Droht das Ende der sachgrundlosen Befristung nach lang zurückliegender Vorbeschäftigung?

Nach einer Entscheidung des LAG Hessen (Urteil v. 11.07.2017 – 8 Sa 1578/16)  steht jede Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber einer Befristung ohne Sachgrund  entgegen. Auch das LAG Hessen stellt sich damit gegen den 7. Senat des BAG.

1. Das Problem
Das unbefristete Arbeitsverhältnis soll in Deutschland nach wie vor den Normalfall der Beschäftigung sein, der Abschluss von befristeten Arbeitsverhältnissen eigentlich die Ausnahme bleiben.
Bereits mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 hat der Gesetzgeber aber die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung geschaffen, um Unternehmen flexible Reaktionen auf unsichere und schwankende Auftragslagen und wechselnde Marktbedingungen zu reagieren und Arbeitnehmern einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Galt das sogenannte Anschlussverbot damals noch für befristete Einstellungen mit einem Abstand von weniger als 4 Monaten zu einer Vorbeschäftigung, kam mit der Einführung von  § 14 Abs. 2 TzBfG im Jahr 2001 ein absolutes Anschlussverbot für jeden Fall der Vorbeschäftigung.


Im Jahr 2011 urteilte dann der unter anderem für Befristungsfragen zuständige 7. Senat des BAG in einer in Rechtsprechung und Literatur viel kritisierten, in der Praxis aber begrüßten  Entscheidung, dass ein absolutes Verbot sachgrundloser Befristungen nach einer „Zuvor-Beschäftigung“ dem arbeitsmarktpraktischen Zweck der Befristung und der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer widerspreche. Der Senat legte die Regelung des § 14 Abs. 2 TzBfG so aus, dass eine sachgrundlos befristete Anschlussbeschäftigung nach einer Vorbeschäftigung, die länger als drei Jahre zurückliege, zulässig sei (BAG, Urteil v. 06.04.2011 – 7 AZR 716/09).


2. Die Entscheidung
Das LAG Hessen hat sich in seinem Urteil vom 11.07.2017 (Az. 8 Sa 1578/16) erneut mit der Frage der „Zuvor-Beschäftigung‘“ auseinandergesetzt.  
Die Klägerin in dem dortigen Verfahren war bei der Beklagten zunächst vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2008 beschäftigt. Ab dem 01.07.2014 wurde sie erneut befristet bis zum 30.06.2015 eingestellt, die Befristung erfolgte sachgrundlos gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG. Mit Änderungsvereinbarung vom 09.04.2015 vereinbarten die Parteien die weitere Beschäftigung der Klägerin bis zum 30.06.2016. Die Klägerin hat daraufhin Entfristungsklage erhoben.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die letzte sachgrundlose Befristung unwirksam. Der Zulässigkeit einer weiteren sachgrundlosen Befristung stehe die Vorbeschäftigung der Klägerin bei der Beklagten in dem Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2008 entgegen. Die Formulierung „bereits zuvor“ in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG enthalte ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot. Die Klägerin könne daher wegen der Rechtsunwirksamkeit der Befristung von der Beklagten verlangen, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Befristungskontrollklage vorläufig weiterbeschäftigt zu werden.


Zur Begründung führt das LAG Hessen aus, der Wortsinn sei eindeutig. „Bereits zuvor“ bedeute, dass jedes frühere Arbeitsverhältnis der Befristung entgegenstehe, gleich ob es erst wenige Tage oder viele Jahre zuvor beendet worden sei. Wenn der Gesetzgeber auf einen unmittelbar vor Abschluss des befristeten Vertrages bestehenden Zeitraum habe abstellen wollen, habe er dies im TzBfG auch ausdrücklich so formuliert, etwa in § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG („Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder an ein Studium“) oder in § 14 Abs. 3 S. 1 TzBfG („unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos“).


Außerdem verstehe der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung unter dem Begriff der „Neueinstellung“ die „erstmalige Beschäftigung eines Arbeitnehmers durch einen Arbeitgeber“. Auch der Normzweck gebiete die Interpretation als zeitlich unbeschränktes Vorbeschäftigungsverbot, da die Einschränkung der erleichterten Befristung von Arbeitsverträgen den Ausschluss der „theoretisch unbegrenzt möglichen Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge“ bezwecke. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle dies dadurch erreicht werden, dass die erleichterte Befristung eines Arbeitsvertrages nur bei einer Neueinstellung zugelassen werde.


Da die Entscheidung des LAG  ausdrücklich von der Grundsatzentscheidung des BAG vom 06.04.2011 abweicht, hat das LAG zu der Frage, ob vom Vorbeschäftigungsverbot ohne zeitliche Einschränkung jegliches vorangegangene Arbeitsverhältnis erfasst wird, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Das Urteil des LAG Hessen liegt damit auf der Linie bereits ergangener Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Niedersachsen und Baden-Württemberg aus 2016 und 2017, die in gleicher Weise entschieden und ebenfalls die Revision zugelassen haben. Das Arbeitsgericht Braunschweig hat eine Entfristungsklage zur gleichen Frage ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG eingeholt (Beschluss v. 03.04.2015 – 5 Ca 463/13). Weder über die Revisionen noch über die vorgelegte Frage des Arbeitsgerichts Braunschweig ist bislang entschieden. Allerdings hat der Vorsitz des 7. Senats zum 01.10.2014 gewechselt.

3. Praxistipp:
Sollte es zu einer Rechtsprechungsänderung des 7. Senats kommen, könnte dies erhebliche Auswirkungen auf solche sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse haben, die zwischenzeitlich im Vertrauen auf die Entscheidung des BAG vom 06.04.2011 mit bereits zuvor bei dem betreffenden Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmern abgeschlossen wurden.


Das BAG geht nämlich grundsätzlich davon aus, dass auch die Änderung einer lange geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung Rückwirkung entfaltet. Eine Einschränkung der Rückwirkung sei nur dann vorzunehmen, wenn die von der Rückwirkung betroffene Partei auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen durfte und die Anwendung der geänderten Auffassung wegen ihrer Rechtsfolgen eine unzumutbare Härte bedeuten würde (BAG, Urteil vom 23.03.2006 - 2 AZR 343/05).
Die Gewährung von Vertrauensschutz ist nach dem BVerfG allerdings dann nicht geboten, wenn die Rechtsprechungsänderung hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Dies soll der Fall sein, wenn die Rechtsprechung, von der abgewichen werden soll, auf so erhebliche Kritik gestoßen ist, dass der unveränderte Fortbestand dieser Rechtsprechung nicht gesichert erscheinen konnte (BVerfG, Beschluss vom 18.10.2012 - 1 BvR 2366/11, Beschluss vom 26.06.1991 - 1 BvR 779/85).


Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung des BVerfG hat das LAG Niedersachen in einem gleichgelagerten Sachverhalt (Urteil vom 20.07.2017 - 6 Sa 1125/16) die Gewährung von Vertrauensschutz ausdrücklich abgelehnt. Das LAG Niedersachsen hat argumentiert, das Urteil des BAG vom 06.04.2011 sei von Anfang an deutlicher Kritik in Rechtsprechung und Literatur ausgesetzt gewesen. Jedenfalls im Januar 2016 habe die dortige Beklagte aufgrund der Vorlageentscheidung des ArbG Braunschweig und der Zulassung der Revision durch mehrere Landesarbeitsgerichte, welche von der Entscheidung des BAG abgewichen waren, nicht mehr in die unveränderte Fortgeltung der Rechtsprechung des BAG vertrauen dürfen.


Sollte das BAG seine Rechtsprechung nunmehr ändern und aus den vorgenannten Gründen von der Gewährung von Vertrauensschutz absehen, wird der betroffene Arbeitgeber die Befristung auch nicht stets dadurch „retten“ können, dass er sich alternativ auf das tatsächliche Vorliegen eines Befristungsgrundes nach § 14 Abs. 1 TzBfG bei Vertragsschluss berufen kann (BAG, Urteil vom 29.06.2011 - 7 AZR 774/09). Da eine Unwirksamkeit der Befristung zur Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses führt, empfehlen wir, bis zur endgültigen Klärung der Frage durch das BAG mit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen im Falle einer Vorbeschäftigung - auch wenn diese länger als 3 Jahre zurückliegt - zurückhaltend umzugehen.

Hiltrud Kohnen
Rechtsanwältin

Kevin Woicke
Rechtsanwalt
27. November 2017

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Vergaberecht aktuell: neue EU-Schwellenwerte ab 01.01.2018

Vergaberecht aktuell: neue EU-Schwellenwerte ab 01.01.2018

Mit dem 01.01.2018 werden die EU-Schwellenwerte, ab denen ein öffentlicher Auftrag EU-weit auszuschreiben ist, nicht unerheblich erhöht. Die entsprechende EU-Verordnung wird in Kürze veröffentlicht.

Ab dem neuen Jahr gelten folgende neue EU-Schwellenwerte (jeweils Netto-Beträge):

• Für Bauaufträge: 5.548.000 EUR (statt bisher 5.225.000 EUR)
• Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge: 221.000 EUR (statt bisher 209.000 EUR)
• Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge bei Sektorenauftraggebern: 443.000 EUR (statt bisher 418.000 EUR)
• Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge bei Obersten oder Oberen Bundesbehörden sowie vergleichbaren Bundeseinrichtungen: 144.000 EUR (statt bisher 135.000 EUR).

Für Vergabeverfahren, die ab dem 01.01.2018 eingeleitet werden, gelten die neuen Schwel-lenwerte. Die Änderungen ergeben sich aus dem GPA (Government Procurement Agree-ment, Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen zwischen einzelnen Ver-tragsstaaten der WTO). In diesem Zusammenhang wird ein Währungskorb wichtiger Welt-währungen definiert; zum Ausgleich von Kursschwankungen (z.B. zwischen US-Dollar und Euro) werden die Schwellenwerte regelmäßig angepasst.

David Poschen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht
17. November 2017

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Änderung der Unterhaltsleitlinien bzgl. der Abziehbarkeit von Tilgungsleistungen vom Wohnwert beim Ehegattenunterhalt?

Wenn ein Ehegatte nach Zustellung des Scheidungsantrags in einer Immobilie lebt, die in seinem Alleineigentum steht, wird für die Unterhaltsberechnung sein Einkommen um den objektiven Wohnwert (Kaltmietwert) dieser Immobilie erhöht, weil er keine Miete zahlen muss. Die zur Finanzierung der Immobilie aufgenommenen Darlehen sind nach den bisherigen Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte nur mit dem Zinsanteil der Monatsraten von dem unterhaltsrechtlichen Einkommen abziehbar. Der Tilgungsanteil soll hingegen nicht abziehbar sein. Dahinter steht der Gedanke, dass nicht ein Ehegatte auf Kosten des anderen Ehegatten Vermögen aufbauen können soll. Auf den ersten Blick überzeugt dieser Gedanke.

http://blog.otto-schmidt.de/famrb/2017/11/17/aenderungsbedarf-der-unterhaltsleitlinien-bzgl-der-abziehbarkeit-von-tilgungsleistungen-vom-wohnwert-beim-ehegattenunterhalt/

Dr. Susanne Sachs
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht
Fachanwältin für Erbrecht
Mediatorin (DAA)
16. November 2017

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