solle und die Behandlung eines Patienten einschließe. Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin seien dagegen ärztliche Leistungen, Maßnahmen oder medizinische Eingriffe, die zu anderen Zwecken erfolgten. Auch vorbeugende ärztliche Leistungen könnten unter dem Begriff Heilbehandlung subsumiert werden. Dabei handele es sich grundsätzlich um Leistungen, die der Abwendung, Vermeidung oder Verhütung von Krankheiten, Verletzungen oder gesundheitlichen Problemen oder der Erkennung von Krankheiten dienten, um eine möglichst frühzeitige Erkennung und Behandlung zu erreichen. Das Erfordernis der therapeutischen Zweckbestimmung sei dabei nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen, sondern vielmehr unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken (vgl. etwa auch Urteil des BFH vom 18.08.2011 V R 27/10, BFHE 235, 58).

Ähnlich hatte bereits das Finanzgericht Hamburg im Jahr 2013 entschieden (Urteil vom 23. Oktober 2013, 2 K 349/12).

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg die Revision zugelassen (BFH, XI R 23/15). Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesfinanzhof entscheiden wird. Die auch seinerzeit vom Finanzgericht Hamburg zugelassene Revision hatte er als unzulässig verworfen.

Lutz Schade
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht
3. März 2016

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Vorbehalt der Vertragsstrafe bei Abnahme nicht zwingend, wenn bereits Aufrechnung mit Vertragsstrafe vor Abnahme erfolgt

BGH, Urteil vom 05.11.2015 – VII ZR 43/15

Grundsätzlich gilt, dass im BGB/VOB-Werkvertrag der Auftraggeber verpflichtet ist, bei Abnahme der Leistung die Geltendmachung einer Vertragsstrafe vorzubehalten (§ 341 Abs. 3 BGB / § 11 Abs. 4 VOB/B). Dem AN soll bei Abnahme Sicherheit gewährt werden, ob er, obwohl seine Leistung abgenommen wurde, während der 3-jährigen Verjährungsfrist einer Vertragsstrafenforderung mit der Inanspruchnahme durch den AG zu rechnen hat.

Die Notwendigkeit des Vorbehalts soll jedoch nicht zwingend sein. In dem vorliegenden Fall, in welchem sich ein Werkunternehmer zur schlüsselfertigen Errichtung einer Villa innerhalb verbindlicher Fertigstellungstermine verpflichtete und für Überschreitung dieser Termine eine Vertragsstrafe festgeschrieben war, wurde im Projektablauf erkennbar, dass der AG den Fertigstellungstermin erheblich überschreiten würde. Der AG zog dem AN daher die Vertragsstrafe in voller Höhe bereits von der vorletzten Abschlagsrechnung ab. Später, als der Unternehmer seine Leistung fertig gestellt hatte, kam es zu keiner ausdrücklichen Abnahme mehr. Vielmehr setzte der AN dem AG eine Frist zur Abnahmeerklärung. Innerhalb dieser Frist äußert sich der AG nicht mehr und behielt sich auch nicht die Geltendmachung der Vertragsstrafe vor. Im darauf folgenden Werklohnprozess vertrat der AN die Auffassung, dass der AG keinen Anspruch auf Einbehalt der Vertragsstrafe habe, da der AG diese nicht noch einmal ausdrücklich vorbehalten habe.

Dieser Auffassung schloss sich der BGH nicht an. Es sei im vorliegenden Fall aufgrund der Tatsache, dass der AG die Vertragsstrafe bereits gegen die Zahlung der vorletzten Abschlagsrechnung zur Aufrechnung gestellt habe, nicht erforderlich gewesen, den Vorbehalt nach Fertigstellung erneut klarzustellen. Die Forderung auf Zahlung der Vertragsstrafe sei aufgrund vorheriger Aufrechnung zum Zeitpunkt der Abnahmewirkung bereits erloschen und müsse daher nicht erneut bei Abnahme vorbehalten bleiben.

In den Fällen, in denen der AG den Anspruch auf Vertragsstrafe durch Aufrechnung gegen Abschlagszahlungen vor Beendigung der Leistung bereits „verbraucht“ hat, ist aufgrund der aktuellen Entscheidung davon auszugehen, dass kein ausdrücklicher Vorbehalt der Vertragsstrafe im Abnahmeprotokoll notwendig ist. Da diese Entscheidung jedoch im Widerspruch zu älterer Rechtsprechung des BGH steht (BGH NJW 1983, 384) sollte der AG, um den sichersten Weg zu wählen, noch einmal ausdrücklich den Vorbehalt der Vertragsstrafe erklären, um später nicht dem Einwand ausgesetzt zu sein, das Recht auf Vertragsstrafe sei mangels Vorbehalt im Abnahmeprotokoll erloschen.

Ulrich Zimmermann
Rechtsanwalt
1. März 2016

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